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Risiken eines regionalen Atomkrieges

17.03.2020

Selbst ein begrenzter Atomkrieg könnte gefährliche Auswirkungen weit über die tödlich getroffene Region hinaus haben. Er würde zu einer globalen Abkühlung führen, die die Agrarproduktion in den wichtigsten Kornkammern der Welt erheblich reduzierte.

Ein internationales Wissenschaftlerteam, dem auch LMU-Geograf Florian Zabel angehörte, hat die Auswirkungen auf die weltweite Ernährungssicherheit einschließlich der Reaktionen des grenzüberschreitenden Agrarhandels jetzt zum ersten Mal in einer auf Computersimulationen basierenden Studie aufgezeigt. Danach würde der plötzliche Temperaturrückgang zu einem in der Menschheitsgeschichte noch nie dagewesenen Schock im Ernährungssystem führen. Dies würde den gegenwärtigen, von fossilen Brennstoffen verursachten Klimawandel jedoch nicht aufheben – nach etwa einem Jahrzehnt der Abkühlung würde die globale Erwärmung wieder zunehmen.

„Wir wissen jetzt, dass ein Atomkonflikt nicht nur eine schreckliche Tragödie in der Region wäre, in der er passiert – er ist auch ein unterschätztes Risiko für die globale Ernährungssicherheit“, sagt Jonas Jägermeyr vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, dem NASA Goddard Institute for Space Studies und der Universität Chicago; er ist Leit-Autor der Studie, die jetzt in den Proceedings of the US National Academy of Sciences (PNAS) veröffentlicht wurde. „Wir stellen schwere Verluste in der landwirtschaftlichen Produktion fest, aber wir haben auch die Auswirkungen des Handels auf die örtliche Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln untersucht. Es zeigt sich, dass die großen Getreide-Regionen die Exporte kürzen würden und dann weltweit Länder unter Versorgungsengpässen leiden würden. Die regionale Krise würde also zu einer globalen Krise werden, weil wir alle vom gleichen Klimasystem abhängig sind.“

Der Ruß von Flächenbränden

Als Beispiel für einen solchen regionalen Konflikt untersuchten die Wissenschaftler die Auswirkungen eines begrenzten Atomkriegs zwischen Indien und Pakistan, bei dem weniger als ein Prozent des weltweiten Atomwaffenarsenals eingesetzt wird. Die durch die Bomben entzündeten Feuer würden große Mengen Ruß hoch in die Atmosphäre aufsteigen lassen, wo der Wind den Rauch schnell über den ganzen Globus verteilt. Die vielen kleinen Teilchen würden daraufhin einen Teil des Sonnenlichts von der Erdoberfläche abhalten. Das würde zu einer plötzlichen Abkühlung und zu wechselnden Wettermustern führen. Für Emissionen von fünf Millionen Tonnen Rauch berechneten die Wissenschaftler mithilfe von Klimamodellen einen globalen mittleren Temperaturabfall von etwa 1,8 Grad Celsius und einen Rückgang der Niederschläge um acht Prozent für mindestens fünf Jahre – wodurch die Erde in einen wesentlich kälteren und trockeneren Zustand versetzt würde. Zum Vergleich: Bisher haben Treibhausgase aus fossilen Brennstoffen unseren Planeten um etwa ein Grad Celsius erwärmt. Vor der neuen Studie in PNAS gab es nur sehr wenige Erkenntnisse darüber, wie die globalen Agrarsysteme auf die Abkühlung reagieren würden.

Im ersten Jahr nach dem Krieg könnten die heimischen Reserven und der Welthandel den Verlust der Nahrungsmittelproduktion weitgehend auffangen, so die Forscher. Bis zum vierten Jahr wären die Getreidevorräte jedoch praktisch erschöpft und der internationale Handel käme zum Erliegen. Anhaltende Produktionsverluste würden sich daher von den Kornkammern der nördlichen Halbkugel bis zu den oft ärmeren Ländern des globalen Südens ausbreiten. Die Verfügbarkeit von Mais und Weizen würde in mehr als 70 Ländern mit rund 1,3 Milliarden Einwohnern um mindestens 20 Prozent schrumpfen. „Dies ist eine überraschend scharfe Reaktion angesichts der viel größeren Konfliktszenarien, die man sich sonst so im Zusammenhang mit einem Atomkrieg vorstellen kann“, sagt Jägermeyr.

„Es gibt faktisch ein nukleares Wettrüsten in Südasien“

„So schrecklich die direkten Auswirkungen von Atomwaffen auch wären, es könnten mehr Menschen außerhalb der Zielgebiete sterben – durch Unterernährung, einfach wegen der indirekten klimatischen Auswirkungen“, sagt Co-Autor Alan Robock von der Rutgers University in den USA. „Die Verbreitung von Atomwaffen geht weiter, und es gibt faktisch ein nukleares Wettrüsten in Südasien. Die Untersuchung der globalen Auswirkungen eines regionalen Atomkrieges ist daher – leider – keineswegs ein Thema des Kalten Krieges.“

Die Autoren schließen Indien und Pakistan von ihren Analysen aus, um willkürliche Annahmen beim Vermischen der direkten und indirekten Auswirkungen eines Krieges dort zu vermeiden. Unter der Annahme, dass die Nahrungsmittelproduktion in den beiden Ländern im Grunde auf Null sinken würde, wäre die indirekte globale Nahrungsmittelknappheit noch ausgeprägter.

„Wir haben für diese Studie ein Ensemble von sechs führenden globalen AgMIP-Agrar-Modellen untersucht, und alle stimmen in großem Maß überein, was die Abschätzung der Auswirkungen eines regionalen Atomkriegs angeht. Das zeigt, wie robust die Simulationen sind“, sagt Co-Autorin Cynthia Rosenzweig vom NASA Goddard Institute for Space Studies. Ein solcher regionaler Atomkrieg würde etwa ein Jahrzehnt lang negative Folgen für die globale Ernährungssicherheit haben – in einem Ausmaß, wie es das in der modernen Geschichte noch nie gegeben hat.“ (PIK/LMU) PNAS 2020

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