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Rock 'n' Roll im Priesterseminar

22.11.2018

Flávio Amaral kam als Au-Pair von Brasilien nach Deutschland. Er ist zum Studieren geblieben und hat für seine herausragenden Studienleistungen und sein soziales Engagement den DAAD-Preis 2018 erhalten.

Als Flávio hörte, dass er den DAAD-Preis gewonnen hatte, konnte er es nicht glauben. „Ich bin kein Überflieger, ich bin genauso überfordert wie alle anderen“, sagt er mit einem Lächeln. Es ist November und die Temperaturen geben einen ersten Vorgeschmack auf den nahenden Winter. Flávio sitzt trotzdem mit hochgekrempelten Ärmeln im Freien an einem Tisch des Cafés. Er lässt sich nicht so leicht unterkriegen. Auch nicht vom Herbstwind. Seit 2014 ist der gebürtige Brasilianer in Deutschland und hat sich gut eingelebt. Obwohl er anfangs kaum Deutsch konnte, spricht er mittlerweile akzentfrei. Der junge Mann mit der sanften Stimme ist ein Sprachtalent. Neben Deutsch, Portugiesisch und Englisch kann er Hebräisch, Altgriechisch und Latein – alles natürlich mit 1,0 abgeschlossen. Letztere Drei lernte er nicht ganz freiwillig, sondern im Rahmen seines Studiums. Man würde es ihm nicht direkt ansehen, wie er da sitzt, in der einen Hand den Cappuccino und die Zigarette in der anderen, aber Flávio ist Priesteranwärter und studiert seit 2016 katholische Theologie an der LMU.

Der Weg zum Status Quo war alles andere als geradlinig. In seiner Heimat São Paulo studierte er Sozialwissenschaften, nach seinem Abschluss liebäugelte er mit einem Elektrotechnikstudium. „Meine Betreuerin in der Schule hat mir damals schon dazu geraten, weil in den Geisteswissenschaften kein Geld zu machen sei. Letztendlich wollte ich aber doch im sozialen Bereich bleiben und bin hartnäckig geblieben“, erzählt Flávio und drückt dabei seine Zigarette aus. Die ist bereits vor einer Weile ausgegangen, das bekam er allerdings nicht mit. Wenn er von seiner Arbeit und seinem Studium erzählt, vergisst er schon einmal alles um sich herum. Der künftige Gehaltsscheck steht für ihn nicht im Mittelpunkt seines Studiums. „Einfach mal Zeit schenken“

Den DAAD-Preis erhält der Priesterkandidat nicht nur für seine Leistungen, sondern auch für sein soziales Engagement. Flávio will vor allem eins: zurückgeben. Denn er habe in seinem Leben viel Glück gehabt. Gerade in Deutschland sei er mit offenen Armen empfangen worden. Während seiner Zeit als Au-Pair in Neu-Ulm unterstützte er ein „Samstagscafé“ für Flüchtlinge. In Fürstenfeldbruck unterstützte er in einer Jugendeinrichtung die Kinder und Jugendlichen mit Rat und Tat. Und im Priesterseminar finden regelmäßig sogenannte „Essensgäste-Feste“ statt. Dann bedienen die Theologen gemeinsam Obdachlose. „Es geht bei ehrenamtlicher Arbeit nicht nur darum, die Grundbedürfnisse zu befriedigen, sondern auch einfach mal Zeit zu schenken“, erzählt der Siebenundzwanzigjährige und strahlt begeistert. „Deswegen ist das wirklich immer ein großes Fest mit bayerischer Musik und allem.“

In seiner Freizeit hört er die auch ganz gerne. La Brass Banda zum Beispiel. Hauptsächlich allerdings eher Techno und Rock. „In meiner Jugend war ich nicht sehr religiös. Mein Stiefvater war Freikirchler. Da war Religion etwas sehr strenges. Alkohol war verboten und Rock war die Musik des Teufels.“ Weil kritische Fragen nur mit dem immer gleichen Satz „Weil es Gottes Wille ist“ abgewunken wurden, kehrte sich Flávio von der Religion des Stiefvaters ab. Er blieb zwar gläubig, aber zu seinen eigenen Bedingungen. Die Wende kam erst während des Studiums in São Paulo. Ein katholischer Kommilitone konnte ihm Antworten auf seine Fragen geben. Das Priesterseminar und das damit einhergehende Theologiestudium schätzt Flávio, weil es ihm erlaubt, sich mit seinem Glauben auseinanderzusetzen und gleichzeitig kritisch zu bleiben. Ob er nach seinem Studium wirklich Priester wird, weiß der Student noch nicht sicher. Eins steht aber fest: Sein Studium zieht er durch. Aufgeben gibt es für ihn nicht.

Momentan bereitet ihm allerdings mehr als nur sein Studium Kopfzerbrechen. Viele Gedanken macht er sich über seine Präsentation bei der Preisverleihung. Eine einfache Danksagung ist ihm nicht genug. „Ich würde die Deutschen gerne darauf aufmerksam machen, wie offen sie in Wirklichkeit sind.“ Denn oft wurde er gewarnt, dass es nicht so leicht sei, in Deutschland Anschluss zu finden. Die Menschen seien verschlossen und distanziert. „Meiner Erfahrung nach haben die Deutschen ein falsches Selbstbild. Wie hilfsbereit man hier eigentlich ist, merkt man schon daran, wie leicht es ist, sich ehrenamtlich zu engagieren. Es gibt so viele Organisationen, so viele Stiftungen. Das ist wirklich Nächstenliebe.“ps

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