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Sag zum Abschied leise Muh

17.09.2019

In die Medien schaffen es meist nur die Waschbären mit Herzschrittmacher oder die adipösen Haustiere. Wie facettenreich und fordernd das Studium und die Arbeit der Tiermedizinerinnen und Tiermediziner ist, darüber gibt es oft zu wenig Einblicke. Dabei...

Fünf Uhr morgens ist das Licht in den Ställen des Bauernhofs noch gedimmt. Die ersten Studierenden haben ihre Gummistiefel und Schmutzoveralls schon angezogen und beginnen ihre Arbeit: Kühe melken, ausmisten, füttern. Es gilt, etwa 300 Rinder, davon 130 Milchkühe, Kälber und knapp 900 Schweine inklusive Ferkel zu versorgen, und die Aufgaben sind gut verteilt. Es ist nicht irgendein Bauernhof, es ist der Unibauernhof der LMU, das sogenannte Lehr- und Versuchsgut. Die Studierenden absolvieren gerade ihr landwirtschaftliches Pflichtpraktikum. „Ein starker Fokus bei der Ausbildung der Tiermedizin sind Nutztiere“, erklärt Thomas Göbel, Studiendekan der Tierärztlichen Fakultät. „Es ist wichtig, das von Anfang an zu vermitteln und ich kann sagen, dass die Studierenden dieses Praktikum lieben.“

Im Studium um fünf Uhr aufstehen ist sicher für die meisten eine Horrorvorstellung. Nicht aber für Angelina, die jetzt im vierten Semester studiert und das Praktikum schon gemacht hat. Lachend erinnert sie sich an das Wiegen der Kälber. „Ich bin ein Stadtkind. Und für uns hat das erst einmal süß geklungen, Kälber zu wiegen, und so haben wir es uns dann auch vorgestellt. Aber ein Kalb wiegt schon 100 Kilogramm, und die wenigsten von ihnen hatten an dem Tag Lust zum Wiegen. Wir sind jedenfalls echt ins Schwitzen gekommen und waren froh, danach zum Ausmisten zu dürfen.“ Angelina kommt ursprünglich aus Moskau und hat dort schon Tiermedizin studiert. „Allein in Moskau gibt es fünf Hochschulen für ein Tiermedizinstudium, so viele wie in ganz Deutschland. Der Praxisanteil ist an der LMU allerdings viel höher als woanders. Ich bin sehr glücklich, hier zu studieren“, erzählt Angelina.

„Tiermedizin ist eine Berufung“ Angelina studiert eines der schwersten Fächer. Vor allem in den ersten Semestern heißt es lernen, lernen, lernen: Anatomie, Chemie, Physik, Biologie, Tierschutz, Tierhaltung und vieles mehr. In einer Pause schreibt sie auf Instagram: „Ich habe den ganzen Samstag im Labor verbracht, um DNA zu isolieren und PCR-Diagnostik zu machen. Aber anstatt mich danach zu entspannen, lerne ich weiter. Jede Woche lernen ohne Wochenenden, jede Woche Examen, um ein paar glückliche Momente mit diesen wundervollen Lebewesen zu verbringen? Ja, ich liebe es.“ Göbel ist dieser Enthusiasmus nicht fremd. „Es ist immer dieselbe Geschichte, die ich im Lebenslauf lese: Seit ich sechs bin, möchte ich Tierärztin werden. Tiermedizin ist eine Berufung, für die meisten gibt es keinen Plan B.“

Das trifft auch auf Laura zu, die ihren Studienabschluss gemacht hat und jetzt ein Trainingsprogramm für Absolventen an der Chirugischen Kleintierklinik absolviert. Damit kann sie sich weiterqualifizieren. Im Gegensatz zu Angelina, der es die großen Tiere angetan haben, sind es bei Laura vor allem Hunde. „Ich möchte mit den Tieren ‚reden‘ können. Und ich kann mit Kleintieren gut umgehen.“ An den Anfang ihres Studiums erinnert sie sich noch gut: „Man wird schon ins kalte Wasser geworfen. Schon in meiner zweiten Woche musste ich im Präparationskurs ein Hundebein bearbeiten.“ Dennoch gehört Anatomie zu den Bereichen, die ihr am meisten Spaß gemacht haben. Richtig spannend, erzählt sie, wird es ab dem 5. Semester, wenn die Vorlesungen und Kurse spezieller werden und jeder Studierende die sechs Kliniken im Rotationsprinzip durchläuft. „Wir hatten da zum Beispiel einen Milchkurs und einen Käsereikurs. Es gibt kein tierisches Lebensmittel, das nicht von einem Tierarzt geprüft wird. Am Ende des Käsereikurses haben wir diesen mit Rotwein verköstigt.“

Laura hat jede Sekunde, die sie erzählt, ein Lächeln im Gesicht. Dennoch, das betont sie immer wieder, sei Tiermedizin ein „intensives Studium, bei dem man mit Herz und Seele dabei sein muss“. Das ist auch nicht weiter verwunderlich, denn Tiermedizin ist eine Hochleistungsmedizin. „Wir benutzen die gleichen Verfahren und Hilfsmittel wie in einem Krankenhaus. Wir arbeiten hier nach den höchsten Standards und führen komplizierteste Operationen durch, in allen nur erdenklichen Größenordnungen – vom kleinsten Fisch bis zum Elefanten“, sagt Göbel. Und das spiegelt sich natürlich auch in der breiten Ausbildung wider. Wie stark die Tiermedizin an der LMU ist, zeigt das jüngste QS-Fächerranking. Weltweit ist die Tiermedizin der LMU in den Top 25, in Deutschland mit großem Abstand auf Platz eins. Damit das so bleiben kann, muss auch die Infrastruktur stimmen. Und da ist gerade eine große Veränderung im Gange. Die Süddeutsche Zeitung sprach gar von einer „Jahrhundertentscheidung“ der Fakultät, ganz nach Oberschleißheim zu ziehen.

Tradition wird Moderne – ein Campus entsteht Bisher gibt es in Oberschleißheim ein hübsches Schloss, den ältesten noch aktiven Flugplatz Deutschlands und eine Kaderschmiede des FC Bayern. Und mittelfristig zieht dort die gesamte Tierärztliche Fakultät der LMU auf „einen in Europa einzigartigen Campus“ – so der Dekan der Fakultät, Reinhard Straubinger. Dabei hat die Tiermedizin gerade in der Innenstadt, in Schwabing, ihren Nukleus – das war die 1790 gegründete Tierarzneischule. Die Fakultät selbst feierte 2014 ihr 100-jähriges Bestehen. Sie pflegt ihre Traditionen, sei es das jährliche Grillfest mit den französischen Kollegen und Studierenden der École Nationale Vétérinaire de Toulouse, das Tragen der Talare beim Abschluss oder die Tradition, dass die Studierenden in niedrigeren Semestern den Absolventen einen Doktorhut basteln. Und natürlich werden alle, die am historisch gewachsenen Standort am Englischen Garten studiert, gelehrt und geforscht haben, auch ein wenig wehmütig zurückblicken. Mindestens die 15 Minuten Baden im Eisbach zwischen den Vorlesungen wird Angelina vermissen. Und Laura? „Es war wie ein eigenes kleines Dorf am Englischen Garten“, erzählt sie. „Ich habe aber die Abschlussprüfung schon im neuen Hörsaal in Oberschleißheim gemacht und muss sagen, die Einrichtungen sind schon toll.“

Genau das wird den neuen Campus ausmachen: tolle neue Einrichtungen, von der Bibliothek bis zum Skills Labor für Studierende über die Kliniken bis hin zu modernster Infrastruktur für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Und sicher wird bis dahin auch die Nahverkehrsverbindung gut sein – damit die etwa 1.600 Studenten, 300 Doktoranden und 450 Mitarbeiter im Campus Oberschleißheim ein neues Zuhause für ihre Tiermedizin finden.

Interview zum Campus Oberschleißheim „Ein in Europa einzigartiger Campus“ Die Tiermedizin der LMU ist weltweit renommiert. Ihr Standort am Englischen Garten ist aus dem Nukleus der „Thier-Arzney-Schule“ seit über 200 Jahren historisch, aber nicht mehr den neuesten Entwicklungen in Forschung und Lehre gewachsen. In Oberschleißheim entsteht deshalb ein in Europa einzigartiger Campus für die Tierärztliche Fakultät. Die MUM sprach mit Dekan Reinhard Straubinger über Entwicklungen und Herausforderungen.

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