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Social Media und Wahlkampf: „Likes sind noch keine Wählerstimmen“

08.09.2021

Die Nachwuchsforschungsgruppe „Digital Democratic Mobilization in Hybrid Media Systems“ untersucht die Aktivitäten von Parteien und Spitzenkandidierenden auf Facebook und Instagram.

In Deutschland zielt der Wahlkampf auf Massenmedien ab, meint Jörg Haßler: „Soziale Medien ergänzen ihn nur." | © imago images/Sven Simon

Dr. Jörg Haßler vom Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung an der LMU leitet die Nachwuchsforschungsgruppe Digital Democratic Mobilization in Hybrid Media Systems (DigiDeMo). In der heißen Phase des Bundestagswahlkampfes untersuchen er und sein Team die Aktivitäten von Parteien und Spitzenkandidierenden auf Facebook und Instagram. Die Analysen erscheinen ab Anfang September in wöchentlichem Rhythmus auf der Website des Projektes. Erste Überraschungen gibt es bereits.

Herr Dr. Haßler, warum setzen Spitzenkandidierende und Parteien immer stärker auf soziale Netzwerke?


Jörg Haßler:
Das hat vor allem mit der veränderten Medienwelt zu tun. Früher fanden Wahlkämpfe online und offline statt – in den letzten Jahren beobachten wir zunehmen eine Hybridisierung: Kandidierende posten etwas, Medienschaffende greifen das auf und machen es einem größeren Publikum zugänglich, das darauf wiederum in den sozialen Medien reagiert. Ein gutes Beispiel dafür war Armin Laschets Lacher im Hochwassergebiet, der einen Shitstorm auslöste.

Welche Partei hat in den sozialen Netzwerken gerade die Nase vorn?

Haßler: Wie schon in den vorherigen Wahlkämpfen ist die AfD auf Facebook uneinholbar vorn. Die Partei hat mehr Follower als CDU und SPD zusammen. Das spiegelt sich auch bei den Spitzenkandidierenden wider: Alice Weidel ist auf Platz eins und bekommt auch auf ihre Posts sehr viele Reaktionen. Auf Instagram liegen die Grünen vorne, gefolgt von der FDP. Dort sind die Nutzerinnen und Nutzer im Schnitt jünger.

Wird sich das in den Wahlergebnissen widerspiegeln?

Haßler: Bisher gab es noch keinen Fall, in dem eine hohe Interaktionsrate später auch ein hohes Wahlergebnis brachte. Auch die jüngsten Umfragen zeigen, dass sie nicht mit den Reaktionen in den sozialen Netzwerken korrelieren. Die SPD zeigt bisher keine schlüssige Facebook-Strategie, auch auf Instagram hat sie wenig Interaktionen. Laut Umfragen scheint deren Spitzenkandidat Olaf Scholz aber ein richtiges Momentum zu haben.

Warum ist die AfD und ihre Wählerschaft so aktiv?

Haßler: Die AfD kritisiert in ihren Posts oft die Massenmedien, in denen sie unfair behandelt würde. Daher schafft sie sich durch ihren Facebook-Kanal eine alternative Öffentlichkeit. Auch die Menschen, die der AfD folgen, scheinen aktiver zu sein. Genaue Zahlen bekommen wir erst noch, aber sie kommentieren augenscheinlich auch häufiger auf den Seiten der anderen Parteien.

Bei der letzten Bundestagswahl hatte nur rund die Hälfte der Kandidierenden überhaupt ein öffentliches Facebook-Profil, das vor allem für Termine, Selfies und Pressemeldungen genutzt wurde.

Haßler: In den letzten Jahren hat auf jeden Fall eine Professionalisierung stattgefunden. Die Materialien haben in der Regel die Qualität einer Postwurfsendung oder eines Wahlplakats. Mit den ersten Daten haben wir eine Ähnlichkeitsberechnung von Posts gemacht. Dabei zeigt sich: Viele Posts wurden auf Facebook und Instagram nahezu identisch veröffentlicht. Dafür braucht es aufgrund der unterschiedlichen Anforderungen an die Kanäle eine gute Vorbereitung mit Fotos und Videos. Schnellschüsse aus dem Handgelenk haben wir bisher kaum beobachtet.

Wie gehen sie bei der Live-Inhaltsanalyse vor?

Haßler: Das ist gar nicht so kompliziert. Wir fokussieren uns auf die quantitative manuelle Inhaltsanalyse. Das ist wie eine Befragung, nur dass wir niemanden anrufen, sondern studentische Hilfskräfte die Texte „befragen“ lassen. Werden die Namen der Spitzenkandidierenden in den Posts genannt? Sind sie auf den Fotos zu sehen? Diese Informationen übersetzen wir mithilfe eines Codebuchs in Zahlen. So können wir immer weiter in die Materie einsteigen und auch herausfinden, ob zum Beispiel „Negative Campaigning“ betrieben wird.

Wie genau funktioniert das?

Haßler: Regierungsparteien setzen klassischerweise auf die Leistungsbilanzstrategie: Sie verweisen darauf, was sie alles erreicht haben, den „Sie-kennen-mich“-Wahlkampf. Die Opposition setzt üblicherweise auf die Angriffsstrategie und zeichnet ein hypothetisches Bild, was sie anders gemacht hätte. Beispielsweise druckte die SPD vor ein paar Jahren Wahlplakate mit Haien und dem Slogan „Finanzhaie würden FDP“ wählen. In den 60er-, 70er- und 80er-Jahren wurde noch mit deutlich härteren Bandagen gekämpft. Unter Kanzlerin Merkel stand für die Union immer die Leistungsbilanz im Vordergrund.

Wird versucht, durch Meinungsroboter, Falschinformationen, Populismus und zielgenauer Werbung die Menschen in den sozialen Netzwerken zu beeinflussen?

Haßler: Bots spielen aus unserer Sicht keine Rolle, aber es gibt Studien, in denen viele gekaufte Likes und Follower entdeckt wurden. Fake News werden wir wohl auf den zentralen Seiten nicht sehen, diese werden eher über parteinahe Kanäle verbreitet. Nur einmal haben wir einen Post über die Positivraten von Corona-Schnelltests gesehen, der schon hart an der Grenze zur Lüge war. Populismus tritt selten auf, wenn dann bei AfD und Linken. An bestimmte Zielgruppen angepasste Werbeanzeigen sind heute bei allen Parteien gang und gäbe.

Wie sieht es mit der Beeinflussung durch PR-Firmen aus? Das Unternehmen Cambridge Analytica soll beim US-Wahlkampf 2016 und der Brexit-Abstimmung das Wahlverhalten beeinflusst haben.

Haßler: Auch in Deutschland wird von PR-Firmen versucht, Einfluss zu nehmen. Aber der Skandal um Cambridge Analytica ist dazu im Vergleich ein Erdbeben. Bei uns sind die Datenschutzrichtlinien einfach strenger und anders als in den USA haben die Parteien auch nicht das Budget, um einen solchen Aufwand zu betreiben. Bei uns zielt gut geführter Wahlkampf auf Massenmedien ab, soziale Netzwerke ergänzen ihn nur.

Dr. Jörg Haßler leitet die Nachwuchsforschungsgruppe Digital Democratic Mobilization in Hybrid Media Systems.

Wo brauchen Kandidierende Nachhilfeunterricht?

Haßler: Politikerinnen und Politiker achten immer auf eine öffentlich herzeigbare Sprechweise, was die Posts weniger authentisch macht. Viele tun sich auch mit dem direkten Austausch in sozialen Netzwerken schwer.

Die drei großen Ziele im Wahlkampf auf den Plattformen sind Information, Interaktion und Mobilisierung, beispielsweise Spendenaufrufe. Aktuell setzen Parteien so gut wie nur auf Information und präsentieren Themen oder Termine. Vermutlich haben viele vor dem Austausch Angst, weil Facebook berüchtigt dafür ist, dass Diskussionen entgleiten. Es gibt also bei der nächsten Bundestagswahl noch Luft nach oben.

Interview: David Lohmann

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