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Staub zu Staub

09.03.2017

Eine Geschichte des Werdens: Til Birnstiel untersucht, wie im Universum aus kleinsten Teilchen Planeten entstehen. Dafür hat er einen Starting Grant des Europäischen Forschungsrates bekommen – und eine Physikprofessur.

In Fachkreisen gelten die Aufnahmen als Sensation: Sie zeigen den Ort, an dem Planeten geboren werden, in einer bis dahin unerreichten Detailschärfe. Die Bilder präsentieren eine Scheibe und ihre konzentrischen Kreise so psychedelisch leuchtend in Rot und Orange, als handele es sich um ein Studie in Acryl. Das freilich ist ein Laienblick auf TW Hydrae. Wissenschaftler wie Til Birnstiel sehen in den Daten, die ALMA, das neue Radioteleskop der Superlative in der Einöde Nordchiles, geliefert hat, sehr viel mehr: reichlich Stoff für weitere Beobachtungen, neue Theorien und neue Erkenntnisse, die dazu beitragen, das Rätsel der Planetenentstehung zu lösen.

Til Birnstiel untersucht solche protoplanetaren Scheiben, wie sie die ALMA-Aufnahmen zeigen. Der Astrophysiker erforscht, wie in den flachen Wolken aus Gas und Staub rund um einen noch jungen Stern Planeten entstehen. In Jahrmillionen wachsen sie dort aus Ballungen kleinster Staubpartikel zu Tausenden von Kilometern Größe heran. Unzählige solcher Planetenküchen gibt es mutmaßlich im Universum, keine ist jedoch der Erde näher als TW Hydrae. In älteren Aufnahmen weniger leistungsstarker Teleskope erschienen solche Scheiben amorph, mögliche Strukturen gingen in der geringen Auflösung unter. Die ALMA-Daten zeigen klare Zonen und ringförmige Lücken.

Als US-amerikanische Wissenschaftler die neuen TW-Hydrae-Daten in einem Fachblatt vorstellten, gehörte Birnstiel zu den Autoren. Gut drei Jahre war er Postdoktorand am Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics (CfA), Cambridge, USA, als Theoretiker in einer Gruppe für Beobachtende Astronomie. Heute ist der 34-Jährige Professor an der Universitätssternwarte der LMU, der Europäische Forschungsrat (ERC) hat ihn mit einem seiner hoch dotierten Starting Grants ausgezeichnet. Der Umzug nach München liegt nur ein paar Wochen zurück, sein Team muss Birnstiel noch zusammenstellen. Das Büro hat er erst einmal provisorisch bezogen, es muss noch renoviert werden. Neben Schreibtisch und Computern steht darin bislang nur ein weiteres Arbeitsmittel: eine Espresso-Maschine mit Siebträger.

Fast zwei Dutzend protoplanetarer Scheiben wollen die CfA-Wissenschaftler zunächst in höchster Auflösung vermessen, ein Großprojekt. Beteiligt daran ist auch Birnstiel, der nach seinem Wechsel zurück nach Deutschland weiterhin Research Associate am CfA ist. Mit solchen Daten ließen sich erstmals Substrukturen sauber ausmachen, sagt Birnstiel. Dass die Scheiben einfache Teilchenwolken seien – mit dieser Vorstellung räumten die ALMA-Aufnahmen wohl endgültig auf. Doch was haben die Lücken zu bedeuten, die darauf zu sehen sind? Eine mögliche Erklärung ist, dass bereits entstandene Planeten Schneisen in die Partikelwolken gefräst haben. Til Birnstiel hat noch eine andere: Was ein Teleskop in sichtbarem Licht oder Infrarot als Wolke aufzeichnet, resultiert aus der Streuung der Strahlung an der Unzahl von Partikeln – ähnlich wie Zigarettenrauch im Licht eine gut sichtbare Wolke bildet, sagt Birnstiel. Was aber, wenn die kosmischen Teilchen, die ursprünglich wohl tatsächlich die Größe von Partikeln im Tabakrauch haben, bereits zu größeren Konglomeraten angewachsen sind? Dann nimmt der Streueffekt deutlich ab, so folgert der Astrophysiker, die Region erscheint dunkler. „Das bedeutet aber eben nicht, das dort nichts ist.“

Sichtbare Lücken können aber auch durch Bewegungen der Materie in der Scheibe entstehen, durch das Wegdriften von Partikelwolken. „Meist gibt es nicht nur eine Erklärung für eine Beobachtung“, sagt Birnstiel. „Um die jeweils plausibelste Interpretation zu finden, ist viel Detektivarbeit nötig.“ Eine dritte Erklärung hat Barbara Ercolano, ebenfalls Professorin an der Universitätssternwarte, kürzlich veröffentlicht. Ihren Berechnungen zufolge ist im Falle von TW Hydrae die innere, besonders prominente Lücke eine Verfallserscheinung. Die protoplanetare Scheibe habe ihren Zenit überschritten, Astrophysiker geben den Planetenküchen in der Regel höchstens zehn Millionen Jahre. Durch sogenannte Photoevaporation löse sich die TW-Hydrae-Scheibe bereits von innen heraus auf, sagt Ercolano: Die starke Röntgenstrahlung, die der Stern aussendet, bläst das Gas von innen heraus aus der Scheibe – die Partikel werden dadurch auch nach außen getrieben und es entsteht ein Loch.

All diese Erklärungen, die sich aus dem Abgleich von Theorie und Beobachtung destillieren lassen, sind jedoch nur Teile des großen Puzzles der Planetenentstehung, das Forscher wie Birnstiel zusammensetzen wollen. Die Masse der protoplanetaren Scheiben besteht zum allergrößten Teil aus Gasen. Nur etwa ein Prozent ist Staub – Silikate, Kohlenstoffverbindungen, aber auch komplexere Moleküle; die Teilchen sind etwa einen Mikrometer groß. Das Gemisch aus Gas und Staub rotiert um einen Stern, Gravitation und Drehimpuls zwingen die Wolke in die Form einer Scheibe. Durch Zufall stoßen die Teilchen, die sich darin bewegen, zusammen. Es entstehen kleine Ballungen, Oberflächenkräfte halten sie zusammen. „So wie sich Staubflusen bilden, wenn man die Wohnung länger nicht geputzt hat“, sagt Birnstiel.

Doch schon, wenn die kosmischen Körner Millimetergrößen erreichen, zerstören sie sich bei Kollisionen gegenseitig, außerdem driften größere Bröckchen der Gravitation wegen nach innen, Richtung Stern. Wie aber können sie dann weiter wachsen? Offenbar gibt es in den protoplanetaren Scheiben regelrechte Staubfallen, die genau das ermöglichen. Bis vor vier Jahren war das nur ein theoretisches Konzept, erzählt Birnstiel. Dann entdeckten Astrophysiker bei einer protoplanetaren Scheibe unsymmetrische Anhäufungen millimetergroßer Teilchen, während feine Partikel sich weiterhin konzentrisch um den Stern verteilten. In solchen Staubfallen herrschen höhere Drücke, die größere Teilchen auf ihrer Drift gleichsam einsammeln und schließlich auch Verdichtung und Ballung erlauben – über lange Zeiträume bis hin zur Größe von Asteroiden, die gut und gerne einen Durchmesser von 100 Kilometern haben können.

Birnstiel will diesen Wachstumsprozess nun vollständig in Gesamtmodelle fassen, die die einzelnen Beobachtungen erklären können und gleichzeitig Vorhersagen treffen, die sich wiederum mit weiteren Beobachtungen bestätigen lassen. Es ist also ein fortwährendes Wechselspiel von Theorie und Beobachtung, ein aufwendiges Verfahren: Für komplexe Modelle sind Großrechner schon mal mehrere Wochen im Einsatz.

In seinem ERC-Projekt will Birnstiel allerdings noch mehr: In seinen Modellen wird er nicht nur die Dynamik und die Entwicklung des Staubes simulieren, sondern dies auch mit Daten zur chemischen Zusammensetzung der Scheiben verbinden. Auch dabei können ALMA-Daten helfen. Das Teleskop sieht sozusagen nicht nur den Staub, sagt der LMU-Forscher, sondern auch Spuren der Gasmoleküle. „Man bekommt damit eine Idee davon, was die restlichen 99 Massenprozente in den Scheiben machen.“ Mit solchen Daten ließe sich beispielsweise auch einer Antwort auf die Frage näherkommen, unter welchen Bedingungen Planeten wie die Erde entstehen, die Wasser auf ihrer Oberfläche haben können, und wie sich eine spezifische Atmosphäre um einen Planeten zusammensetzt.

Zur Theoretischen Astrophysik ist Birnstiel erst in seiner Doktorarbeit gekommen, unter anderem deswegen, weil ihn die stark rechnergestützte Physik gereizt hat. Er hat in Würzburg und Albany, USA, studiert und in Heidelberg promoviert. Schon als Postdoktorand hat Birnstiel im Übrigen in Barbara Ercolanos Gruppe geforscht, von Sommer 2011 an für eineinhalb Jahre. Dann kam das Angebot aus Cambridge, USA. „Das konnte man nicht abschlagen“: Birnstiel ging für rund drei Jahre an das CfA. Er kam zurück an das Max-PIanck-Institut für Astronomie in Heidelberg, an dem er bereits Doktorand und schon einmal Postdoktorand war. Mit dem Institut warb er erfolgreich einen der prestigeträchtigen Starting Grants ein, doch wechselte Birnstiel mit der Förderzusage des ERC in der Tasche an die LMU.

Was Birnstiel nach München zog, so sagt er, war neben dem wissenschaftlichen Umfeld aus LMU, Technischer Universität, Max-Planck-Instituten und ESO (European Southern Observatory), das zu den Betreibern des Teleskops ALMA gehört, vor allem die Karriereperspektive, wie sie die LMU schafft. Für junge Wissenschaftler fehle in Deutschland ein auch nur ansatzweise geebneter Karriereweg. „Zwischen dieser ersten Postdoc-Zeit und einer Professur gibt es so ziemlich nichts“, sagt Birnstiel. Der Europäische Forschungsrat helfe, diese Lücke zu schließen: Der Starting Grant biete über fünf Jahre beste Forschungsbedingungen und damit ein weiteres Karrieresprungbrett. Die LMU verbessert diese Aussichten noch entscheidend: Sie bietet jungen Forschern, die einen Starting Grant eingeworben haben, die Möglichkeit auf eine sogenannte Tenure-Track-Professur. Die ist zunächst befristet, kann aber zu einer Dauerstelle werden, wenn die Forschungsleistungen bei einer Begutachtung positiv bewertet werden. „Das gibt uns Forschern eine faire Zukunftsperspektive.“

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