News

Stiftung für Kinder mit seltenen Erkrankungen: Forschen, um zu heilen

14.06.2023

Erforschung und Behandlung seltener Erkrankungen bei Kindern als Schlüssel zu einer neuen Denkweise in der Medizin: die Care-for-Rare Foundation am Dr. von Haunerschen Kinderspital

Kind im Krankenhaus

Mehr als 8000 seltene Erkrankungen sind bislang bekannt. Die Care-for-Rare Foundation kümmert sich um betroffene Kinder. | © Care-for-Rare Foundation

„Kinder mit seltenen Erkrankungen sind die Waisen der Medizin“, sagt Professor Christoph Klein, Direktor der Kinderklinik und Kinderpoliklinik im Dr. von Haunerschen Kinderspital der LMU. Häufig haben die kleinen Patientinnen und Patienten Odysseen von Arzt zu Arzt hinter sich: Je seltener eine Erkrankung, desto schwieriger ist es, Expertinnen oder Experten zu finden, die sich mit ihrer Diagnose und Behandlung auskennen.

Unter dem Leitsatz, dass kein Kind leiden soll, weil seine Erkrankung zu selten und deshalb zu wenig erforscht ist, rief Klein 2009 die Care-for-Rare Foundation ins Leben. Die Stiftung hilft über Ländergrenzen hinweg, um Kindern mit seltenen Erkrankungen Hoffnung auf Heilung zu geben – ohne Ansehen ihrer Herkunft und der finanziellen Möglichkeiten.

Der erste Patient kann womöglich vielen weiteren helfen

„Unsere Forschung beginnt oft mit einem einzelnen Kind und einer einzelnen Familie“, erzählt Christoph Klein. „Wir laden sie ein, an Forschungsprojekten teilzunehmen. Im besten Fall helfen wir mit dieser Zusammenarbeit nicht nur dem Kind, dessen Erkrankung wir erforschen, sondern schaffen damit auch die Grundlage, um Patientinnen und Patienten zu heilen, die später zu uns kommen und ganz andere Erkrankungen haben.“

So wie bei Christoph Kleins Patienten Sevkan. Er war sechs Jahre alt, als er und seine Familie die Hilfe der Care-for-Rare Foundation suchten. „Sevkan hatte sein halbes Leben in Krankenhäusern verbracht“, erzählt Christoph Klein. „Insgesamt drei Jahre lang wurde er in zwölf verschiedenen Kliniken behandelt wegen einer schweren Darmentzündung, die niemand in den Griff bekam. Die Ärztinnen und Ärzte hatten alles versucht, was im Lehrbuch steht, von Ernährungstherapie über antientzündliche Medikamente bis hin zur chirurgischen Teilentfernung des Dickdarms. Nichts half.“

Als sich Sevkans Familie an die Care-for-Rare Foundation wandte, schienen alle therapeutischen Möglichkeiten ausgeschöpft. Mithilfe der Stiftung initiierte Klein ein Forschungsprojekt: Ein Team von Ärztinnen und Ärzten machte sich daran herauszufinden, was den Jungen so schwer krank machte. Klein und seine Kolleginnen und Kollegen fanden schließlich einen winzigen Webfehler in Sevkans Genom. „Die schweren Entzündungen des Darms wurden dadurch hervorgerufen, dass eine Antenne auf seinen Immunzellen nicht funktionierte“, schildert Klein den Fall. „Nachdem wir das festgestellt hatten, konnten wir eine ganz neue Behandlungsmethode wählen und Sevkans Stammzellen austauschen – dies führte dazu, dass Sevkans Darmentzündung innerhalb weniger Wochen ausheilte.“

Sevkans Genesung motivierte Klein dazu, andere Kliniken einzuladen, um gemeinsam die Ursachen von schwersten Darmentzündungen bei Kindern zu erforschen. Mittlerweile hat das unter dem Dach der Care-for-Rare Foundation zusammengeschlossene internationale Forschungskonsortium mehr als 3.000 Kinder untersucht und eine Fülle neuer Gendefekte gefunden, für die nun systematisch therapeutische Ansätze erprobt werden. „Das geht alles auf unseren Patienten Sevkan zurück“, sagt Klein. „Er ist unser Held.“

Pioniere einer neuen Denkweise in der Medizin

Der Fall Sevkan illustriert, wie sich bei der Erforschung seltener Krankheiten vorangehen lässt: Ausgehend von der zeit- und ressourcenintensiven Erforschung der seltenen Erkrankung eines einzelnen Patienten konnten die Ärztinnen und Ärzte neue Erkenntnisse nicht nur über diese, sondern über viele weitere Erkrankungen gewinnen. „Wir erkennen, dass die Kinder, die so lange im Schatten standen, zunehmend zu Pionieren werden für eine neue Denkweise in der Medizin“, sagt Christoph Klein. „In dieser Form der personalisierten Medizin sehen wir uns die Einzelfälle ganz genau an. Und gerade mit diesem individualisierten Ansatz können wir komplexe Erkrankungen sehr viel besser in ihrer jeweiligen Ausprägung verstehen – um dann wieder allgemeine Rückschlüsse zu ziehen.“

Viele der mehr als 8.000 bekannten seltenen Erkrankungen haben eines gemeinsam: Sie gehen auf einen einzigen genetischen Webfehler zurück. Die meisten genetischen Erkrankungen zeigen sich bereits im Kindes- und Jugendalter. Diese monogenetischen Erkrankungen ermöglichen neue Wege der Forschung. „Wenn man Erkrankungen bei Erwachsenen betrachtet und untersucht, woran Menschen sterben – Herzkreislaufprobleme zum Beispiel oder Diabetes –, dann findet man Tausende von genetischen Variationen, ein Durcheinander in den Signalwegen der Zellen. Da sind Proteine kaputt, funktionieren Stoffwechselprozesse oder Rezeptoren nicht. Aber es ist sehr schwierig zu erkennen, warum das alles passiert. Bei den Kindern können wir das besser erforschen, denn alle Veränderungen lassen sich auf ein einziges Gen zurückführen“, sagt Klein. „Damit lassen sich auch die komplexen Veränderungen bei häufigen Erkrankungen Erwachsener besser verstehen.“ Die Erforschung der seltenen Erkrankungen von Kindern hat deshalb auch eine große Bedeutung für die Gesundheit erwachsener Menschen.

News

LMU Klinikum: Spatenstich für das Neue Hauner

Weiterlesen

Christoph Klein ist dankbar, dass die Münchner Kindermedizin mit dem Neuen Hauner, das in den kommenden Jahren gebaut wird, eine neue und moderne Klinik bekommen soll. Aber die Probleme der Kindermedizin sind damit noch nicht gelöst. Denn auch in der Medizin gelte: „Alles, was mit Kindern zu tun hat, ist strukturell defizitär.“ Gerade deswegen spielt die Care-for-Rare Foundation so eine zentrale Rolle: Die Stiftung schafft Räume zum Denken. „Das Gesundheitswesen belohnt Prozesse, die personalarm und technikintensiv sind, die man durchtakten kann. Jeder, der mit Kindern arbeitet, weiß, dass dies bei Kindern nicht gehen kann“, sagt Klein.

Während ein Kreiskrankenhaus im Alltag mit etwa 200 verschiedenen Krankheiten zu tun hat, gilt es am Dr. von Haunerschen Kinderspital, allen etwa 8.000 seltenen Erkrankungen gerecht zu werden, nicht nur in der klinischen Versorgung, sondern auch in der Forschung. Dafür sind auch entsprechende Räumlichkeiten für die Wissenschaft nötig, die in der aktuellen Planung des „Neuen Hauner“ noch nicht berücksichtigt sind. Deshalb hofft Klein auf philanthropisches Engagement: Am Neuen Hauner möchte er ein Care-for-Rare Research Center einrichten, das Klinik und Forschung auf hohem Niveau verbindet und die Münchner Kindermedizin mit internationalen Partnern vernetzt. Es soll als Teil des neuen Deutschen Zentrums für Kinder- und Jugendgesundheit eine Grundlage dafür bieten, dass aus den bisherigen Waisen der Medizin die Pioniere einer personalisierten Präzisionsmedizin von morgen werden.

Care-for-Rare Foundation: Stiftung für Kinder mit seltenen Erkrankungen

Stiftungen an der LMU zur Unterstützung des Dr. von Haunerschen Kinderspitals

Dr. von Hauner rief im Jahre 1846 zur Umsetzung seiner Vision der stationären Versorgung von jungen Patienten einen „Verein edelgesinnter Menschen“ ins Leben. Seit der Gründung sind viele Wohltäterinnen und Wohltäter diesem beigetreten und haben große und kleine Stiftungen an der LMU zur Unterstützung des Dr. von Haunerschen Kinderspitals gegründet.

Neben der Care-for-Rare Foundation gehören unter anderem folgende Stiftungen dazu:

• Retzbach-Meth-Stiftung zur medizinischen Betreuung und Versorgung an Krebs, Mukoviszidose, Rheuma und sonstiger schwersterkrankter Kinder

• Marianne Schmidbauer-Landes-Stiftung zur medizinischen Betreuung und Versorgung schwerstkranker Kinder sowie zur Unterstützung von deren Familien

• Margarete Eder-Stiftung zur Betreuung und Versorgung krebskranker Kinder sowie zur finanziellen Unterstützung der Angehörigen der Kinder

• Nachlass Augusta Welser zur Unterstützung der Onkologischen Abteilung im Dr. von Haunerschen Kinderspital

• Christina-Bergmann-Stiftung zur Unterstützung der Kinderkrebsforschung

• Prinz Lennart von Hohenzollern-Stiftung zur Unterstützung von Forschungsvorhaben zu angeborenen Stoffwechselerkrankungen

Überblick: Stiftungen im Bereich Medizin an der LMU

Klinikum der LMU: Spendenmöglichkeit für Das Neue Hauner

Mehr über die Stiftungen an der LMU

Themenseite: Stiftungen der LMU im Porträt

Stiftungen@LMU: Dienstleistung rund um die Themen Stiften und Spenden

Wonach suchen Sie?