Stipendiaten vorgestellt: Polina Larina - Der Traum vom Lernen und Lehren
04.05.2017
Der Tod ihres Vaters, eiserne Disziplin und ihre Frau führten Polina Larina von Usbekistan über die USA nach Bayern
04.05.2017
Der Tod ihres Vaters, eiserne Disziplin und ihre Frau führten Polina Larina von Usbekistan über die USA nach Bayern
Bis Polina Larina zwölf Jahre alt war, hatte sie eine unbekümmerte Kindheit in Usbekistan. Ihr Vater arbeitete im Ausland, verdiente ausreichend viel Geld und konnte der Familie einen guten Lebensstandard bieten. Doch 2005 starb er bei einem tragischen Autounfall. „Das hat meine Welt auf den Kopf gestellt“, erzählt Polina mit leiser Stimme. Neben dem Verlust hat der Todesfall die Familie auch finanziell beinahe ruiniert. Als sie die Situation langsam realisiert hatte, merkte sie: „Ich trage jetzt ganz allein die Verantwortung für meine Zukunft.“ Also lernte die Teenagerin mehr als je zuvor. Mit Erfolg: Dank ihrer guten Noten wurde sie an einer internationalen Schule aufgenommen.
Nach ihrem internationalen Abitur wollte die 17-Jährige mehr. In Usbekistan zu studieren, kam für sie nicht in Frage. Sie wollte einen höheren Bildungsstandard, auch wenn sie dafür ihre Heimat Taschkent, die Hauptstadt Usbekistans, verlassen musste. Ihre guten Leistungen überzeugten Universitäten in Bulgarien und sogar den USA. „Damals wäre ich lieber in das nahe und vertraute Bulgarien gegangen“, sagt sie und lacht. Zum Glück habe sie ihr Bruder ermutigt, in die USA zu gehen. „So machte ich mich mit 18 Jahren, einem Rucksack voller Naivität und einem Vollstipendium für das Berea College in Kentucky auf eine lange Reise.“ Und es kam, wie es kommen musste.
Im Verlauf ihres Studiums bekam Polina aufgrund herausragender Studienleistungen gleich mehrere Stipendien. Außerdem war sie Mitglied in verschiedenen Ehrenverbindungen, zu denen nur die besten zehn Prozent eines Jahrgangs Zugang haben. 2015 schloss sie ihr Doppelstudium Kommunikationswissenschaft und Deutsch mit Bestnote ab: summa cum laude. Zusätzlich erhielt sie für ihre Bachelorarbeit zum Thema „Nicht-normative Liebesbeziehungen, wie interkulturelle, gleichgeschlechtliche oder Fernbeziehungen“ den Franklin Shirley Award für die beste wissenschaftliche Arbeit. Denn die heute 23-Jährige will mehr als nur gute Studienleistungen.
Polina bezeichnet sich selbst als „queer“, also als Mensch mit einer von der Heteronormativität abweichenden Lebensweise: „Ich finde es wichtig, das Thema sichtbar zu machen und angesichts der beunruhigenden Entwicklungen in Europa und den USA darüber zu sprechen.“ Nachdem sich außer der Soziologie und Gender Studies keine Disziplin damit auseinandersetze, wolle sie auch in ihrer zukünftigen Forschung im Bereich interkulturelle Kommunikation einen Schwerpunkt darauf setzen. Eben dieses Thema war auch für ihren Umzug nach Deutschland mitverantwortlich.
Während ihres Studiums bekam Polina von ihrer Universität ein Auslandssemester finanziert. Wie es der Zufall wollte, hatte das Berea College eine Kooperation mit der Universität Regensburg. Dort verliebte sie sich in Bayern – und ihre Frau. „Ich habe mich in Regensburg sofort zu Hause gefühlt“, erzählt sie rückblickend. Nach ihrem Studium bewarb sich Polina daher an der LMU, obwohl sie weder ein Stipendium noch viele Ersparnisse hatte. Vor allem das Studienfach Interkulturelle Kommunikation hatte es ihr angetan, weil es alles vereine, „was meinen Lebenslauf und meine Persönlichkeit ausmacht“. Obwohl das Master-Studium in Deutschland noch einmal fokussierter, proaktiver und selbstständiger als ihr Bachelor-Studium in den USA verläuft, würde sie am liebsten gar nicht mehr weg von der LMU.
„Wenn ich für immer an der Uni bleiben dürfte, würde ich das sofort tun“, scherzt Polina. Ursprünglich wollte sie direkt nach ihrem Master promovieren. Doch so oft habe sie den Satz gehört, Dozenten und wissenschaftliche Mitarbeiter hätten zu wenig Ahnung von der realen Welt. Daher will die 23-Jährige jetzt erst einmal ein paar Jahre Berufserfahrung sammeln und das anwenden, was sie während ihres Studiums mit der Durchschnittsnote 1,0 gelernt hat. „Wenn ich mich und die Berufswelt besser kenne, werde ich aber Dozentin für Interkulturelle Kommunikation“, versichert sie
Das Deutschlandstipendium unterstützt Polina auf ihrem Weg. Denn ohne die finanzielle Förderung wären ihre Ersparnisse längst aufgebraucht. „Das Deutschlandstipendium bedeutet für mich die Freiheit, weiter täglich meiner Leidenschaft fürs Lernen und Lehren nachzugehen“, betont sie. Dafür sei sie bereits Feuer und Flamme gewesen, als sie noch zu Hause in Usbekistan als Tutorin ehrenamtlich Kinder mit Behinderungen in Englisch unterrichtete. „Ich bin einer von diesen komischen Menschen, die in ihrer Freizeit gerne Theorien und Neues lernen.“ Gerade habe sie sogar angefangen, neben ihrem Studium noch Spanisch zu lernen.
Polinas überdurchschnittliche Leistungen wecken natürlich Erwartungen von Dozenten, Förderern – und von ihr selbst. „Mir war aber klar, dass ich dafür Opfer bringen muss“, unterstreicht sie. Dazu zählt vor allem: Schlaf. Und manche Tanzaufführung, ein weiteres Hobby. Und natürlich unzählige soziale Veranstaltungen. Ohne viel Arbeit, Hingabe und manche Umwege ließe sich ihr Vorhaben eben nicht umsetzen, erklärt die 23-Jährige. Für ihren Karrieretraum ist sie bereit, viele Abstriche zu machen. Nur eines vermisst Polina wirklich: die heißen und sonnigen Sommer in ihrer Heimat Usbekistan.