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Süßwasserquallen aus China: Weit verbreitet, meist unsichtbar

03.08.2023

Die chinesische Süßwasserqualle verbreitet sich weltweit, auch in Deutschland. LMU-Biologe Herwig Stibor beobachtet ihren Eroberungszug und schätzt mögliche ökologische Folgen ein.

Ursprünglich kommt sie aus China, aber in warmen Sommern wird sie zunehmend auch in heimischen Gewässern gesichtet: Bei Wassertemperaturen von etwa 25 Grad schwebt die Süßwasserqualle als etwa zwei bis drei Zentimeter große Meduse durch das Wasser. Schwimmer oder Taucherinnen begegnen den für Menschen vollkommen harmlosen Quallen deshalb nur in heißen Jahren.

Qualle
© IMAGO / agefotostock / Qin Tingfu / Photoshot

In einem anderen, höchst unscheinbaren Lebensstadium dagegen ist sie wahrscheinlich längst überall verbreitet, vermutet Herwig Stibor. Der Professor für Aquatische Ökologie erforscht die Ökologie von Craspedacusta sowerbii – so der wissenschaftliche Name der Qualle – und hat dabei besonders die nur ein bis zwei Millimeter großen Polypen im Blick, aus denen sich die Medusen abschnüren. Als solche Polypen verbringen die Quallen ihr Leben am Boden von Gewässern, wo sie an Steinen, Holz oder Pflanzen „andocken“ und festwachsen. „Bisher wurden meist nur die Medusen beschrieben, weil sie einfach zu sehen sind“, sagt Stibor. „Aber das ist eigentlich nur ein kleiner Teil des Lebenszyklus der Qualle. Wenn wir ihre Invasionsdynamik verstehen wollen, müssen wir auch dieses Bodenstadium verstehen, das bisher so gut wie nie untersucht wurde.“

Unzerstörbare Überlebenskünstler

Professor Herwig Stibor

Professor Herwig Stibor | © LMU

Im Gegensatz zur Meduse mit ihren Temperaturansprüchen sind Polypen äußerst widerstandsfähig, was die Qualle zu einer höchst invasiven Art macht: „Die Polypen überleben alles, indem sie Dauerstadien bilden. Die Dauerstadien sind gegen Austrocknen resistent, man könnte sie sogar bei -250 Grad einfrieren oder in Schwefelsäure kochen und sie überleben“, staunt Stibor. Die Dauerstadien haften an Wasservögeln, an Libellen, aber auch an Booten oder Badekleidung und verbreiten sich auf diese Weise höchst effektiv von See zu See weiter. Als Polyp kann sich die Qualle auch mit der Strömung von Flüssen verbreiten. „Dort kommt nie eine Meduse vor, weil die in Flüssen nicht leben kann, aber nach Überschwemmungen können dann zum Beispiel in Auengewässern Quallen auftauchen.“ Zudem können sich Polypen ungeschlechtlich vermehren, indem sie sich einfach teilen. Deswegen reicht unter Umständen ein eingeschlepptes Individuum, um einen ganzen See zu besiedeln.

Für Stibor war es daher wenig überraschend, dass er mit seiner Mitarbeiterin Dr. Sabine Giessler und dem Doktoranden Stefan Dehos in praktisch jedem beprobten bayerischen See Polypen aufgespürt hat. „In vielen Seen schnüren sie nur noch keine Medusen ab.“ Aber die Häufigkeit der Medusen-Sichtungen nimmt zu, das erfahren die Forschenden auch durch ein Citizen-Science-Projekt, bei dem Bürgerinnen und Bürger ihre Sichtungen der Aquatischen Ökologie melden können. Stibor führt dies auf die Klimaveränderungen zurück: „Es ist nicht so, dass die Quallen schlagartig neue Gewässer besiedeln, die Polypen waren eigentlich schon immer da. Nur dass sie Medusen abschnüren, ist seit den 1990er-Jahren aufgrund der Gewässererwärmung exponentiell angestiegen.“

Von China in den Botanischen Garten München

Winzige Polypen haften an Steinen. | © LMU

Die Qualle verbreitet sich seit mehr als 100 Jahren vom chinesischen Yangtse-Fluss aus über die ganze Welt. „Meistens ist sie zuerst in Botanischen Gärten aufgetaucht, wahrscheinlich durch Wasserpflanzenimporte aus China“, erzählt Stibor. In Deutschland wurde die Qualle das erste Mal 1908 in einem Seerosenteich im Botanischen Garten in München entdeckt. Diese Ur-Exemplare sind bis heute in der zoologischen Staatssammlung archiviert. Anhand genetischer Vergleiche konnte Stibor nachweisen, dass sich die Nachkommen dieser Polypen auch heute noch in Gewässern finden. „Inzwischen sind noch drei bis vier andere Formen dazugekommen, und vermutlich gibt es mittlerweile zwei eingeschleppte Arten von Süßwasserquallen, die aber morphologisch nicht auseinandergehalten werden können“, erzählt Stibor. „Wahrscheinlich wurden die Quallen also mehrfach eingeschleppt.“

Obwohl die Süßwasserquallen sich so erfolgreich verbreiten, sieht Stibor bislang keine ökologischen Probleme durch den Einwanderer. In einer aktuellen Studie konnte sein Team zeigen, dass die Polypen wohl keine Nahrungskonkurrenz für andere kleine Wasserbewohner wie den Wasserfloh darstellen. Die Medusen dagegen konkurrieren stark mit Jungfischen um kleine Krebstiere und Plankton, das sie mit ihren Tentakeln fangen. In Deutschland sei ihr Auftreten aber zu sporadisch und zu lokal, um einen Effekt zu haben, so Stibor. Anders könne dies möglicherweise in Regionen mit höheren Temperaturen aussehen, etwa in Israel. „In einem Zufluss zum See Genezareth wurde 2016 eine Qualle gefunden, und da der See der einzige große See Israels ist, gibt es dort immer Sorgen, dass invasive Arten beispielsweise die Fischerei beeinflussen könnten.“ Im Rahmen einer Forschungskooperation der LMU mit der Universität Tel Aviv untersucht Stibor derzeit systematisch, ob in den Zuflüssen zum See Genezareth und im See selbst Polypen vorhanden sind und falls ja, wie weit sie sich bereits verbreitet haben.

Ein Rätsel: Medusen sind vorwiegend weiblich

Mini-Zuchtbecken im Labor in Martinsried. | © LMU

Zuhause in seinem Labor in Martinsried hält Stibor Hunderte von Polypen-Kulturen in kleinen Mini-Zuchtbecken. Dort leben Vertreter aller bekannten genetischen Typen, sodass die Biologinnen und Biologen untersuchen können, ob die verschiedenen Linien sich in bestimmten Eigenschaften unterscheiden, etwa ob manche unempfindlicher gegenüber Wasserverschmutzung sind als andere. Im Sommer schnüren die Polypen auch im Labor Medusen ab. Mit deren Hilfe möchte Stibor auch einem Rätsel auf den Grund gehen: Wie bei allen Quallen dienen Medusen der sexuellen Fortpflanzung, grundsätzlich können also männliche und weibliche Exemplare entstehen – aber außerhalb Chinas wurde sexuelle Vermehrung noch nie nachgewiesen, auch die genetischen Untersuchungen Stibors ergaben keinerlei Evidenz dafür.

Außerdem fanden die Forschenden in den Hunderten von Seen, die sie untersuchten, praktisch ausschließlich weibliche Medusen. „Die einzige Ausnahme sind zwei kleine bayerische Seen bei Rosenheim und Ingolstadt, wo es auch Männchen gibt. Voriges Jahr konnten wir Männchen und Weibchen sogar zeitgleich finden. Aber selbst dort kommt es nicht zur sexuellen Fortpflanzung“, wundert sich Stibor. „Und im nächsten See, der nur 15 Meter entfernt ist, kann man wieder analysieren, was man will, man findet dort kein Männchen.“ Der Biologe will nun in seinen Mini-Aquarien untersuchen, aus welchen Polypen möglicherweise Männchen entstehen, und der Fortpflanzungsbarriere auf den Grund gehen. Auch aus evolutionsbiologischer Sicht ist das eine interessante Frage, denn durch sexuelle Fortpflanzung kann sich die genetische Vielfalt vergrößern und neue, eventuell besser angepasste Typen hervorbringen. „Dann würden ganz neue Dynamiken entstehen.“

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