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Tageslänge bremst Pflanzen nicht

16.10.2016

Die meisten Gehölze der gemäßigten Zone richten sich beim Zeitpunkt ihres Austriebs nicht nach der Tageslänge, sondern nach der Temperatur und der Zahl der vorangegangenen Kältetage. Das zeigt eine neue Studie von LMU-Botanikern.

Temperatur oder Tageslänge – welche Umweltfaktoren initiieren den Blattaustrieb im Frühjahr? Die Kenntnis darüber ist wichtig, um die Auswirkungen des Klimawandels auf die Vegetation abzuschätzen. Weithin wird angenommen, dass wärmere Temperaturen zu einem früheren Austreiben führen und die Vegetationsperiode verlängern, sodass mehr Kohlenstoff in der Biomasse gespeichert werden kann. Allerdings kann der Blattaustrieb nicht nur von der Temperatur, sondern auch von der Tageslänge beeinflusst werden – und da die Tageslänge sich auch in Zeiten des Klimawandels nicht ändern wird, könnten lichtabhängige Arten beim Blattaustrieb weniger auf steigende Temperaturen reagieren. „Bisher ist aber nur für wenige Gehölze wirklich bekannt, ob sie sich eher nach der Tageslänge oder nach der Temperatur richten, deshalb können noch keine mechanistischen Modelle zur Vorhersage des Blattaustriebs aufgestellt werden“, sagt die LMU-Botanikerin Professor Susanne Renner, die diese Frage mit ihrem Team nun in einer umfangreichen Studie untersucht hat. Über ihre Ergebnisse berichten die Wissenschaftler im Fachmagazin Nature Climate Change.

Die Wissenschaftler brachten Zweige von 173 Gehölzarten, die in den gemäßigten Breiten der nördlichen Hemisphäre wachsen, im Labor bei unterschiedlichen Tageslängen zum Austrieb. Die Zweige hatten sie an drei unterschiedlichen Terminen im Winter im Botanischen Garten München geschnitten. Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass bei der überwiegenden Mehrheit der Arten (65%) die Tageslänge keine Rolle spielte. Für die meisten restlichen Arten verlor das Licht umso mehr an Einfluss, je mehr Kältetage die Pflanze vor dem Schnitt erlebt hatte. Nur für vier Arten – darunter drei Buchenarten – war die Tageslänge unter allen Bedingungen wichtig.

Nach Ansicht der Wissenschaftler hängt dies mit den klimatischen Gegebenheiten im Herkunftsgebiet der Arten zusammen: Alle Arten, bei denen die Tageslänge eine wichtige Rolle spielte, stammen aus vergleichsweise südlichen Regionen mit relativ milden Wintern. In diesen Klimaten hilft die Tageslängen-abhängige Strategie, im Winter die Vegetationsruhe zu bewahren und erst auszutreiben, wenn kein Frost mehr droht. In Regionen mit längeren Wintern dagegen, in denen die Durchschnittstemperatur mehr als sieben Monate im Jahr unter 5°C liegt, halten konstant kalte Temperaturen die Pflanzen sowieso im Ruhezustand. „Als Schutz gegen Frostschäden wiederum können sich nördlichere Pflanzen nicht auf das Licht verlassen“, sagt Doktorand Constantin Zohner, der Erstautor der Arbeit. „Die kritische Periode für die Wahrnehmung von Licht ist die Zeit um die Tag- und Nachtgleiche Ende März, wenn die Tageslänge am stärksten zunimmt. Dann ist es in diesen Regionen aber noch viel zu früh, um Frost auszuschließen.“ Die Wissenschaftler gehen daher davon aus, dass die Tageslänge ein klimabedingtes früheres Austreiben von Gehölzen nur in milderen Regionen bremst – es sei denn, die Tageslängen-abhängigen wärmeliebenden Spezies breiten sich im Zuge der Erderwärmung weiter nach Norden aus. Da die letzten Nachtfröste in Deutschland im Vergleich zu 1955 durchschnittlich bereits mehr als zwei Wochen früher auftreten, ist diese Möglichkeit durchaus realistisch.Nature Climate Change 2016

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