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Theodor Hänsch: In seinem Element

29.10.2021

LMU-Nobelpreisträger Theodor Hänsch wird 80 Jahre alt. Der Physiker erzählt von seinen wichtigsten Entdeckungen, was ihn antreibt, aber auch von explodierenden Chemikalien, pinkfarbenen Laserpistolen und seinen Begegnungen mit Steve Jobs und Bill Gates.

Lebhaftes Stimmengewirr erhebt sich, als Angela Merkel das Garchinger Max-Planck-Institut für Quantenoptik betritt, es geht um Zukunftsvisionen. Quantencomputer sind Hoffnungsträger, es könnte der Beginn einer neuen Ära des Rechnens sein. Mittendrin filmt Theodor Hänsch mit einer kleinen Handkamera mit speziellem Stabilisator die Kanzlerin, wie die sich Hightech-Aufbauten im Labor vorführen lässt. „Wann hat man schon mal die Möglichkeit, Frau Merkel in unserem Institut zu treffen“, sagt Hänsch wenige Wochen später beim Treffen in seinem Büro. Der Nobelpreisträger war als Direktor seiner aktiven Emeritusabteilung dabei. „Sie hat als einzige die kleine Kamera gesehen, mich kurz irritiert angeschaut, dann die Kamera, dann wieder mich und gelacht.“ Ein Nobelpreisträger darf das. Hänsch lacht bei dieser Geschichte, es ist ein typisches Lachen. Die Augen werden schmaler, man sieht die kleine Zahnlücke zwischen seinen Schneidezähnen. Jung sieht er dann aus, so jung, wie sich der bald 80-jährige Forscher vielleicht immer noch fühlt.

Vermutlich gab es dieses Lachen schon, als er in der Bunsenstraße in Heidelberg im Haus seiner Eltern als Junge zu experimentieren begann. Seine Forscherlaufbahn begann kurios. „Ich war neugierig, was man tun muss, um eine Straße nach sich benannt zu bekommen“, erzählt Hänsch. Da habe ihm sein Vater als Antwort einen Bunsenbrenner mitgebracht. Es war der Auftakt für seine chemischen Versuche. Hänsch besorgte sich bisweilen in der Apotheke „interessante Chemikalien“ und versteckte sie unter dem Bett im Schlafzimmer seiner Eltern. „Sie wussten nicht, was ich da mit meinen zwölf Jahren so trieb“, sagt Hänsch. Bis ihm eine Mixtur etwas zu dynamisch geriet. Die folgende Explosion sengte ihm die Augenbrauen weg und er hörte ein paar Tage schlechter. „Gut, dass ich das Pulver nicht schon in eine Röhre gefüllt hatte“, sagt Hänsch und lacht wieder. Es war doppelt gut, denn er kam nicht nur unbeschadet heraus, sondern traf auch angesichts des Ereignisses eine weitreichende Entscheidung. Er wurde Physiker.

Theodor Hänsch in seinem Labor in der Münchner Schellingstraße

© privat

"Steve, der taugt noch nichts, da braucht ihr eine Speichererweiterung!"

Geschichten über Nobelpreisträger lassen sich nicht immer mit dieser höheren Heiterkeit erzählen. Die Geschichte des Theodor Hänsch ist eine, bei der man manchmal verwundert ist, wie ereignisreich ein Leben verlaufen kann, wie ein Mensch zielgerichtet und doch irgendwie auch zufällig seinen Weg geht und schließlich im Olymp der Forscher landet. Nobelpreisträger für Physik ist ja schon etwas Außerordentliches, aber wer stand schon mit Steve Jobs und Paul Wozniak, den Gründern von Apple, in der berühmten Garage in Mountain View und sagte über deren ersten, zusammengelöteten Rechner: „Der taugt noch nichts, da braucht ihr eine Speichererweiterung“? Wer verfolgte beinahe wöchentlich im Homebrew Computer Club, wie Bill Gates seine neueste Software vorstellte und auf gelochten Papierrollen zum Kauf anbot? Und wie schafft man es, trotzdem ein Leben lang neugierig zu bleiben?

Und so steht wenige Tage vor seinem 80. Geburtstag in seinem Labor in der Münchner Schellingstraße im Physikgebäude der LMU ein Mann, der immer noch gern neue Dinge ausprobiert. „Mich treibt noch heute mein Erfindergeist, ich folge meinem Instinkt und mache Versuche, ohne zu wissen, wohin genau das führt“, sagt er. Es ist ein ziemlich großer Raum voll mit High-Tech-Geräten, mit Lasern, Linsen, Frequenzkämmen, hochgenauen Messgeräten, sie stehen auf großen Tischen, Monitore zeigen gemessene Frequenzen in Hertz an. Hänsch arbeitet an einem neuen hochgenauen Mikroskopieverfahren für Moleküle, eine Veröffentlichung steht an. „Ich brauche so einen Raum, um schnell eine Idee ausprobieren zu können“, sagt er. „Mir geht es meist nur um den Proof-of-Principle, zum Glück habe ich gute Mitarbeiter, die neue Ideen aufgreifen und ausarbeiten.“ Es sind feine Aufbauten, für die man eine ruhige Hand braucht. „Sehen Sie, gottseidank kann ich mich darauf verlassen“, sagt er und streckt einem die Hände entgegen. Kein Zittern. Nur für sehr feine Lötarbeiten hat er sich eine Brille mit Okularaufsatz auf den Gläsern beschafft, wie man es von Zahnärzten kennt.

Eigentlich hatte Theodor Hänsch zunächst Kernphysiker werden wollen, aber dann zog ihn eine damals neue Lichtquelle an, die Anfang der 1960er Jahre erfunden worden war und die ihn bis heute begleitet. „Ich war schon immer an Lasern interessiert“, sagt Hänsch. „Die erzeugen so ein körnig erscheinendes Licht, das ist ein magisches Muster.“ Aber gute Laser konnte man zu Anfang noch nicht kaufen. Also habe er begonnen, seinen eigenen Helium-Neon Gaslaser zu bauen. Mit diesen Lasern untersuchte er, wie sich Spektrallinien in einem Gas trotz Doppler-Verbreiterung mit hoher Auflösung beobachten lassen. Allerdings waren die Laser kaum abstimmbar – und die Experimente so auf Laserlinien oder wenige zufällig resonante Moleküllinien beschränkt. „Ich finde es spannend, Probleme zu sehen, für die es keine gute Lösung gibt“, sagt Hänsch. Ein Satz, der vielleicht ein wenig das Suchen des Theodor Hänsch erklärt.

Es sei ihm nie um eine große Vision gegangen, sagt er. „Ich habe nie langfristig geplant.“ Und dennoch wirkt sein Lebensweg wie eine Abfolge klarer Entscheidungen. Nach seiner Doktorarbeit in Heidelberg bewarb sich Hänsch an der Stanford University in Palo Alto beim späteren Nobelpreisträger Arthur Schawlow, einem Laserexperten. „Schawlow war mein Held“, sagt Hänsch. In seinem LMU-Büro finden sich zwei Bilder des Physikers. Auf einem hält Schawlow einen Micky-Maus-Ballon in der einen Hand und eine pinke Pistole in der anderen. „Da war so ein Rubin-Laser eingebaut, damit hat er den Ballon beschossen“, sagt Hänsch. Mitarbeiter haben ihm jüngst genau so eine pinke Plastikpistole wie auf dem Bild besorgt. „Aber leider nur mit einem grünen Laserpointer drin“, sagt Hänsch.

Es ging Hänsch in seiner Laufbahn beim Forschen auch immer um den Spaß, um die Spielfreude. „Schawlow war ein humorvoller Mann mit großer Lebenserfahrung“, erzählt Hänsch. „Auch deshalb wollte ich zu ihm.“ Was nicht heißt, dass Forschung nicht auch präzises Handwerk ist, ständiges Probieren, Nachdenken, Verbessern. „Miss niemals etwas anderes als Frequenzen!“, habe ihm Schawlow damals geraten.

Bei Steve Jobs in der berühmten Garage

Dass Hänsch damals in die aufregende Gründerzeit im Silicon Valley geriet, ist auch einer dieser Zufälle im Leben des Nobelpreisträgers. Die amerikanischen Jahre waren turbulent, nicht nur politisch. Hänsch lernte viele spätere Größen der High-Tech-Branche kennen, Steve Jobs und Paul Wozniak, die damals am ersten Apple-1 herumlöteten. Der junge Steve Jobs saß bei ihm in der Vorlesung, Hänsch, der selbst in seiner Freizeit an Computerplatinen herumlötete und alle möglichen Neuerungen aus den Garagenfirmen des Silicon Valley testete, besuchte Jobs auch in der berühmten Garage in Mountain View, wo der heutige Weltkonzern seine Wurzeln hat. „Ich war einfach neugierig“, sagt Hänsch. „Ich wollte damals auch meinen eigenen Computer haben.“ Einmal bat Jobs ihn um einen Rat. Er hatte ein Gespräch mit Kapitalgebern vereinbart – aber noch hippielange Haare. Also fragte er Hänsch, wo er sich denn die Haare schneiden lassen könne.

Für einen Besucher sind solche Erzählungen ein Glücksfall, katapultieren sie einen doch zurück in eine der wichtigsten Phasen der Technikgeschichte, für die Hänsch ein Zeuge erster Hand ist. Beinahe hätte er selbst an diesem Boom teilgenommen, er hatte nämlich mit Schawlow eine Software-Firma gegründet und sogar eine Art Grafiksoftware entwickelt und erfolgreich vertrieben. „Hätte ich damals gesagt, wir machen eine Softwaregrafik-Firma, wer weiß, vielleicht wären wir jetzt so was wie Adobe“, sagt Hänsch.

Theodor Hänsch in seinem Büro an der LMU

© privat

Rückkehr nach Deutschland

Auch wissenschaftlich war Hänsch bereits in Stanford überaus erfolgreich. Er entwickelte den ersten farbreinen aber breitbandig abstimmbaren Farbstofflaser, mit dem es ihm gelang, die rote Balmer-alpha Linie des Wasserstoffatoms mittels sogenannter Sättingungsspektroskopie so gut aufzulösen, dass die berühmte Lamb-Verschiebung direkt im optischen Spektrum zu erkennen war. Er formulierte als erster das Prinzip der Laserkühlung, dafür gab es später den Nobelpreis für den amerikanischen Physiker Steve Chu, Bill Phillips, und Claude Cohen-Tannoudji. „Erst Mitte der achtziger Jahre war die Lasertechnik soweit fortgeschritten, dass der amerikanische Physiker Steve Chu unsere ursprüngliche Idee des 3-dimensionalen Doppler-Kühlens in die Tat umsetzen konnte“, sagt Hänsch. „Ich war damals mit meinem Umzug nach München beschäftigt, da habe ich das erst später in Deutschland weiterverfolgt. Es war damals eine bewusste Entscheidung, die ich mir nicht leichtgemacht habe.“

Einerseits gab es in Kalifornien dieses spannende Reizklima für neue Technologien, andererseits lockte das Max-Planck-Institut mit den tollen Möglichkeiten für Grundlagenforschung. Die Entscheidung gegen die USA und für Deutschland im Jahr 1986 führte letztlich zum Nobelpreis für Physik im Jahr 2005. Hänsch verfolgte bereits in Kalifornien das Ziel, mit stetig verbesserten Verfahren der Laserspektroskopie die Linien des Wasserstoffs möglichst genau zu vermessen, um Naturkonstanten wie die Rydberg-Konstante zu bestimmen und die Vorhersagen der Quantentheorie kritisch zu prüfen. Inzwischen erreicht das Wasserstofflabor am MPQ eine Messgenauigkeit von 14 Dezimalstellen. Kollegen tauften ihn daher scherzhaft „Wasserstoff-Hänsch“. Die Präzision wurde sein Markenzeichen. Sein „Nobelpreis-Erfindung“, der Frequenzkamm-Generator, ermöglichte es erstmals, die Billiarden von Schwingungen, die eine Lichtwelle in der Sekunde vollführt, exakt zu bestimmen. Damit hatte er den Rat seines Mentors Schawlow tatsächlich beherzigt, immer nur Frequenzen zu messen. „Zählen ist letztlich eine einfache Tätigkeit“, sagt Hänsch. Der Frequenzkamm ist ein Lineal für das Licht. Das Potential des Geräts ist immer noch nicht ausgereizt, Hänsch hat deshalb mit Menlo Systems eine eigene Firma gegründet. Aktuell arbeitet er an neuen Ansätzen in der Molekülspektroskopie.

Nobelpreisübergabe 2005 in Stockholm

Im Olymp der Forscher

Der schwedische König Carl Gustav überreicht Theodor Hänsch in der Konzerthalle von Stockholm den Nobelpreis.

© picture-alliance/ dpa/dpaweb | epa Scanpix Anders Wikland

Mit einem Mal sichtbar werden

Man kann sich im Gespräch mit Hänsch gar nicht vorstellen, dass er auch mal sauer werden kann, so geduldig und offen er alle Fragen beantwortet. Aber das passierte kurz nach seiner Nobelpreisverleihung. Nicht wegen des Trubels, der ihm in den Stunden nach der Bekanntgabe schnell zu viel wurde und bei dem er froh war, wegen eines lange geplanten Termins zum Flughafen fahren zu müssen. Tatsächlich wollte man ihn trotz seines Nobelpreises mit 65 Jahren in Rente schicken, im Jahr nach der Preisverleihung. Er drohte, wieder zurück in die USA zu gehen. Die Sache löste hektische Aktivitäten aus, der bayerische Wissenschaftsminister kam persönlich vorbei, um ihn umzustimmen. Er blieb. Und offenbar war das für alle die richtige Entscheidung, denn Hänsch gehört noch heute zu den meistzitierten Forschern der LMU. „Ich habe in den Jahren seit dem Nobelpreis mehr hochzitierte Paper veröffentlicht als davor“, sagt er.

Man merkt, wie sehr ihn auch die Anerkennung des Nobelpreises erfreut hat, auch wenn er es nicht mochte, dadurch auch „mit einem Mal sichtbar geworden zu sein“, wie er sagt. Rummel um seine Arbeit kann er vermutlich besser aushalten als Rummel um seine Person. Auch deshalb verbringt er wie schon seinen 75. Geburtstag auch den 80. Ehrentag in Florenz, wo er seit fünfzehn Jahren auch Ehrenbürger ist. Dort wird Theodor Hänsch sicher auch ein bisschen feiern, mit Blick auf den Dom und die Dächer der Altstadt. Und wer weiß, vielleicht wird er auch da ein bisschen filmen.

Text: Hubert Filser

Weitere Informationen zur Arbeit von Theodor Hänsch finden Sie hier, auch die Würdigung auf der Webseite des Exzellenzclusters Munich Center for Quantum Science and Technology (MCQST)

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