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Tuberkulose: Rennen gegen die Zeit

01.09.2021

Ein Drittel der Weltbevölkerung ist mit Tuberkulose infiziert und die Zahl der Resistenzen wächst. Ein Interview mit LMU-Mediziner Michael Hoelscher über das neue Projekt UNITE4TB und die Entwicklung wirksamer Therapien.

Prof. Michael Hoelscher

Professor Michael Hoelscher | © LMU

Um die Forschung im Kampf gegen Tuberkulose weltweit voranzutreiben, hat das Konsortium UNITE4TB seine Arbeit aufgenommen. Das globale Netzwerk aus akademischen Instituten und Pharmaunternehmen macht es möglich zu erforschen, wie bereits in der Entwicklung befindliche Medikamente zu einer wirkstarken Kombination gegen Tuberkulose zusammengesetzt werden können. Ein Interview mit Professor Michael Hoelscher, Direktor des Tropeninstituts am LMU Klinikum und wissenschaftlicher Leiter des Projekts. Ein Drittel der Weltbevölkerung ist mit Tuberkulose infiziert.

Warum ist Tuberkulose so schwer zu behandeln?

Michael Hoelscher: Bei über 90 Prozent der Infizierten besteht eine latente Tuberkulose. Kommt es zur Schwächung der Immunantwort, vermehren sich die Bakterien. Wir müssen dann nicht nur die aktiven Bakterien in der Lunge abtöten, sondern auch die „schlafenden“ Bakterien in den Granulomen. Granulome kann man sich wie Kapseln von wenigen Zentimetern Durchmesser vorstellen, die aus abgestorbenen Fresszellen und Mykobakterien bestehen und in die man nur sehr schwer mit Medikamenten eindringen kann.

Seit Jahrzehnten werden Patienten, die an Tuberkulose erkrankt sind, mit einem Antibiotikacocktail behandelt. Sie forschen seit einigen Jahren an einem neuen Medikament. Warum ist das nötig?

Michael Hoelscher: Die antibiotische Vierfachtherapie hat gut vierzig Jahre lang gehalten, in den meisten Ländern wurde die Tuberkulose massiv zurückgedrängt. Das war ein riesiger Erfolg. Inzwischen steigen die Infektionszahlen wieder. Es entwickeln sich zunehmend Resistenzen gegen eines oder mehrere Medikamente. In einzelnen Ländern sind schon 30 Prozent der diagnostizierten Tuberkulosefälle multiresistent. Was Antibiotikaresistenz angeht, ist die Tuberkulose das weltweit größte Problem. Sie bringt sehr viele Menschen um.

Wie hoch ist denn das Ansteckungsrisiko hierzulande?

Michael Hoelscher: Sehr gering. Wir haben etwa sieben bis neun Fälle jährlich auf 100 000 Einwohner. Global betrachtet bleibt Tuberkulose jedoch ein erhebliches Problem. Bis zum Beginn der COVID-19- Pandemie stellte sie die größte infektiologische Bedrohung dar. Dem wollen wir mit UNITE4TB begegnen.

In Europa führt Rumänien die Liste der Infektionen an. Woran liegt das?

Michael Hoelscher: Daran, dass Tuberkulose eine armutsbedingte Erkrankung ist. Die Ausbreitung der Infektion hängt davon ab, wie gut es den Menschen geht, wie eng sie zusammenleben und ob das Gesundheitssystem funktioniert. Aber es gibt auch andere Gründe. In Afrika nahm man lange an, die Tuberkulose ausrotten zu können. Aber dann kam HIV. Und weil HIV das Immunsystem schwächt, stieg auch die Zahl der Tuberkuloseinfektionen an.


Wie weit ist man mit der Erforschung neuer Medikamente bisher?

Michael Hoelscher: Gerade kommen viele Medikamente gleichzeitig in die klinische Entwicklung, die in das UNITE4TB-Projekt einfließen. Das Tropeninstitut der LMU ist mit dem seit 2014 entwickelten Medikament BTZ-043 dabei. Entdeckt wurde das Antibiotikum vom Hans-Knöll-Institut aus Jena, das damals Interesse an einer klinischen Entwicklungspartnerschaft angemeldet hat. Seither sind wir gleichberechtigter Partner als Medikamentenentwickler. Dass ein Universitätsklinikum versucht, ein Medikament in Eigenregie zuzulassen, ist einzigartig in Deutschland. In der Regel bringen akademische Institutionen ein Medikament in die Phase eins. Das sind kleine Studien, in denen geprüft wird, ob wesentliche Nebenwirkungen auftreten. Dann treten sie die Patente an eine Pharmafirma ab, da die weitere klinische Entwicklung extrem teuer ist. Bei armutsbedingten Erkrankungen bezahlt das zum größten Teil die öffentliche Hand. Wir haben uns gedacht, dass wir im Bereich der klinischen Entwicklung eine ähnlich gute Expertise besitzen und ein möglicher Gewinn so im öffentlichen Bereich verbleiben würde. Und was noch wichtiger ist: Damit behält eine Institution, die Entscheidungen nicht aufgrund von wirtschaftlichen Überlegungen trifft, die Kontrolle.

Und welche Rolle spielt das Tropeninstitut bei UNITE4TB?

Michael Hoelscher: Das Tropeninstitut hat das Forschungsprojekt nicht nur angestoßen und einen eigenen Wirkstoffkandidaten beigesteuert, sondern auch andere davon überzeugt, dafür Geld zu geben. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung fördert UNITE4TB über das Deutsche Zentrum für Infektionsforschung (DZIF) und die LMU/LMU Klinikum mit 25 Millionen Euro, das Klinikum selbst steuert fünf Millionen bei und die Pharmafirmen geben je 20 Millionen dazu. Die Europäische Kommission verdoppelt diese Gelder im Rahmen des IMI-Programms (Innovative Medicines Initiative). Insgesamt stehen 185 Millionen Euro zur Verfügung. Das Tropeninstitut hat auch die wissenschaftliche Leitung von UNITE4TB übernommen. Wir haben zum Beispiel eine zentrale Rolle bei der Entwicklung von Studiendesign und -analyse, der Entwicklung neuer Biomarker oder der Durchführung klinischer Phase-IIb/c-Studien.

Auf welchem Stand ist die Entwicklung des Medikaments BTZ-043 gerade?

Michael Hoelscher: Die Wirksamkeit unseres Medikaments gegen Tuberkulose wurde bereits im Rahmen einer zweiwöchigen Monotherapie bestätigt. Jetzt gilt es, mithilfe von UNITE4TB herauszufinden, mit welchen anderen Medikamenten es kombiniert werden sollte. Dann kommt Phase 3, die sogenannte Zulassungsstudie, für die ungefähr 150 Millionen Euro nötig sind. Natürlich zeugt es von einem gewissen Übermut, ein solch großes Projekt im universitären Umfeld umsetzen zu wollen. Allerdings ermutigt uns die Politik, „translational“ zu denken und unsere Ideen bis zum Patienten zu bringen. Hier können wir uns andere Länder wie USA und UK zum Vorbild nehmen. Wir können auch lernen, wie man mit einer Vision nicht nur auf Calls reagieren muss, sondern aktiv Projekte anstoßen und so Forschungspolitik gestalten kann.

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