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Unbekannte Freunde

06.04.2018

Was ist artgemäß? Viele Halter von Tieren sind darüber ungenügend informiert, zeigen Wissenschaftler aus München und Leipzig in einer breitangelegten Recherche.

Ein Kaninchen, einsam in einem zu kleinen Käfig, ein Hamster mit Plastikröhren in seinem Eigenheim oder ein Guppy gemeinsam mit seinem Räuber in einem Aquarium: (exotische) Säugetiere und Zierfische werden in deutschen Haushalten trotz guten Willens der Halter oftmals nicht artgemäß und tiergerecht gehalten. Wissenschaftler der LMU haben systematisch untersucht, wie tiergerecht Handel und Haltung von exotischen Säugetieren und Fischen unter anderem in Privathand sind und haben eine Situationsanalyse sowie eine Bewertung insbesondere unter Tierschutzaspekten erstellt. Wissenschaftler der Universität Leipzig analysierten dieselben Fragestellungen für exotische Vögel und Reptilien. Koordinatorin der gesamten Studie ist Prof. Dr. Maria-Elisabeth Krautwald-Junghanns, Leiterin der Klinik für Vögel und Reptilien der Universität Leipzig. Gefördert wird diese „EXOPET“-Studie über die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) aus Mitteln des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL). Jetzt liegen die Ergebnisse für die erste Förderperiode vor. Daraus leiten die Forscher konkrete Handlungsempfehlungen für den Gesetzesgeber ab.

Im Rahmen der Studie erhoben die Wissenschaftler unter anderem in einer groß angelegten Online-Befragung deutschlandweit Daten von Tierhaltern, praktischen Tierärzten, Amtsveterinären, Groß- und Einzelhändlern, Tierheimen und Auffangstationen. Zudem besuchten sie Tierbörsen und Zoofachgeschäfte beziehungsweise Bau- und Gartenmärkte mit Lebendtierverkauf. „Die Beteiligung an der Online-Befragung war gut, eine Ausnahme bildeten leider insbesondere die Tierheime, aber auch der Groß- und Einzelhandel war zu Beginn skeptisch“, sagt Prof. Dr. Michael Erhard, Vorstand des Lehrstuhls für Tierschutz der LMU und Leiter des Projektteiles „(Exotische) Säugetiere und Fische“.

Die Ergebnisse der Studie weisen nach Ansicht der Wissenschaftler deutlich auf einen Handlungsbedarf hin. Verschiedene haltungsbedingte Erkrankungen spielten eine große Rolle bei der Vorstellung von Säugetierpatienten in der Tierarztpraxis. „Die befragten spezialisierten praktischen Tierärzte nennen je nach Tierart zahlreiche Haltungsfehler, die so gravierend sind, dass sie sogar zu Erkrankungen der Tiere führen und diese dann beim Tierarzt vorgestellt werden müssen“, berichtet Dr. Anna-Caroline Wöhr, Koordinatorin der Münchner Arbeitsgruppe. Auch die Big-Data-Analyse wichtiger Internetforen habe gezeigt, dass es großen Informationsbedarf zur artgemäßen und verhaltensgerechten Haltung gebe, da fundierte Informationen nicht so einfach für den Privathalter verfügbar sind.

Ursachen für Tierschutzprobleme beim Privathalter seien unter anderem auch beim Zoofachhandel zu suchen. Sowohl Halter als auch Tierärzte bewerteten in der Umfrage die Qualität der Informationen, die der Fachhandel den Tierhaltern gebe, mitunter als durchaus kritisch. Wenn Privathalter ihre Tiere dann irgendwann wieder abgeben wollen, spielen insbesondere Tierheime oder spezielle Auffangstationen eine große Rolle. „Schwierig wird es allerdings, wenn Zierfische oder Wildsäugetiere abgegeben werden sollen, da hierfür insbesondere bei Zierfischen Tierheime oder Auffangstationen technisch nicht ausgestattet sind“, stellt Wöhr fest.

Tierbörsen werden häufig für den Erwerb oder Austausch von nachgezüchteten Heimtieren aller Art genutzt. Auf allen besuchten Säugetierbörsen konnten die Experten Missstände beobachten wie teilweise zu kleine oder verschmutzte Verkaufsbehältnisse, fehlende Versorgung der Tiere mit Nahrung und Wasser, einstreulose Haltung ohne Rückzugsmöglichkeiten oder unkorrekte beziehungsweise sogar fehlende Angaben über Herkunft und Pflege der zu erwerbenden Tiere. Die Wissenschaftler empfehlen daher, die Tierbörsen und -märkte über den gesamten Zeitraum hinweg zusätzlich von einem spezialisierten Tierarzt überwachen zu lassen und Anforderungen für das Abhalten von Tierbörsen nicht nur in einer Leitlinie (Börsenleitlinie des BMEL von 2006), sondern in eine rechtsverbindliche, bundesweit geltende Verordnung aufzunehmen.

Ansätze zur Verbesserung des Tierwohls benannt

Wichtig sind nach Ansicht der Wissenschaftler einheitliche Informationen für Tierhalter und -händler, die auf der verfügbaren wissenschaftlichen Literatur beruhen. Da auch in anderen europäischen Ländern ähnliche Bestrebungen existieren, sei hier eine länderübergeordnete Plattform denkbar. Im Zoofachhandel sollte die Sachkunde der Verkäufer verbessert werden, etwa durch spezielle Schulungen der Zoofachangestellten. Dies halten spezialisierte Tierärzte laut der Befragung für einen der möglichen Lösungsansätze, ebenso die Kennzeichnung von tiergerechten Käfigen, Terrarien sowie für Tierhaltungsinventar. „Hier zeigen die Ergebnisse, dass vor allem im Online-Handel tierschutzwidriges Zubehör zahlreich und uneingeschränkt erhältlich ist. Es ist dem Laien aufgrund der Fülle des Angebots nicht mehr zumutbar, die möglichen gesundheitlichen Risiken von Spielzeug etwa, Futterraufen oder anderem Zubehör einzuschätzen. Hier müssen wir als Wissenschaftler dem Tierhalter Hilfe anbieten“, sagt Anna-Caroline Wöhr.

Zudem sprachen sich die Tierärzte und Wissenschaftler für die Einführung eines Sachkundenachweises vor dem Erwerb eines Tieres aus, abgestuft in Abhängigkeit von den Haltungsansprüchen der betreffenden Spezies. „Die Studie zeigt aber erfreulicherweise auch, dass die meisten Tierhalter gerne bereit wären, einen solchen Sachkundenachweis vor der Anschaffung eines Tieres zu erwerben. Haltungsdefizite entstehen in der Regel aus Unwissenheit der Tierhalter und nicht aus bösem Willen dem Heimtier gegenüber“, Michael Erhard. Von generellen Haltungsverboten halten die Experten nichts, zumal bei der Studie auch bei Arten mit leichter zu erfüllenden Haltungsansprüchen deutliche Haltungsdefizite aufgedeckt wurden.

Verbesserung des Tierschutzes steht im Koalitionsvertrag

Der Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung benennt als Herausforderungen im Tierschutz unter anderem die Wildtier- und Exotenhaltung, die Tierbörsen, den Internet‑ und Versandhandel von lebenden Heimtieren, die Situation der Tierheime und das Heimtierzubehör. Das zuständige Bundeslandwirtschaftsministerium will bis zur Mitte der Legislaturperiode Vorschläge für konkrete Maßnahmen bis hin zu Verboten zur Verbesserung des Tierschutzes in diesen Bereichen vorlegen.

Ausführliche Zwischenberichte der Studie „Haltung exotischer Tiere und Wildtiere in Privathand: Situationsanalyse, Bewertung und Handlungsbedarf insbesondere unter Tierschutzaspekten“ stehen bereits auf der Homepage der Bundesanstalt für Ernährung und Landwirtschaft (BLE) zum Download zur Verfügung: Säugetiere und Fische; Vögel, Reptilien und Amphibien (Universität Leipzig/LMU)

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