Verlockender Reis
07.06.2022
Warum das Huhn zum Menschen kam und seinen Weg nach Europa fand. Zwei neue Studien zeigen, wann, wo und wie Hühner domestiziert wurden.
07.06.2022
Warum das Huhn zum Menschen kam und seinen Weg nach Europa fand. Zwei neue Studien zeigen, wann, wo und wie Hühner domestiziert wurden.
Neue Forschungsergebnisse verändern unser Verständnis der Umstände und des Zeitpunkts der Domestikation von Hühnern, ihrer Ausbreitung über Asien in den Westen und zeigen, wie sich ihre Rolle in den Gesellschaften während der letzten 3500 Jahre verändert hat. Ein internationales Expertenteam unter Beteiligung von Joris Peters von der Staatssammlung für Paläoanatomie München sowie der LMU München fand nun heraus, dass der voranschreitende Reisanbau wahrscheinlich einen Prozess in Gang setzte, der dazu führte, dass Hühner zu den mit am häufigsten vorkommenden Tieren der Welt wurden.
Bislang gingen Archäologen davon aus, dass Hühner vor bis zu 10.000 Jahren in China oder Südostasien domestiziert wurden und dass Hühner in Europa schon vor über 7000 Jahren vorkamen. Zwei neue Studien zeigen nun, dass diese Annahme falsch ist. Die treibende Kraft hinter der Domestikation von Hühnern dürfte die Einführung des Trockenreisanbaus in Südostasien gewesen sein. In dieser Region lebte ihr wilder Vorfahre, das rote Dschungelhuhn. Der Anbau von Trockenreis wirkte wie ein Magnet. Die Nahrung lockte die wilden Dschungelhühner aus den Wäldern in menschliche Siedlungen. Der Anbau war also offenbar der Katalysator für eine engere Beziehung zwischen Mensch und Dschungelhuhn, aus der schließlich das Haushuhn hervorging.
Der Domestizierungsprozess wird um 1500 v. Chr. auf der südostasiatischen Halbinsel nachweisbar. Die Forschungen deuten darauf hin, dass die Hühner zunächst durch Asien und erst im frühen ersten Jahrtausend vor Christus über die von den frühen griechischen, etruskischen und phönizischen Seehändlern genutzten Routen in den Mittelmeerraum transportiert wurden. „Zusammen mit der insgesamt sehr anpassungsfähigen, im Wesentlichen auf Getreide basierenden Ernährung der Hühner spielten die Seewege eine besonders wichtige Rolle bei der Verbreitung der Hühner nach Asien, Ozeanien, Afrika und Europa", sagt Joris Peters vom Institut für Paläoanatomie, Domestikationsforschung und Geschichte der Tiermedizin an der LMU.
In Europa haben die Menschen Hühner zunächst verehrt und im Allgemeinen nicht als Nahrungsmittel betrachtet. Die Untersuchungen haben gezeigt, dass einige der frühesten Hühner einzeln und als vollständige Körper bestattet und somit gar nicht geschlachtet wurden. Viele der Hühner wurden auch zusammen mit Menschen bestattet, je nach Geschlecht der bestatteten Person entweder Hähne oder Hennen. Erst später während der Römerzeit wurden Hühner und Eier auch als Nahrungsmittel populär. In Britannien zum Beispiel verzehrten die Menschen Hühner erst ab dem dritten Jahrhundert nach Christus regelmäßig, vor allem in städtischen und militärischen Siedlungsplätzen.
Zusammen mit der insgesamt sehr anpassungsfähigen, im Wesentlichen auf Getreide basierenden Ernährung der Hühner spielten die Seewege eine besonders wichtige Rolle bei der Verbreitung der Hühner nach Asien, Ozeanien, Afrika und Europa.Prof. Joris Peters, Staatssammlung für Paläoanatomie München und LMU
Das internationale Expertenteam wertete Überreste von Hühnern aus, die an mehr als 600 Fundorten in 89 Ländern gefunden wurden. Die Forscherinnen und Forscher untersuchten Skelette, Fundumstände und historische Aufzeichnungen über die Gesellschaften und Kulturen, in denen die Knochen gefunden wurden. Die ältesten erhaltenen Knochen des Haushuhns stammen aus dem neolithischen Ban Non Wat in Zentralthailand, aus der Zeit zwischen 1650 und 1250 v. Chr.
Mittels Radiokohlenstoffdatierung gelang es dem Forscherteam, das Alter von 23 Knochenfunden der frühesten Hühner aus Europa und Nordwestafrika direkt zu bestimmen. „Es ist das erste Mal, dass Radiokohlenstoffdatierungen in diesem Ausmaß verwendet wurden, um die Bedeutung von Hühnern in frühen Gesellschaften zu bestimmen", sagt Julia Best von der Universität Cardiff. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass es notwendig ist, frühe Funde direkt zu datieren, da dies uns das bisher klarste Bild unserer frühen Interaktionen mit Hühnern liefert.“
Die meisten der Knochen waren viel jünger als bisher angenommen. Die Ergebnisse widerlegen die Behauptung, dass Hühner in Europa bereits 6000 v. Chr. lebten, und deuten darauf hin, dass sie erst um 800 v. Chr. nach Europa kamen. Nach der Ankunft im Mittelmeerraum dauerte es dann beinahe weitere 1000 Jahre, bis sich Hühner in den kälteren Klimazonen Schottlands, Irlands, Skandinaviens und Islands etablierten.
Joris Peters, Ophélie Lebrasseur, Irving-Pease E, Paxinos PD, Best J, Smallman R, Callou C, Gardeisen A, Trixl S, Frantz L, Naomi Sykes, Fuller D, Gregor Larson, The biocultural origins and dispersal of domestic chickens. PNAS, 2022.
Best J, Doherty S, Armit I, Boev Z, Büster L, Cunliffe B, Foster A, Frimet B, Hamilton-Dyer S, Higham T, Ophélie Lebrasseur, Miller H, Joris Peters, Seigle M, Skelton C, Symmons R, Thomas R, Trentacoste A, Maltby M, Gregor Larson & Naomi Sykes. Redefining the timing and circumstances of the chicken’s introduction to Europe and north-west Africa. Antiquity, 2022.