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Vom Vergnügen, einen Floh zu töten

09.08.2023

Ein Lob auf die Wanze hat Przemysław Marciniak auf die Idee gebracht, Insekten in der byzantinischen Literatur näher zu untersuchen. Der Byzantinist ist aktuell Gastprofessor am MZAW.

Der Gelehrte Michael Psellos (links) mit einem Schüler | © Wikimedia Commons. Public Domain.

Przemysław Marciniak kennt sich aus mit Tieren in der Literatur des Byzantinischen Reichs, das den östlichen Mittelmeerraum mehr als 1000 Jahre bis ins 15. Jahrhundert prägte. Der Philologe ist Professor für byzantinische Literatur an der Schlesischen Universität in Kattowitz, Polen, und leitet dort unter anderem ein Projekt zu diesem Thema. Als er auf Texte stieß, in denen Wanzen gelobt werden, brachte ihn das auf eine neue Spur.

„Diese Texte sind so interessant, dass ich mich gefragt habe: Was wissen wir über Insekten in Byzanz?“ Dieser Frage hat sich Marciniak nun in den vergangenen beiden Semestern als Gastprofessor am Münchner Zentrum für Antike Welten gewidmet. Die Herausforderung dabei: Die überlieferten Texte stammen von Schriftgelehrten und verraten wenig über Insekten im Alltag der Menschen in Byzanz. Insekten kommen hier vor allem in Gleichnissen vor. Das Lob über die Wanze (ebenso wie zwei andere über den Floh und die Laus) entstammen zum Beispiel einer Art rhetorischer Lehrstunde des Gelehrten Michael Psellos. Der Gelehrte will seinen Schülern zeigen, dass es mit entsprechendem Geschick möglich ist, alles zu loben, sogar eine Wanze.

Byzanz im Spiegel literarischer Texte

Daraus lässt sich dann rückschließen, dass Wanzen damals offenbar ebenso unbeliebt waren wie heute. Dabei ist die heutige Sicht auf Insekten eher ein Hindernis, wenn es darum geht, ihre Rolle in Byzanz zu erforschen. „Ich versuche, den modernen Filter zu entfernen. Ob das wirklich möglich ist, weiß ich nicht. Wir können die Texte grammatikalisch verstehen, aber die damalige Mentalität war eine andere. Man muss wissen, dass die Byzantiner ganz andere Fragen stellten und eine andere Weltansicht hatten als wir.“

Heute lässt sich das kulturelle Leben Byzanz‘ vor allem im Spiegel der literarischen Texte untersuchen. „Es gibt zum Beispiel Texte über Rhetorik oder Heilige, Gebete, Gedichte, Romane. Vielleicht ist unser Blick dadurch ein wenig verfälscht. Aber ich bin überzeugt, dass wir tiefer gehen und zumindest versuchen können zu verstehen, was die Byzantiner über Natur, Tiere und auch Insekten dachten“, sagt Marciniak.

Kaum Abbildungen von Insekten in der byzantinischen Literatur

Was diese Forschung erschwert, ist, dass es in der byzantinischen Literatur keine zoologischen Texte gab, wie es zum Beispiel aus der griechischen Antike bekannt und von Aristoteles überliefert ist. „Das ist, glaube ich, der größte Unterschied zwischen Byzanz und der griechischen Antike oder Ägypten: Sie haben fast kein Interesse an Insekten als biologische Wesen. Insekten sind in erster Linie Figuren in Gleichnissen. Sie werden genutzt, um zum Beispiel an jemandem Kritik zu üben oder jemanden zu loben. Aber sie sind fast nie als Insekten an sich interessant.“

Es gibt einige literarische Stellen, die verraten, welche Assoziationen und Emotionen die Menschen im Byzantinischen Reich bei bestimmten Tieren und Insekten hatten. Um jemanden zu kritisieren, wurde zum Beispiel gern der Mistkäfer verwendet. „Es gibt auch eine Stelle, in der beschrieben ist, dass es ein Vergnügen sei, einen Floh zu töten.“ So sagt der Historiker Dukas (15. Jh.), dass, „wenn man einen Floh zerdrückt, eine gewisse Lust empfindet“ (übersetzt von D. R. Reinsch). Und manchmal gibt es für den Byzantinisten überraschende Wendungen. So wurde die Zikade, die in der griechischen Antike vor allem für ihren schönen Gesang stand, als Symbol für das Christentum verwendet. „Ein Autor, Asterios von Kappadokien, hat Menschen, die getauft wurden, mit Zikaden verglichen. Sie würden Gottes Wörter essen wie Zikaden den Morgentau.“

Doch so bildhaft manche Beschreibungen sind: Es gibt kaum Abbildungen von Tieren und Insekten aus der damaligen Zeit. Auch wenn viele mögliche literarische Quellen verloren sind, überrascht das Marciniak. „Verglichen mit der westeuropäischen Kultur ist es sehr interessant, dass es fast keine Abbildungen gibt. Es bedeutet, dass sie kein Interesse an dieser physischen Seite der Tiere und Insekten hatten. Es bedeutet aber nicht, und das ist sehr wichtig, dass sie kein Interesse an der Natur hatten.“

Marciniak nutzt für seine Recherchen den Thesaurus Linguae Graecae, eine Datenbank, die eine große Menge überlieferter Literatur aus der byzantinischen Zeit enthält. Es ist elektronisch erreichbar und lässt sich nach Stichwörtern durchsuchen. „Manches lässt sich heute nicht verstehen“, sagt Marciniak und erzählt von einer Textstelle, die sich auf ein Kinderspiel bezieht, das erstmals der griechische Komödiendichter Aristophanes erwähnt hat. „Aristophanes schrieb von einem Spiel mit einem Käfer. Der byzantinische Autor wollte verstehen, was die Kinder dabei genau machten. Aber was er beschreibt, ist eine anatomische Unmöglichkeit.“ Es sind genau solche Rätselmomente, die Marciniak antreiben. „Es interessiert mich, wie das Verhältnis von Tier und Mensch war und wie sich Wissen und Wissenschaft seit der Antike verändert haben.“

Zur Person

Przemysław Marciniak ist Professor für byzantinische Literatur am Institut für Literaturwissenschaft an der Schlesischen Universität in Kattowitz, Polen. Im Wintersemester 2022/23 und im Sommersemester 2023 war er Gastprofessor am Münchner Zentrum für Antike Welten. Zum ersten Mal für einen Forschungsaufenthalt an der LMU war Marciniak bereits im Jahr 2004, direkt nach seiner Promotion. Im Jahr 2018 wurde er von der Alexander von Humboldt-Stiftung mit einem Friedrich Wilhelm Bessel-Forschungspreis ausgezeichnet, den er ebenfalls für einen Aufenthalt am Lehrstuhl für Byzantinistik der LMU nutzte.

Münchner Zentrum für Antike Welten: Überfakultärer Forschungsverbund der Altertumswissenschaften an der LMU

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