News

Von Bienen, Bioinformatik und Bakterien: Biologe Alexander Keller erforscht eine Dreiecksbeziehung im Ökosystem

24.05.2022

Professor Keller, neuberufen an der LMU, arbeitet an der Schnittstelle von mikrobieller Ökologie, Bioinformatik und neuesten Sequenzierungstechnologien.

Die Pandemie hat es ein bisschen leichter gemacht, Professor Alexander Kellers Forschungsgebiet zu erklären: „Dass Türklinken Umschlagplätze für Mikroorganismen sind und Covid möglicherweise von einer Fledermaus auf den Menschen übertragen wurde, weiß heute jeder”, so der Biologe. „Und solche ‚Sprünge zwischen Wirten’ finden ständig bei Milliarden von Organismen statt.” Der Wirtssprung, den Keller erforscht, findet jedoch zwischen viel kleineren Wirten als dem Menschen statt: den Bienen und Blüten.

„Meine Gruppe erforscht, wie neben der Interaktion zwischen Bienen und Blüten auch eine dreiseitige Wechselwirkung dieser Organismen mit involvierten Mikroorganismen, also etwa Pilzen und Bakterien, wichtig für Prozesse des Ökosystems wie die Bestäubung sind. Eine wichtige Erkenntnis unserer Forschung ist, dass für Bienen Blüten ähnliche Umschlagplätze von Mikroorganismen darstellen. Für die Pflanzen sind die Bestäuber im Gegenzug Vektoren für Mikroben über größere Distanzen. In beiden Fällen kann das nicht nur innerartlich, sondern auch zwischen verschiedenen Arten zur Verbreitung von Mikroorganismen führen.” Insbesondere konnte sein Team zeigen, dass es beim Transfer von Mikroben zwischen Bienen und Blüten, „nützliche gibt, die sich positiv auf die Fitness ihrer Wirte auswirken, aber eben auch solche mit negativem Einfluss wie Krankheitserreger”. Seit vergangenem Sommer leitet Alexander Keller die Abteilung für Zelluläre und Organismische Netzwerke am Biozentrum der LMU.

Seine Forschung konzentriert sich auf eine Kombination von mikrobieller Ökologie mit Bioinformatik und neuen Sequenzierungstechnologien. Einen Hauptteil seiner Forschung macht die Erfassung, Erklärung und funktionale Charakterisierung der Dreiecksbeziehung zwischen Biene, Blüte und Mikrobiom aus. Während frühere Forschungsarbeiten auf diesem Gebiet sich oft sozialen Bienen widmeten, vor allem der westlichen Honigbiene, interessiert sich Keller vor allem für Wildbienen und speziell sogenannte „Solitärbienen”. „Von den rund 1.500 Bienenarten in Deutschland leben 89 Prozent ‚solitär’”, so der Biologe. „Sie leben alleine, ziehen ihren Nachwuchs in individuellen und meist isolierten Nestkammern auf und sind unglaublich wichtig für die Bestäubung von unzähligen wilden Pflanzen, aber auch unseren Agrargütern wie Raps oder verschiedenes Gemüse und Obst.”


Professor Alexander Keller (3. von links) mit seinem Team an der LMU

© Alexander Keller

Musteranalyse mit Künstlicher Intelligenz

„Was wir in den letzten Jahren zeigen konnten, ist, dass Mikrobiome meist nicht statisch sind, sondern einem stetigen Austausch im Ökosystem unterliegen. Diese Dynamik birgt dementsprechend eine große Variabilität der vorhandenen funktionalen Auswirkungen der Mikrobiome auf den Wirt.” Die Forschenden konnten beispielsweise Korrelationen zwischen den Mikrobiomen und Nährstoffen der Nahrung der Bienen nachweisen, aber auch ihre Bedeutung für die Krankheitsresistenz von Biene und Blüte werden erforscht. „Ein gesundes Mikrobiom macht es einem Pathogen schwerer, Infektionen in Bienen auszulösen. Ist es gestört, wie zum Beispiel durch den Einsatz von Pestiziden, sind Krankheiten vorprogrammiert.”

Den Bakterien-Transfer von Biene zu Blüte zu Biene untersuchen die Biologen in Feldversuchen, aber auch bei Experimenten am Biozentrum in Martinsried. Mikroben werden von Freiland-Proben isoliert, im Labor kultiviert und sequenziert, um das Genom zu entschlüsseln. Dabei entwickelt Kellers Arbeitsgruppe neuartige molekulare Techniken, um die ökologischen Proben für Next Generation Sequencing vorzubereiten. Dies gehe Hand in Hand mit entsprechenden In-Silico-Methoden, also Computersimulationen. „Unser Alleinstellungsmerkmal ist, dass wir sowohl die Bienen-Blüten-, Bienen-Mikroben- als auch Blüten-Mikroben-Interaktion untersuchen – und das mit Hilfe von modernen molekularen und computergestützten Techniken wie Hochdurchsatz-Sequenzierung, Bioinformatik, Statistik und Künstliche Intelligenz (KI)." Besonders maschinelles Lernen hilft bei der Analyse der umfangreichen und hochkomplexen Daten, etwa um bestimmte Muster zu erklären. „Ich untersuche Muster und Strukturierungskräfte mikrobieller Gemeinschaften in ganz verschiedenen Lebensräumen.” Diese interessieren ihn auf diversen Ebenen – von Häufigkeits- und Diversitätsmustern über ihre Phylogenetik und Funktion bis hin zu Umwelt- und Raumeinflüssen.

Untersucht werden auch die unterschiedlichen Pollenpräferenzen der Bienen. „Ob sie beim Pollensammeln zum Beispiel vor allem Korbblütler anfliegen oder nicht, wirkt sich auch auf die Struktur und damit auf die Funktionalität ihres Mikrobioms aus. Für Insekten zum Beispiel können verschiedene Pollen toxisch und schwer verdaulich sein; den Bienen helfen ihre Mikroben, diese zu detoxifizieren, zu verdauen und biochemisch aufzuwerten. Aber die vorhandenen Mikroben müssen zur Nahrung passen”, so Keller.


Professor Kellers Team erforscht, wie neben der Interaktion zwischen Bienen und Blüten auch eine dreiseitige Wechselwirkung dieser Organismen mit involvierten Mikroorganismen, also etwa Pilzen und Bakterien, wichtig für Prozesse des Ökosystems wie die Bestäubung ist.

© Alexander Keller

Phylogenetische Stammbäume

Nach dem Biologie-Studium an der Universität Karlsruhe schrieb Keller seine Diplomarbeit am Department of Animal Ecology and Tropical Biology der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU). Am dortigen Department of Bioinformatics promovierte er 2010 zum Thema Secondary (and tertiary) structure of the ITS2 and its application for phylogenetic tree reconstructions and species identification und leitete ab 2011 die Molecular-Biodiversity-Gruppe vorwiegend am Center for Computational and Theoretical Biology der JMU. Im Jahr 2017 reichte er seine Habilitationsschrift mit dem Titel A microbiotic perspective on plant-animal interactions ein. Als Gastwissenschaftler besuchte er das Hitoy Cerere Biological Reserve in Costa Rica, die University of Brunei, die Edinboro University of Pennsylvania sowie die drei australischen Universitäten University of the Sunshine Coast, Griffith University und University of New England. Seit Juli 2021 ist er Professor für Zelluläre und Organismische Netzwerke an der LMU.

Gründe, an die LMU zu kommen, gab es für Alexander Keller viele. „Zunächst bietet die Biologie hier unheimlich gute Forschungsgruppen.” Aber auch fakultätsübergreifende Kooperationen sind für ihn ob seines interdisziplinären Forschungsgebiets sehr wichtig. „Wir arbeiten im Feld, im Labor, aber auch viel am Computer. Das macht es nicht immer unbedingt einfach, ist aber auch spannend und ermöglicht viele Kooperationen mit anderen Disziplinen.” Wegen seines Fokus auf Bioinformatik hat Keller großes Interesse an Informatik und – insbesondere – KI, in welcher die LMU sehr stark aufgestellt ist.

Wirte und Mikroben ganzheitlich betrachten

Auch mit der Informatik und Mathematik kann er sich Kooperationen vorstellen, vor allem im Bereich der Algorithmik, „da auch wir viele unserer Algorithmen und Software selber programmieren“.

Weitere Anknüpfungspunkte gibt es in der Medizin. „Die mögliche Brücke von Mikrobiom zu verschiedenen, etwa auch neuronalen, Krankheiten, die in der humanmedizinischen Grundlagenforschung aufgekommen ist, ist auch für uns interessant”, so Keller. „Von Versuchen anderer Arbeitsgruppen ist bekannt, dass Bienen mit gestörtem Mikrobiom Defizite beim Lernen oder der körperlichen Entwicklung aufweisen können. Ähnliche Wechselwirkungen sind beim Menschen bekannt. Dementsprechend können Bienen zum Beispiel oft kein optimales Verhalten beim Pollensammeln zeigen oder leiden unter erhöhter Sterberate.” Bedeutung hat seine Forschung natürlich nicht zuletzt beim Thema Naturschutz. Im Hinblick auf Agrarwirtschaft und Ökologie kooperiert Keller daher unter anderem auch mit der Technischen Universität München. Und im Rahmen einer JMU-Kooperation in den Anden untersucht er die Biodiversität des Mikrobioms von Insekten, die indirekt Rückschlüsse auf Einflüsse des Klimawandels erlaubt.

„Wir erleben durch den globalen Wandel derzeit eine Biodiversitätskrise mit starkem Rückgang in der Häufigkeit und Vielfalt vieler Tier- und auch Pflanzengruppen”, fasst Keller zusammen. „Dieser Rückgang ist sowohl für die wichtigen assoziierten Ökosystemprozesse, aber auch für die Agrarwirtschaft von Bedeutung. Und unsere Forschung zeigt, dass es dabei nicht nur Flora und Fauna zu betrachten gilt, sondern auch ihre Mikrobiome.“

Wonach suchen Sie?