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„Wählen zu dürfen ist ein Privileg“

20.09.2017

Masterstudent Thomas Ciarán Zschocke engagiert sich für eine hohe Beteiligung bei der Bundestagswahl 2017. Ehrenamtlich hat er deshalb die Thesen für die App „WahlSwiper entwickelt.

Thomas Zschocke wischt auf seinem Smartphone hin und her, links, rechts, rechts, links, rechts. Der 27 Jahre alte Master-Student tindert aber nicht, er lässt sich von der App „WahlSwiper“ eine Wahlempfehlung geben. Mit dem Ergebnis ist er zufrieden: „Ich hatte am meisten Übereinstimmung mit der Partei, die ich ohnehin wählen wollte“, sagt er.

Thomas fängt jetzt sein letztes Semester im Masterstudiengang Politikwissenschaft an der LMU an. Aber auch außerhalb des Hörsaals engagiert er sich politisch für eine steigende Wahlbeteiligung. „Das wir wählen dürfen, ist ein Privileg“, sagt er. Ausschlaggebend war für ihn der Brexit. „Dass gerade so viele junge Leute nicht zur Wahl gegangen sind, hat mich schockiert.“ Auch in Deutschland war die Beteiligung bei der letzten Bundestagswahl in der Altersgruppe der 21 bis 25 Jahre alten Wähler am niedrigsten.

Viele würden denken, mit ihrer Stimme nichts bewirken zu gönnen, glaubt Thomas. „Es scheitert nicht an der fehlenden Meinung, sondern vielen fehlt das Interesse und das Gefühl für die Wichtigkeit davon.“ Dabei hätten 2013 die Nichtwähler die größte Fraktion im Bundestag abgegeben. Bei Studenten komme sicherlich das Problem dazu, dass man noch sehr mobil sei. Im Auslandssemester denke sicher nicht jeder rechtzeitig daran, die Briefwahlunterlagen zu beantragen. Aber Thomas glaubt auch, dass es nach wie vor möglich ist, junge Menschen für Politik zu begeistern, oder zumindest für das Wählen.

Die App stellt auch Erklärvideos bereit Deshalb engagiert er sich unter anderem für die Initiative „Wir wählen 2017“. „Wir versuchen zum Beispiel die jungen Wähler mit viralen Videos auf einer emotionalen Ebene anzusprechen“, erzählt der Student. „Aber natürlich ist es auch an den Parteien, Themen zu besetzen, die für junge Leute interessant sind.“

Im Juni hört er von dem Projekt „WahlSwiper“. Die App soll ähnlich funktionieren wie der Wahl-O-Mat, der Benutzer muss zu verschiedenen Wahlkampfthesen Stellung beziehen. Die Unterschiede liegen zum einen in der Handhabung: Um zuzustimmen, wischt man nach rechts, um abzulehnen, nach links – ähnlich wie bei der Dating-App Tinder. Zum anderen kann der Nutzer sich zu jeder These ein kurzes Erklärvideo mit Informationen ansehen. Wer dann immer noch unentschlossen ist, kann die These durch ein Wischen nach oben mit „neutral“ beantworten. Am Ende vergleicht die App die Position mit denen aller 42 Parteien. „Da ist für jeden etwas dabei“, ist der Student überzeugt. „Es gibt auch spannende Ein-Themen-Parteien, die ein Zeichen setzen. Mit dem WahlSwiper wollen zeigen, dass Wählen Spaß machen kann.”

Initiiert wurde das Projekt von der Berliner Digitalagentur MOVACT. Gesucht wurden unter anderem Programmierer und Videoredakteure. Thomas kann sich mit seinem Know-How aus der Politikwissenschaft einbringen: Gemeinsam mit einer anderen Studentin entwickelt er die Fragen. „Es war uns wichtig, dass die Fragen möglichst neutral und die Themengebiete möglichst ausbalanciert sind.“ Der hehre Anspruch: Die Thesen nicht nach persönlichen Interessen auswählen, sondern nach objektiven Kriterien. Alle Parteien sollten ihre Themen in den Fragen wiederfinden.

Für die Thesen arbeiteten sie mehrere hundert Seiten Wahlprogramm durch „Zu zweit haben wir die Wahlprogramme aller Parteien, die es voraussichtlich in den Bundestag schaffen werden, durchgearbeitet.“ Aus mehreren Hundert Seiten Wahlprogramm schreiben sie rund 200 Thesen der einzelnen Parteien heraus. Dazu zählen Forderungen, wie die nach einer Geschwindigkeitsbegrenzung auf deutschen Autobahnen oder Einstellungen, wie „Deutschland ist ein Einwanderungsland.“ Die Thesen clustern sie anschließend mit Hilfe wissenschaftlicher Methoden. „Dann blieben etwa 50 übrig, die wir dann danach geordnet haben, wie relevant sie für die Parteien sind.“

Damit ist die Arbeit aber noch nicht geschafft: Die Thesen müssen so formuliert werden, dass sie eindeutig mit ja oder nein beantwortet werden können. So wirft beispielsweise die Frage: „Soll der Mindestlohn auf zehn Euro angehoben werden?“ zwei Dinge gleichzeitig auf: Zum einen die Frage, ob erhöht werden soll, zum anderen, ob der Nutzer zehn Euro ausreichend findet. Die Frage heißt deshalb im WahlSwiper: „Soll der Mindestlohn auf zehn Euro oder mehr angehoben werden?“

Dr. Oliver Pamp, wissenschaftlicher Mitarbeiter der LMU, hat die Fragen anschließend mit den Studenten überprüft. „Er hat uns viel konstruktives Feedback gegeben – zum Beispiel, auf eine einheitlichere Sprache zu achten.“ Anschließend gaben sie die Fragen an die Parteien weiter und füllten die App mit den Antworten. Parallel arbeitete das Video-Team an den erklärenden Clips.

Die App wurde bereits mehr fast eine halbe Million Mal heruntergeladen Mehrere Wochen habe die Entwicklung der Fragen in Anspruch genommen, sagt Thomas. Die Arbeit an dem Projekt hat er ehrenamtlich gemacht. „Jetzt ist es noch wichtig, die Leute zu erreichen. Sein Ergebnis im WahlSwiper kann man zum Beispiel in den sozialen Netzwerken teilen, um dann mit seinen Freunden darüber zu diskutieren oder sie auf die App aufmerksam zu machen.“

Die viele Arbeit hat sich schon gelohnt: Die App wurde bereits fast eine halbe Million Mal heruntergeladen. „Die Resonanz war überwältigend“, freut sich Thomas. Viele Nutzer hinterließen auch eine gute Bewertung. „Aber ein positives Feedback war ja nicht unser Ziel, sondern die Wahlbeteiligung zu erhöhen.“ Achtzig Prozent wären schon schön, meint er – vor allem unter den jungen Wählern.

Thomas selbst macht Briefwahl, seinen Stimmzettel hat er schon ausgefüllt. Auch für die Zeit nach der Bundestagswahl hat er schon einen Plan: Er wird der neue EU-Ambassador an der LMU. „Ich informiere dann zum Beispiel über eine Karriere in Brüssel und organisiere Podiumsdiskussionen und andere Events.“

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