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Wann Wähler Politiker bestrafen

01.06.2016

Reagieren Wähler auf Skandale in der Politik? Eine neue Studie zeigt, welchen Einfluss das Wahlsystem darauf hat.

Es liegt am Wahlsystem, ob und in welchem Ausmaß Wähler das Fehlverhalten von einzelnen Politikern bestrafen. Wenn Bürger unter mehreren Kandidaten einer Partei auswählen können, werden sie individuelle Fehltritte bei ihrer Entscheidung eher berücksichtigen – denn einer Partei können sie dann weiterhin die Treue halten. Das zeigt eine neue Studie von Lukas Rudolph, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl von Professor Paul W. Thurner am Geschwister-Scholl-Institut für Politikwissenschaft der LMU, und Dr. Thomas Däubler, Postdoctoral Fellow am Mannheimer Zentrum für europäische Sozialforschung. Die Ergebnisse sind aktuell in der renommierten Fachzeitschrift The Journal of Politics veröffentlicht.

Grundlage der Studie war die Wahl zum Bayerischen Landtag im Jahr 2013. Fünf Monate zuvor war im Rahmen der sogenannten Verwandtenaffäre publik geworden, dass mehrere Politiker Ehepartner oder nahe Verwandte als Mitarbeiter beschäftigt und aus öffentlichen Mitteln bezahlt hatten. „Aus Forschersicht hat sich uns hier die besondere Möglichkeit eröffnet, die Auswirkungen des Skandals in Analogie zu einem Experiment zu untersuchen: Wir konnten die Stimmanteile der von der Affäre betroffenen und der nicht betroffenen Abgeordneten vergleichen, um möglichst valide Schlüsse zu ziehen“, sagt Rudolph. Betroffen war parteiübergreifend ungefähr ein Drittel des bayerischen Landtags. Die beiden Politikwissenschaftler zogen in die Analyse jedoch nur CSU-Abgeordnete ein, da die CSU fast alle direkt gewählten Stimmkreisabgeordneten stellt und die Zahl der betroffenen Abgeordneten von SPD und Grünen zu klein war, um eine aussagekräftige statistische Auswertung der Ergebnisse zuzulassen.

„Um zu untersuchen, ob die Wähler Fehlverhalten bestrafen, haben wir zunächst die Ergebnisse der Erststimmen der Landtagswahlen von 2013 und 2008 verglichen“, sagt Rudolph. „Dabei konnten wir zwar statistisch signifikante, aber substanziell geringe Auswirkungen der Affäre feststellen.“ Der CSU-Stimmenanteil in betroffenen Stimmkreisen lag durchschnittlich 2,7 Prozentpunkte unter dem allgemeinen CSU-Trend. Trotz dieses Stimmenverlustes konnte jeder der betroffenen Abgeordneten ein Direktmandat erlangen. Die Wissenschaftler führen diesen geringen Effekt darauf zurück, dass viele Wähler ihrer Partei treu bleiben wollten: Für die Erststimme, mit der über den Stimmkreisabgeordneten abgestimmt wird, kann jede Partei nur einen Kandidaten zur Wahl stellen. „Wenn ich das persönliche Fehlverhalten dieses Kandidaten bestrafen wollte, müsste ich also auch auf die Wahl der entsprechenden Partei verzichten“, sagt Rudolph. „Für viele Wähler ist das ein recht großer Schritt, und in Deutschland haben einzelne Kandidaten keine so große Bedeutung für die Parteientscheidung, wie etwa in den USA.“

Die Analyse der Zweitstimmen zeigte jedoch, dass die Affäre trotzdem nicht spurlos an den Kandidaten vorbeiging: In Bayern kann der Wähler nämlich mit seiner Zweitstimme in einem sogenannten offenen Listenwahlsystem gezielt einen von mehreren möglichen Kandidaten einer Partei auswählen. „Mit einem statistischen Verfahren konnten wir zeigen, dass jene Politiker, die Verwandte beschäftigt hatten, signifikant weniger Zweitstimmen erhielten als unbelastete Kandidaten“, sagt Rudolph. Dieser Effekt ist substanziell wesentlich ausgeprägter: Wäre in Bayern nur mit der Zweitstimme gewählt worden, wären sieben der wieder angetretenen 14 CSU-Abgeordneten, die in die Verwandtenaffäre verwickelt waren, wohl nicht wiedergewählt worden. Die Wissenschaftler schließen daraus, dass das Wahlsystem ein entscheidender Faktor dafür ist, inwiefern Wähler das Fehlverhalten von Politikern sanktionieren können.

„Hat die CSU durch die Verwandtenaffäre Stimmeneinbußen hinnehmen müssen? Nach dem Wiedererlangen der Alleinregierung 2013 schien diese Frage irrelevant – und durch die Fakten negativ beantwortet. Lukas Rudolph und Thomas Däubler zeigen jedoch mit ihrer theoretisch wie methodisch ausgefeilten Studie, dass sich hinter diesem Gesamtresultat eindeutige Hinweise finden, dass die Wähler die Kandidaten ‚bestraften‘“, sagt Paul W. Thurner. „Die Wähler zeigen sich dabei durchaus in der Lage, die strategischen Möglichkeiten von komplexen Wahlsystemen zur Sanktionierung von Kandidaten oder Parteien zu nutzen.“ (The Journal of Politics 2016)

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