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Welche Antworten hat Lateinamerika auf die Pandemie?

05.11.2021

Auch von lateinamerikanischen Ländern kann man etwas zum Umgang mit der Pandemie lernen, findet die Ethnologin Eveline Dürr. Die LMU Latin America Network Online Dialogues bieten ein Forum zum Austausch über die Pandemie.

Corona Virus World Map von Südamerika auf einem Computerbildschirm

© AdobeStock / moinzon

Warum ist Lateinamerika besonders stark von Covid-19 betroffen?

Professorin Eveline Dürr: Das hat mehrere Gründe und liegt neben der lückenhaften medizinischen Versorgung in Lateinamerika auch an den krassen sozialen Ungleichheiten, die sich im Gesundheitssystem spiegeln. Dem liegt in vielen Ländern dieser Region struktureller Rassismus und die Diskriminierung der indigenen Bevölkerung zugrunde. Die reiche und weiße Oberschicht verfügt in der Regel über eine bessere Gesundheitsversorgung, die indigene Bevölkerung ist hingegen oft unterversorgt und teilweise auch schwerer zu erreichen. Dazu kommt die Frage: Wen möchten die Regierungen überhaupt mit ihren Maßnahmen adressieren?

Interessant ist auch die Frage nach der weltweiten Verteilung von Impfstoff und der politischen Einflussnahme, die damit einhergeht. Hinzu kommt noch der unsichere politische Kontext in vielen lateinamerikanischen Ländern selbst: In Brasilien verbreitet etwa Präsident Bolsonaro fragwürdige Parolen. Er leugnet die Gefahren durch das Coronavirus weitgehend und boykottiert eine faktengestützte Kommunikation und Aufklärung über Corona. Falschinformationen werden hier als Machtinstrument genutzt. Die Gesundheit der Bevölkerung steht dagegen weniger im Fokus.


Mich interessiert: Wie wirkt sich das auf die Umwelt, Gesundheit, Gesellschaft und die Wissenschaft aus? Wichtig ist dabei, dass wir aus Lateinamerika selbst hören, wie die Bevölkerung Lateinamerikas vor Ort mit diesen Herausforderungen umgeht. Und zu überlegen: Gibt es denn auch etwas, das man von Ländern wie Mexiko oder Brasilien lernen kann? So spielen zum Beispiel Impfskeptiker eine geringere Rolle als bei uns. Und auch wenn die jetzige Pandemie harsche Erinnerungen an frühere eingeschleppte Krankheiten mit fatalen Folgen hervorruft, gibt es gleichzeitig große Solidaritätsbezeugungen und neue Formen der Selbstorganisation in diesen Ländern.

Wie steht es um die Wissenschaftsskepsis in Lateinamerika?

Die Frage nach dem Expertentum ist ambivalent: Zum einen sind Experten auch in den lateinamerikanischen Ländern stärker in den Fokus gerückt, da man von ihnen die „Wahrheit“ zu vielen Themen erwartet. Damit geht einerseits eine Aufwertung und gestiegene Bedeutung in der öffentlichen Wahrnehmung der Wissenschaft einher. Zum anderen werden Aussagen in immer größerem Maß politisch genutzt. So gibt es auch eine Ablehnung von Maßnahmen, die Corona eindämmen sollen - oft formuliert als Kritik am Kolonialismus im wissenschaftlichen Gewand. Ein weiteres Beispiel sind etwa die Falschinformationen über die Wirkstoffe der Vakzine, wie zum Beispiel der Mythos, dass man durch die Impfung unfruchtbar werden könnte. Man kann eine Instrumentalisierung der Wissenschaft beobachten, die gezielt eingesetzt wird, um die eigene Macht aufrecht zu erhalten.

Warum steht Lateinamerika im Fokus Ihrer Vortragsreihe?

Bislang gibt es an der LMU keine Systematisierung der Forschungsinteressen zu Lateinamerika. Wir, die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vom LMU-Lateinamerika-Netzwerk, möchten für eine größere Sichtbarkeit der Forschung in diesem Bereich sorgen, uns kennenlernen, vernetzen und austauschen. Ein wichtiger Aspekt ist es, Schnittstellen in Forschung und Lehre zu identifizieren, nicht nur an der LMU, sondern eben stets im Dialog mit lateinamerikanischen Partnern. Der wichtigste Aspekt ist zu netzwerken, um Kontakte mit anderen Forschern herzustellen, auszuloten und zu intensivieren.

Vor Corona hatten wir das Lateinamerika Forum als große mehrtägige Konferenz geplant, um die Forschungen zu dieser Region zu präsentieren. Doch für dieses Format ist Präsenz notwendig, es geht bei dieser Veranstaltung ja vor allem auch um die „Zwischentöne“, informelle Gespräche über Forschungsvorhaben, spannende Ergebnisse oder Hypothesen. Da der persönliche Kontakt hierbei so wichtig ist, konnten wir dies nicht via Zoom stattfinden lassen. Trotzdem wollten wir uns nicht von Corona ausbremsen lassen. Daher haben wir uns dafür entschieden, ein kleineres Format als Vorbereitung auf die Tagung anzubieten. Die Idee: Ein kleines Onlineformat vorab, um die lateinamerikanischen Partner kennenzulernen und auch an der LMU weitere Kollegen, die zu dieser Region forschen, darauf aufmerksam zu machen.

Prof. Dr. Eveline Dürr ist Professorin für Ethnologie an der LMU und ist an der Organisation der Latin America Network Online Dialogues an der LMU beteiligt. Die nächste Veranstaltung mit dem Titel „COVID-19 pandemic: Implications for health care, medical research and teaching in Latin America and at LMU” findet am 10. November von 19 - 20:30 Uhr statt.
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