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Wenn alle zuhören, aber nicht alle reden

26.07.2017

Bakterien können auch dann gemeinsam auf die Umwelt reagieren, wenn nur ein Teil der Bakterienpopulation chemische Signalstoffe produziert. Das zeigt eine theoretische Arbeit von LMU-Biophysikern.

Bakterien können über chemische Signalmoleküle kommunizieren, die sie selbst produzieren und in die Umgebung abgeben. Dieser chemische Informationsaustausch ermöglicht den Mikroben, die Eigenschaften ihrer ganzen Gruppe zu steuern. LMU-Physiker um Professor Erwin Frey, Inhaber des Lehrstuhls für Biologische und Statistische Physik, haben nun in einer theoretischen Arbeit gezeigt, dass dabei nicht unbedingt alle Bakterien einer Population „mitreden“ müssen. Über ihre Ergebnisse berichten die Wissenschaftler im Fachmagazin eLife.

Erreicht die Konzentration der Signalmoleküle ein bestimmtes Niveau in der Umgebung, können die Bakterien kollektiv mit einem bestimmten Verhalten reagieren, etwa mit Biolumineszenz oder indem sie Biofilme bilden. Dieser Mechanismus wird als Quorum Sensing bezeichnet. Häufig beeinflusst die Konzentration der Signalmoleküle in der Umgebung deren weitere Produktion. Im Gegensatz zu früheren Annahmen, wonach alle Bakterien einer Population gleichermaßen Signalmoleküle produzieren, legen neuere experimentelle Ergebnisse nahe, dass das nicht immer der Fall ist – auch dann nicht, wenn die Bakterien genetisch übereinstimmen. „Uns hat nun interessiert, wie es zu einer solchen phänotypischen Heterogenität, also einer Aufspaltung der Population, kommen kann, obwohl alle Bakterien auf die Umwelt gleich reagieren“, sagt Johannes Knebel, einer der Erstautoren der Studie.

Die Wissenschaftler haben das komplexe Zusammenspiel zwischen ökologischen und populationsdynamischen Faktoren mithilfe mathematischer Modellierungen untersucht und konnten zeigen, dass eine Population auch dann stabil bleibt und ihre gemeinsame Reaktion auf die Umwelt steuern kann, wenn nur ein Teil der Bakterien Signalmoleküle produziert. „Dafür müssen zwei Voraussetzungen gegeben sein“, sagt Knebel: „Erstens müssen alle Bakterien auf das aktuelle Produktionslevel der Signalmoleküle reagieren können – also wahrnehmen, was kommuniziert wird. Und zweitens muss die Produktion der Signalmoleküle Wachstumsnachteile zur Folge haben. Das ist zum Beispiel dann der Fall, wenn diese Moleküle eigens unter Energieverbrauch produziert werden. Diese Energie steht dann nicht für die Teilung zur Verfügung.“

Unter diesen Bedingungen wachsen Bakterien, die keine Signalproteine produzieren, im Modell immer schneller als die Produzenten. Da alle Bakterien die Konzentration der Signalmoleküle in der Umgebung wahrnehmen, können Nichtproduzenten als Reaktion auf die Umwelt zu Produzenten werden. Die Bakterien, die bereits Signalmoleküle produzierten, steigern ihre Produktion dagegen kaum. „Bakterien reagieren auf eine Umwelt, die sie selbst verändern. Dieses ökologische Feedback macht es möglich, dass heterogene Populationen entstehen“, sagt Frey. "Unsere mathematische Analyse zeigt, dass die Heterogenität stabil existieren kann und gegen Störungen robust ist.“

Es gibt Spekulationen, dass diese Strategie für die Gesamtpopulation vorteilhaft sein könnte, etwa weil sich die Bakterien die energieaufwendige Produktion der Signalproteine teilen, oder auch weil durch eine breitere Streuung der Phänotypen evolutionsbiologisch gesehen eine schnellere Anpassung an Umweltänderungen möglich sein könnte. Um die biologische Funktion der phänotypischen Heterogenität näher zu untersuchen, sollten nach Ansicht der Wissenschaftler experimentelle Studien folgen.eLife 2017

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