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Wie das Hieroglyphen-Rätsel gelöst wurde

27.09.2022

Vor 200 Jahren, am 27. September 1822, wurde die Hieroglyphenschrift entschlüsselt. Ägyptologe Friedhelm Hoffmann erklärt, wie es dazu kam, und warum es in altägyptischen Texten noch immer Neues zu entdecken gibt.

Der Stein von Rosetta im British Museum

Besucherandrang vor dem Stein von Rosetta im British Museum. | © IMAGO / Eberhard Thonfeld

Professor Friedhelm Hoffmann ist Vorstand des Instituts für Ägyptologie und Koptologie der LMU. Im Interview wirft er einen Blick zurück in die Geschichte, als der Stein von Rosetta, der 1799 in Ägypten entdeckt wurde, Wissenschaft und Gesellschaft vor Rätsel stellte.

Der Rosettastein gilt als einer der bedeutendsten archäologischen Funde. Warum ist er so bedeutend?

Friedhelm Hoffmann: Sein Fund hat dazu beigetragen, die Hieroglyphen lesen zu können. Schon für die Griechen und das Rom der Antike waren die Hieroglyphen ein großes Rätsel und Mysterium. Die Entdeckung des Steins viele Jahrhunderte später, im Jahr 1799, hat die Menschen elektrisiert: Sie hofften, weil auf dem Stein derselbe Text in drei verschiedenen Schriften steht, endlich den Schlüssel in der Hand zu halten, die Hieroglyphen lesen zu können.

Warum beherrschte niemand mehr die Kunst, Hieroglyphen zu lesen?

Im Zuge der Christianisierung wurde die Tradition zerstört. Die Hieroglyphen galten den Christen als heidnisch, die Tempelkultur, mit der die ägyptische Schriftkultur eng verbunden war, als Götzenzeug. Doch die Denkmäler hielten die Erinnerung wach und ließen das Abendland den Verlust umso schmerzlicher spüren. Man vermutete seit der Antike, dass in den Hieroglyphen Geheimnisse niedergelegt seien.

Hoffte man auf kostbare Schätze?

In der arabischen Literatur ja, aber die klassische Antike und das neuzeitliche Europa waren nicht so sehr an Schätzen interessiert. Sie wollten wissen, wie die Hieroglyphen funktionierten. Dabei war ihnen ihre eigene Überzeugung im Weg. Barockgelehrte waren sich sicher: Eine Hieroglyphe steht für ein Wort, einen Begriff oder Satz. Das hat die Forschung blockiert. Denn eigentlich handelt es sich um eine Laut- und Begriffsschrift, die aber nur zu einem kleinen Teil ideographisch ist.

Der stein von Rosetta im British Museum

Der Stein von Rosetta ist in drei Sprachen beschriftet. | © IMAGO / Xinhua / Han Yan

Wie konnte der Rosettastein zu dieser Erkenntnis beitragen?

Er ist der erste mehrsprachige Inschriftenstein überhaupt, der gefunden wurde. Drei Texte stehen darauf: einer in Hieroglyphen, einer in demotischer und einer in altgriechischer Schrift. Man konnte sicher sein, dass in ihnen das Gleiche stand. Der britische Naturwissenschaftler Thomas Young war einer der ersten, der sich über das Verteilungsmuster der Hieroglyphen im Rosettastein ihrem Verständnis näherte. Er isolierte Zeichengruppen und kam damit relativ weit. Aber auch er glaubte, ein Zeichen stünde für einen Begriff. Den wesentlichen Durchbruch erzielte Jean-François Champollion. Er erklärte am 27. September 1822 vor der Académie Française, dass einzelne Hieroglyphen auch Konsonanten bezeichnen könnten.

Wie war er darauf gekommen?

Er stützte sich vermutlich unter anderem auf die Entdeckungen von William Bankes, dem es dank zweier Funde auf einer seiner vielen Ägyptenreisen gelungen war, den Namen von Kleopatra zu identifizieren. Außerdem hatte Champollion die Abzeichnungen anderer Königsnamen bekommen; unter anderem den des Ramses, den er sofort lesen konnte, denn Champollion konnte Koptisch und las das Zeichen, das einen Sonnenschein darstellte, als Ra, die Sonne. Die zwei s kannte er schon vom Rosettastein. So begriff er, dass die Hieroglyphen aus Lautzeichen und aus ideographischen Zeichen bestehen. In den folgenden Jahren nahm er sich jede Menge an Inschriften vor und erschloss sich nach und nach, wie das System funktioniert.

Wie viele Hieroglyphen gibt es?

In der früheren Epoche waren es deutlich weniger als tausend, in der griechisch-römischen Zeit kamen noch ein paar dazu.

Kann man inzwischen alle lesen?

Fast alle. Aber es kommen immer wieder neue hinzu. In Ägypten muss man manchmal nur an der Oberfläche kratzen, um auf einen Text zu stoßen. Gerade hat man 20.000 beschriftete Tonscherben gefunden. Darunter sind diverse Listen aus Verwaltung und Schule, astronomische Texte, Horoskope und vieles mehr.Das heiße, trockene Klima und der Wüstensand helfen, auch Papyrus zu konservieren. Immer wieder findet man Rollen von Papyrus, die gut erhalten sind, sofern sich die Termiten nicht darüber hergemacht haben. Die Schwierigkeit beim Lesen liegt oft vor allem darin, dass viele Texte beschädigt sind.

Die Ägyptologie hat also noch immer viel zu erkunden?

Definitiv. Ich halte es auch für außerordentlich wichtig, immer neues Material zu publizieren. Denn das ist für uns Ägyptologen, was für Naturwissenschaftler Experimente sind. Die ständige Neuentdeckung von Texten liefert uns nicht nur neue, unbekannte Wörter. Sie hilft auch, die Bedeutung bekannter Wörter und grammatische Regeln genauer zu fassen. Darum freue ich mich über jeden neuen Text! Gut wäre, all das neue Material wieder in einem umfassenden Wörterbuch zusammenzutragen. Ein Einzelner kann das nicht leisten, klar. Und wenn der Materialzuwachs weiter so anhält wie bisher, wird in hundert Jahren vermutlich wieder geklagt, dass man ein neues Wörterbuch braucht!

Sie haben zusammen mit einem Leipziger Kollegen auch einen vier Meter langen Papyrus aus dem 12. Jahrhundert vor Christus veröffentlicht, der Zaubersprüche gegen Krankheiten zusammenstellt. Möchten Sie uns eine kleine Kostprobe geben?

Gern. Im Text werden an einer Stelle die Namen von Hilfsgeistern aufgelistet, die heilend helfen sollen. Ein besonders hübscher Vermerk findet sich im Vorspann, wo empfohlen wird, die Namen der Geister auf ein Papyrusröllchen zu schreiben, das man sich üblicherweise mit einem Band um den Hals hängte. Im Text heißt es über die Wirksamkeit der Namen: „Wenn man sie an den Hals einer Maus gibt, wird kein Kater sie packen. Wenn man sie an den Hals eines Stallrindes gibt, wird es nicht geschlachtet werden. Wenn man sie an den Hals des N.N. gibt, werden ihn nicht befallen Wiedergänger und Wiedergängerin.“ Damit hat die Schrift magische Wirkung: Sie schützt den Menschen vor Untoten und anderen Dämonen.

Zum Vertiefen:

Friedhelm Hoffmann/Stefan Pfeiffer: Der Stein von Rosetta. Reclam 2021, Ditzingen.


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