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Wie Zellen ihre Umgebung beeinflussen

04.04.2018

Elastische Interaktion: Zellen in einem Gewebeverband können an Fasern ziehen, die sie umgeben. Das kann die Steifigkeit der Matrix, in der sie eingebettet sind, drastisch verstärken, zeigen Forscher um LMU-Biophysiker Chase Broedersz.

In lebenden Organismen wachsen Zellen eingebettet in einer extrazellulären Matrix, einem dreidimensionalen Netzwerk von Biopolymeren. Die mechanischen Eigenschaften dieses Netzwerkes können das Verhalten der Zellen stark beeinflussen, diesen Effekt nennt man Mechanosensitivität. Die Mechanosensitivität kann verschiedenste zelluläre Prozesse beeinflussen, zum Beispiel Genexpression, Zellmigration und Stammzell-Differenzierung. Professor Chase Broedersz, Professor für Statistische und Biologische Physik an der LMU und Principal Investigator der Nanosystems Initiative Munich (NIM), und Kollegen am Massachussetts Institute of Technology (MIT), Cambridge, USA, in Paris und in Princeton haben herausgefunden, dass die Interaktion zwischen Zellen und der Matrix auf zwei Wegen abläuft: Zum einen fühlen die Zellen die Steifigkeit der Umgebung, zum anderen verändern sie diese aber auch drastisch. Denn die Zellen adhärieren an das Netzwerk und ziehen daran, dadurch erzeugen sie Spannungen in der umgebenden Matrix, die deren Steifigkeit um ein hundertfaches erhöhen können. Diese Arbeit ist der erste direkte Beweis, dass Zellen ihre mechanische Kontraktion dazu nutzen, um die Steifigkeit des umgebenden dreidimensionalen Gewebes drastisch zu beeinflussen.

Eine neue Methode „Wenn wir über eine Brücke laufen, dann verändert dies nicht die mechanischen Eigenschaften dieser Konstruktion. Durch unsere Arbeit konnten wir aber zeigen, dass die Situation anders ist für Zellen, die in einem Gewebe eingebettet sind. Sobald sich diese durch die Matrix bewegen, ziehen sie an der Struktur und verstärken deren Steifigkeit deutlich“, erklärt Broedersz. Diese Zunahme der Steifigkeit der Matrix wird dadurch möglich, dass sich die Steifigkeit des Biopolymer-Netzwerkes höchst nicht-linear verhält: Sobald sie sich in ihrer Form verändert, versteift sich die Matrix. Dieses Verhalten steht im Gegensatz zur Reaktion der meisten nicht-biologischen Materialien. Broedersz und seine Kollegen haben diese Nicht-Linearität ausgenutzt, um eine neue Methode zur Charakterisierung von Zell-Matrix-Wechselwirkungen zu untersuchen. Die von ihnen entwickelte sogenannte Nonlinear Stress Inference Microscopy (NSIM) ermöglicht es, den durch eine Zelle ausgelösten mechanischen Stress in 3D zu messen. Dadurch kann aufgeklärt werden, wie Zellen mechanisch mit ihrer Umgebung interagieren. Durch diese Arbeit, die in PNAS publiziert ist, wird die Wichtigkeit von zellulärem Stress und den mechanischen Eigenschaften der umgebenden extrazellulären Matrix auf mikroskopischem Maßstab hervorgehoben. Auch wird ein konkreter Mechanismus beschrieben, wie Zellen ihre ‚Mikroumgebung‘ kontrollieren und auf mechanischem Wege miteinander kommunizieren können.Mittels der NSIM konnten Broedersz und seine Kollegen zeigen, dass die Kontraktion von Zellen starken Stress auslöst. Durch diesen Stress wird über einen weiten Bereich innerhalb der 3D-Matrix ein starker Steifigkeits-Gradient erzeugt. „Interessanterweise haben wir in allen untersuchten Matrix-Modellen das gleiche Verhalten gemessen: der von den Zellen induzierte Stress wird weitergeleitet und das mit einer großen Reichweite“, sagt Broedersz, „In einfachen Worten: die Stressbewegung, die von den Zellen ausgelöst wird, verteilt sich wie in einem Netzwerk von Seilen. Dieses Verhalten haben wir nicht erwartet, da unseren Überlegungen die Elastische Theorie von normalen Materialien zu Grunde lag. Durch die aktive Stressbewegung von Zellen kann eine nicht-lineare Steifigkeitsreaktion der Matrix über weite Distanzen angeregt werden.“

Spannungsmessung an kontrahierenden Zellen In ihren experimentellen Arbeiten haben die Biophysiker Zellen in 3-dimensionale biologische Matrizen eingebettet, und mit Latex-Kügelchen durchsetzt. An diesen Kügelchen haben sie dann mit Hilfe von Optischen Pinzetten gezogen. Dadurch konnte die Spannung und Steifigkeit in der Matrix an verschiedenen Stellen rund um die Zellen gemessen werden. „Durch diese Methode konnten wir direkt an lebenden Zellen messen, wie sie ihre ‚Mikroumgebung‘ beeinflussen“, beschreibt Broedersz, „der zell-induzierte Stress führt zu weit reichenden Veränderungen der Steifigkeit. Prinzipiell können andere Zellen in der umgebenden Matrix die Änderungen wahrnehmen und darauf reagieren. Das legt die Vermutung nahe, dass die von Zellen ausgelöste Steifigkeitsverstärkung einen konkreten Mechanismus der mechanischen Kommunikation zwischen verschiedenen Zellen innerhalb einer Matrix darstellt.“ Die Beobachtungen verdeutlichen die entscheidende Rolle von nicht-linearer Mechanik in der Entstehung von Zell-Matrix-Interaktionen, die vielleicht auf diesem Wege auch das Verhalten und die physiologischen Funktionen von Zellen steuern. Durch ihre Einfachheit kann die NSIM-Methode für verschiedene Fragestellungen angewandt werden, z.B. in der Erforschung der Embryonal- und Tumorentwicklung. (NIM)PNAS 2018

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