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Workshop: Brücke zwischen Naturwissenschaften und Genderforschung

06.10.2022

Bei der Veranstaltung „Gender Equity in Academia – a First Aid Kit“ diskutierten Forschende aus den Sozialwissenschaften mit Naturwissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern.

„Ich war eine Higgs-Hunterin!“, erzählt Professorin Rohini M. Godbole. Die Emerita des Indian Institute of Science blickt auf viereinhalb spannende Jahrzehnte in der Theoretischen Teilchenphysik zurück. Ihre beachtliche Karriere wurde wohl auch möglich, weil sie sich in den Sechzigerjahren in Indien für „mehr Naturwissenschaften als nur Home Science“ an ihrer Mädchenschule stark machte – auf ihren Brief an die Schulleitung hin wurde damals tatsächlich das Curriculum geändert.

Das erzählt Godbole in ihrem Vortrag „Life of a young scientist – what helps and what hinders“, den sie im September per Zoom bei einem Workshop am Exzellenzcluster ORIGINS hielt. Das Besondere an der hybriden, dreitägigen Veranstaltung „Gender Equity in Academia – a First Aid Kit“: Forschende aus den Naturwissenschaften wie Godbole sprachen abwechselnd mit Spezialistinnen auf dem Gebiet der Genderforschung und hatten ausführlich Gelegenheit zur Diskussion.

In der Rushhour des Lebens

Initiiert und organisiert wurde der Workshop von zwei Physikerinnen: Verónica Errasti Díez, Fellow für Theoretische Hochenergiephysik an der LMU und dem Exzellenzcluster ORIGINS, und Elisa Ferreira, Assistant Professor in Kosmologie am Kavli Institute for the Physics and Mathematics of the Universe in Tokio sowie dem Institute of Physics derUniversity of São Paulo. „Um die Probleme, die uns selbst und Kolleginnen in STEM-Fächern betreffen, besser zu verstehen“, erklärte Errasti Díez, „haben wir uns mit Spezialistinnen und Spezialisten für Genderstudies zusammengeschlossen, mit Soziologinnen, Psychologinnen, Historikerinnen.“ Elisa Ferreira fügte hinzu: „Unsere Probleme im Forschungsalltag sind das Thema ihrer Forschungen – und wir wollten eine Brücke schlagen.“

So beschäftigte Professorin Paula-Irene Villa Braslavsky, Inhaberin des Lehrstuhls für Allgemeine Soziologie und Genderstudies der LMU, sich in ihrem Vortrag „Gender, Power, Knowledge – mutually exclusive? Sociological insights“ unter anderem mit dem ungleichen Anteil von Frauen auf unterschiedlichen Stufen der akademischen Karriere. Eine Ursache dafür sei, dass Care-Aufgaben, etwa Elternschaft, weiterhin stark von Frauen übernommen würden, dass aber auch Wissenschaftlerinnen eher als Wissenschaftlern unterstellt würde, für diese zuständig zu sein. Villa Braslavsky betonte auch, dass männliche Wissenschaftler, die aktive Väter sein wollten, aus der Wissenschaft herausgedrängt würden. „Wir müssen den Hochschulbereich zu einem Ort machen, an dem sich um das Kümmern gekümmert wird“, erklärte sie. Für alle Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die strukturell prekär beschäftigt seien, sei die Phase nach der Promotion vom Zeitpunkt her einzigartig in wissenschaftlichen Karrieren und Teil einer sehr verdichteten „Rushhour" des Lebens. „Es scheint paradox“, so Villa Braslavsky, „aber wir müssen über Gender sprechen, damit Gender irgendwann kein Thema mehr ist.“

Von innen heraus verändern

Bei dem Workshop, zu dessen Beratungsgremium auch die LMU-Frauenbeauftragte Dr. Margit Weber gehörte, ging es deshalb etwa um den Einfluss des gesellschaftlichen Klimas auf Gleichstellung, um sexuelle Belästigung, aber auch um praktische Beispiele für Inklusivität. Die Physikerin und Historikerin Professorin Maria Rentetzi, Inhaberin des Lehrstuhls für Science, Technology and Gender Studies der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, glaubt, dass die neue Generation, neben institutionellen Maßnahmen, „die persönliche Pflicht hat, für ihre Position in den Wissenschaften zu kämpfen und die Physik von innen heraus zu verändern“.

Dr. Tana Joseph, Equity and Inclusion Officer for Dutch Astronomy des Unternehmens AstroComms, verwies auf Chancenungleichheiten auch unter Frauen selbst, je nach Herkunft, Hautfarbe, Nationalität, Behinderung und etwa Religion. Einer der zwei männlichen Vortragenden, Teilchenphysiker Dr. Brian Henning von der École polytechnique fédérale Lausanne, fand, dass auch Männer in diese wichtige Diskussion eingeschlossen werden müssten. Exemplarisch berichtete er von einem Workshop zum Thema Inklusivität, den er selbst mit Kollegen gehalten hatte, der gerade von der Diversität der Teilnehmenden, von ihrer Präsenz und ihren Fragen profitiert hatte. Dies habe nicht zuletzt auch zu besserer Wissenschaft geführt.

Rollenvorbilder vermitteln

Ähnliches zeigte Dr. Audine Laurian, Scientific Manager am Meteorologischen Institut der LMU, in ihrem Comicbuch-Projekt „Of course!”. Die bunten Bildergeschichten zeichnen inspirierende Karrieren von Forschenden in Astrophysik, Meeresbiologie oder etwa Atmosphärenforschung nach, illustrieren aber auch Probleme und Strategien zu ihrer Bewältigung. In einem Comic berichtet ein männlicher Wissenschaftler, wie mehr Diversität das Klima – und damit die Zusammenarbeit – in seiner Arbeitsgruppe verbesserte. In einem anderen erzählt eine Physikprofessorin und Mutter, wie sie als Rollenvorbild ihre Studentinnen inspirieren konnte.

Rohini M. Godbole rät Nachwuchsforscherinnen, sich zu vernetzen, eigene Nischen zu finden – und im Hinblick auf Haushalt und Kinderbetreuung: „Versucht nicht, Superfrauen zu sein! Ihr könnt nicht alles machen! Fühlt euch nicht schuldig, wenn ihr in dieser Zeit um Unterstützung und Hilfe bittet.“ Die Physikerin resümiert: „Ein Leben in der Wissenschaft kann hart sein, egal, welchem Geschlecht man angehört. Aber Gutes hat seinen Preis! Und ich kann nur sagen: Es ist es wert.“

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