Krebstherapie nach Maß

Marion Subklewe und Sebastian Kobold setzen das Immunsystem gezielt gegen Tumoren ein und eröffnen neue Perspektiven für patientenspezifische Behandlungen.

T-Lymphozyten und Krebszelle

„Ein neunzehnjähriger Medizinstudent mit Leukämie war unser erster Patient, ihn werde ich nie vergessen.“ Mit diesem Satz erinnert sich Professorin Marion Subklewe an den Moment, der für sie einen Meilenstein in der Krebstherapie markierte: Vor sechs Jahren setzte sie am LMU Klinikum erstmals individuell angepasste Immunzellen ein – eine sogenannte CAR-T-Zelltherapie, die das Immunsystem selbst gegen Tumoren aktiviert.

Bei der CAR-T-Therapie werden den Patienten oder Patientinnen T-Zellen entnommen. Diese Immunzellen gehören zu den weißen Blutkörperchen und werden gentechnisch so verändert, dass sie Tumorzellen erkennen und zerstören können. Das geschieht, indem ein spezielles Gen in die T-Zellen eingeschleust wird, das für einen sogenannten chimären Antigenrezeptor (CAR) kodiert, der spezifische Proteine (Antigene) auf der Oberfläche der Krebszelle erkennt.

Professorin Marion Subklewe

„Als 2013 erste Studien zu CAR-T-Zellen erschienen, war ich sofort begeistert von der Perspektive, dass diese vielleicht noch effektiver sein könnten als die therapeutischen Impfstrategien gegen Krebs, die ich damals verfolgt habe", sagt Professorin Marion Subklewe.

© privat

Enge Verzahnung von Klinik und Forschung

„Als 2013 erste Studien zu CAR-T-Zellen erschienen, war ich sofort begeistert von der Perspektive, dass diese vielleicht noch effektiver sein könnten als die therapeutischen Impfstrategien gegen Krebs, die ich damals verfolgt habe“, erzählt Subklewe. Die Forscherin hat eine Professur für Innere Medizin mit dem Schwerpunkt zelluläre Immuntherapie inne und leitet parallel zu ihrer Tätigkeit als Oberärztin am LMU Klinikum die Arbeitsgruppe „Translational Cancer Immunology“ am Genzentrum der LMU. So kann sie Klinik und Forschung eng verknüpfen und die Methode stetig weiterentwickeln.

Inzwischen hat die Behandlung viele Fortschritte gemacht. Anfangs wurden alle Patientinnen und Patienten rund um die Uhr intensiv überwacht, heute behandelt man sie primär auf einer Normalstation. Schwere Nebenwirkungen wie das Zytokin-Freisetzungssyndrom (CRS) oder neurotoxische Effekte treten zwar nach wie vor auf, aber der Anteil der betroffenen Patienten hat sich deutlich reduziert. „Wir haben inzwischen gute Möglichkeiten, gegenzusteuern“, sagt Subklewe. Ihre Forschung hat gezeigt, dass die häufigste längerfristige Nebenwirkung eine erhöhte Infektanfälligkeit der Behandelten ist. Für die Prognose spielt auch die Fitness des Patienten eine Rolle, das ergaben die Auswertungen von Patientendaten. „Gerade haben wir deshalb ein Sportprogramm gestartet, um Patienten vor der Zelltherapie noch etwas fitter zu machen.“

Tube im Durchflusszytometer zur Analyse von Immunzellen.

Tube im Durchflusszytometer zur Analyse von Immunzellen | © privat

Neue Ansätze für komplexe Tumoren

Im Labor arbeitet Subklewe daran, die Immuntherapie gegen Krebs weiterzuentwickeln. „Eine große Leidenschaft für mich ist, CAR-T-Zellen in Tumortypen zu bringen, die noch nicht behandelt werden können, insbesondere bei der akuten myeloischen Leukämie (AML).“ CAR-T-Zelltherapien wirken derzeit vor allem bei bestimmten Formen von Blutkrebs, die aus B-Lymphozyten entstehen, etwa der akuten lymphatischen Leukämie (ALL) oder dem Multiplen Myelom. Diese Krebszellen tragen spezifische Antigene auf ihrer Oberfläche, an die sich CAR-T-Zellen gezielt binden können. Zwar werden dabei auch gesunde B-Zellen zerstört, doch lässt sich das mit Medikamenten ausgleichen.

Bei AML ist das schwieriger: Hier sind die blutbildenden Stammzellen selbst krankhaft verändert. Eine CAR-T-Therapie würde also auch die gesunde Blutbildung zerstören. Außerdem fehlen auf diesen Zellen die typischen Zielstrukturen, an die sich die CAR-T-Zellen bei B-Zell-Leukämien binden, und mögliche Alternativen kommen auch auf anderen Zellen vor – was zu schweren Nebenwirkungen führen würde.

»Eine große Leidenschaft für mich ist, CAR-T-Zellen in Tumortypen zu bringen, die noch nicht behandelt werden können.«

Marion Subklewe

Verbessern könnte dies die von Subklewe entwickelte Adapter-CAR-T-Zelltherapie: Die CAR-T-Zellen werden hier nur aktiv, wenn Adaptermoleküle sie mit Tumorzellen verbinden. Diese Adapter könnten verschiedene Zielstrukturen ansteuern und werden im Körper innerhalb von etwa 30 Minuten abgebaut – so lässt sich die Therapie steuern. „Ein interessantes Konzept, das wir gerne in einer Phase-I-Studie auf Anwendbarkeit und Verträglichkeit testen wollen“, sagt Subklewe.

Doktorandin Amelie Muth und Marion Subklewe.

Doktorandin Amelie Muth und Marion Subklewe isolieren mittels Dichtezentrifugation Lymphozyten aus dem Blut.

© privat

Solide Tumoren im Fokus

Eine Herausforderung sind auch solide Tumoren, also beispielsweise Krebs in der Bauchspeicheldrüse, der Lunge oder der Leber. Diese Tumoren sind für CAR-T-Zellen schwerer zugänglich als das blutbildende System, der natürliche „Lebensraum“ der T-Zellen. Zudem sind solide Tumoren sehr heterogen und es wurden bisher nur wenige geeignete Zielstrukturen identifiziert. „Sie entstehen aus den Organen und entwickeln sich oft über viele Jahre oder Jahrzehnte. Daher haben die Tumorzellen viel Zeit, sich weiter zu verändern, sodass man am Ende sehr unterschiedliche Zellen vorfinden kann“, erklärt Sebastian Kobold.

Kobold ist Professor für Experimentelle Immunonkologie und stellvertretender Direktor der Abteilung für Klinische Pharmakologie am LMU Klinikum. „Das Immunsystem kann bei Krebs sowohl positiv als auch negativ wirken – diese Janusköpfigkeit und die Möglichkeiten der Zelltherapie haben mich fasziniert“, sagt er. In seinem Labor untersucht Kobold die grundsätzlichen Mechanismen, mit denen das Immunsystem gegen Krebs vorgeht und wie sich therapeutische Zellen verbessern lassen. Der Immunonkologe arbeitet vor allem präklinisch im Labor, um neue Ansätze zu testen. „Die Prinzipien sind wahrscheinlich bei vielen Erkrankungen ähnlich“, betont er. Daher erforscht er verschiedene solide Tumoren, darunter Bauchspeicheldrüsen-, Darm-, Brust-, Leber- und schwarzer Hautkrebs.

Professor Sebastian Kobold im Labor

© Stephan Höck / LMU

»Das Immunsystem kann bei Krebs sowohl positiv als auch negativ wirken – diese Janusköpfigkeit und die Möglichkeiten der Zelltherapie haben mich fasziniert.«

Sebastian Kobold

Wendy den Hartog, Doktorandin in der AG Kobold, bei der Kultur von Krebszellen zur Erprobung neuer Immuntherapien | © Stephan Höck / LMU

DNA-Origami als Gerüst

„Wir machen aber auch viel mit hämatologischen Erkrankungen“, sagt Kobold. „Dabei konzentrieren wir uns vor allem auf solche, bei denen CAR-T-Zelltherapien bisher nicht wirken.“ Seine und Marion Subklewes Forschungen zur Immuntherapie bei Tumoren ergänzen sich und die beiden Forschenden kooperieren in verschiedenen Projekten. Ähnlich wie bei Subklewes Adapter-CAR-T-Zelltherapie setzt auch er unter anderem auf ein System, bei dem flexible Strukturen – hier sogenannte PTEs (programmable T-cell engagers) – wie Adapter die T-Zelle mit der Tumorzelle verbinden und aktivieren.

Das Grundgerüst der PTEs wird dabei mittels DNA-Origami erzeugt, einer Nanotechnologie, bei der sich selbstfaltende DNA-Stränge zusammenfügen. Anschließend kann das Gerüst mit verschiedenen Antikörpern bestückt werden, die spezifisch an Tumorzellen beziehungsweise T-Zellen binden. Dass PETs im lebenden Organismus funktionieren, konnte Kobold im Mausmodell bereits nachweisen. „Der Clou an dieser Technologie wäre, dass man das letztlich schaltbar machen kann, sodass die Interaktion nur im Kontext der Krebszelle und nicht im Kontext von gesunden Zellen stattfände.“

Skalierbare Therapien als wirtschaftliche Lösung

Der Ansatz, Tumoren über verschiedene Zielstrukturen anzugreifen – sei es über Adaptermoleküle oder auch, indem CAR-T-Zellen direkt mehrere Zielstrukturen erkennen – ist vorteilhaft, weil Tumorzellen das Immunsystem durch Immune-Escape-Mechanismen austricksen können. Dazu gehört etwa, bestimmte Zielstrukturen herunterzuregulieren oder immunsupprimierende Mechanismen einzusetzen. „Auch T-Zellen können einen Burnout bekommen und erschöpfen“, so Subklewe. Die Forschenden arbeiten daran, das Immunsystem so zu modulieren, dass die T-Zellen möglichst lange wirksam bleiben. Ein innovativer Ansatz, der derzeit in einer Phase-I-Studie getestet wird, stattet CAR-T-Zellen mit zusätzlichen Funktionen aus: Sie könnten dann als „Mikro-Apotheke“ immunmodulierende Botenstoffe freisetzen, die das Immunsystem gezielt an der Tumorstelle aktivieren – bei minimalen systemischen Nebenwirkungen.

„Ich glaube, wir sind insgesamt auf gutem Wege“, fasst Kobold zusammen. „Wir verstehen die Biologie und Immunologie dieser Tumoren besser und auch bei soliden Tumoren zeigt sich, dass T-Zellen einen wichtigen Beitrag leisten können.“ Allerdings sei auch die Wirtschaftlichkeit der Therapien eine wichtige Frage. Ein Ansatz, die Therapie kostengünstiger und damit breiter einsetzbar zu machen, könnten sogenannte Universalzellen sein, die so verändert sind, dass sie nicht mehr nur für einen Patienten passen, sondern für eine große Zahl von Menschen generiert werden könnten.

Zellkulturflaschen

Kultur von Zellen der akuten myeloischen Leukämie | © Stephan Höck / LMU

KI-Analyse von Patientendaten für genauere Therapieempfehlungen

Doch welcher Patient profitiert von welcher Therapie? „Es gibt Studien mit positiven Ergebnissen bei soliden Tumoren wie Pankreas-, Magen- oder Hautkrebs“, erklärt Kobold. „Aber während die Behandlung bei einigen Patienten sehr gut wirkt, hilft sie anderen gar nicht. Ein Ansatz für alle ist wahrscheinlich nicht die richtige Lösung.“

Computergestützte Ansätze könnten hier die Weichen stellen, davon sind beide Forschende überzeugt. Bereits jetzt nutzt Kobold etwa im Rahmen seines ERC-Projekts CATACLIS große Patientendatensätze und maschinelles Lernen, um Muster zu erkennen und die Entwicklung von Therapien voranzubringen. Bisher lag der Schwerpunkt dabei vor allem auf Transkriptomen, also auf der Analyse von mRNA, wodurch sich wichtige Einblicke in die molekularen Mechanismen eröffnen.

„Mit KI können verschiedenste Parameter gebündelt und tumorbedingte, patientenbedingte und durch das Immunsystem bedingte Faktoren gemeinsam betrachtet werden, um daraus die individuell beste Therapieempfehlung abzuleiten“, blickt Marion Subklewe in die Zukunft. So könnten Therapieentscheidungen flexibel angepasst und Risiken dynamisch abgewogen werden. Zentral bleibe dabei der Patient, betont Subklewe: Nutzen, Risiken und Chancen müssen gemeinsam diskutiert werden, um die beste Entscheidung für jeden Patienten und jede Patientin zu treffen.

Prof. Dr. med. Marion Subklewe ist Oberärztin am LMU Klinikum und Leiterin der Arbeitsgruppe „Translational Cancer Immunology“ am Genzentrum der LMU.

Prof. Dr. med. Sebastian Kobold ist Leiter der Arbeitsgruppe Immunpharmakologie und stellvertretender Direktor der Abteilung für Klinische Pharmakologie am LMU Klinikum.

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