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Biophysik: Zusammenstoß von Zellen

15.02.2021

Gesunde Zellen halten Abstand, Krebszellen verhalten sich bei Kollisionen anders. Das lässt sich jetzt mit statistischen Methoden zu simulieren.

Zwei interagierende Brustkrebszellen in einem „Cell Collider“. Das Aktinzytoskelett der Zellen ist grün eingefärbt. | © Alexandra Fink, Rädler Group

Dass sich Zellen bewegen und miteinander in Kontakt treten, gehört zu den fundamentalen biologischen Prinzipien. Bei der Entwicklung von Embryonen kommunizieren Zellen miteinander, um ihren richtigen Platz im neu entstehenden Organismus zu finden. Auch im Zuge der Wundheilung wandern Zellen in Läsionen ein und regenerieren zerstörte Strukturen. Krebszellen wiederum nutzen solche Fähigkeiten, wenn sie in andere Gewebe einwandern. Aus dem ursprünglichen Tumor entstehen dabei Metastasen.

„In den letzten Jahren haben Biologen und Physiker vor allem untersucht, wie sich große Kollektive mit hunderten bis tausenden an Zellen bewegen“, sagt David Brückner. Er ist Doktorand bei Chase Broedersz, Professor für Theoretische Biophysik an der LMU und der Vrije Universiteit (VU) Amsterdam. „Wir wollten jedoch wissen, wie zwei einzelne Zellen interagieren und deren Verhalten mit den Methoden der Statistischen Physik analysieren.“

Dazu haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler jeweils nur zwei separate Zellen in einen künstlichen, mikroskopischen Käfig gesperrt, den sie „Cell Collider“ getauft haben. Die Technik ist bei Zellbiologen recht bekannt. Alexandra Fink, Doktorandin bei Joachim Rädler, Professor für Physik weicher Materie und Biophysik an der LMU, nutzte das Verfahren nun in einem neuen Kontext.

„Unser Ansatz war, zwei Zellen komplett zu isolieren, damit sie immer wieder in Wechselwirkung treten“, erklärt Brückner. Dadurch wurden Zusammenstöße für die Zellen unvermeidbar. Um die Zellen zu beobachten, wurden deren Zellkerne mit einem Farbstoff markiert. Danach erfassten Wissenschaftler alle Bewegungen per Fluoreszenzmikroskop. Als Ergebnis erhielten sie die Position beider Zellen in Abhängigkeit von der Zeit. „Wir haben anhand dieser experimentellen Daten ein Modell entwickelt, um die Interaktion der Zellen physikalisch zu beschreiben“, erklärt Brückner.

Ausweichmanöver auf mikroskopischer Skala

Prallen zwei gesunde Zellen aufeinander, so fanden die LMU-Forscher heraus, stoßen sie sich ab und kehren an ihre ursprüngliche Position zurück. Dies entsprach weitgehend allen Erwartungen und früheren Beobachtungen. „Berühren sich normale Zellen, tendieren sie dazu, sich in eine andere Richtung weiterzubewegen“, erklärt Brückner. Damit bewegen sich Zellen recht geordnet und halten Abstand zueinander.

„Für uns war überraschend, dass wir bei Krebszellen ein anderes Verhalten nachweisen konnten“, sagt der LMU-Wissenschaftler. Diese Zellen versuchten fast immer, sich aneinander vorbeizuzwängen. Im Modell ließ sich dieses Bewegungsmuster detailliert simulieren: Nähern sich zwei Krebszellen einander, werden sie nicht – wie zu erwarten gewesen wäre – langsamer, sondern beschleunigen ihre Bewegung sogar.

„Für unsere weitere Forschung ergeben sich daraus zwei interessante Ansätze“, sagt Brückner. Im nächsten Schritt wollen die LMU-Wissenschaftler herausfinden, wie sich unterschiedliche Wechselwirkungen auf molekularer Basis erklären lassen. Mittlerweile ist bekannt, dass Krebszellen und normale Zellen verschiedene Proteine auf ihrer Oberfläche tragen. Cadherine, eine spezielle Klasse von Proteinen, stehen im Mittelpunkt des Interesses.

Inwieweit sie tatsächlich die beobachteten Unterschiede erklären, ist derzeit aber unbekannt. Außerdem wollen die Forscher analysieren, ob große Zellverbünde, etwa in einem Tumor, ähnliche Bewegungsmuster zeigen wie zwei Zellen im Modell. In einem nächsten Schritt werden sie ihr statistisches Modell auf große Populationen anwenden.

PNAS, 2021

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