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Freund und Feind erkennen

07.12.2015

LMU-Forscher haben aufgeklärt, wie zelluläre Abwehrproteine virale und körpereigene Erbsubstanz unterscheiden – und warum sie dabei Energie verbrauchen.

Viren reduzieren sich beim Eindringen in eine Wirtszelle auf das Wesentliche: Sie streifen ihre Hülle ab und schleusen nur ihre Erbinformation – meist die Nukleinsäure RNA – in die Zelle ein. Die Zelle wehrt sich gegen diesen Angriff mithilfe des zellulären Proteins RIG-I (retinoid acid inducible gene I), das fremde RNA erkennen und eine Immunreaktion auslösen kann. Da es auch zelleigene RNA gibt, ist die Identifizierung viraler RNA allerdings nicht einfach: „Wir konnten bereits früher zeigen, dass dazu zwei strukturelle Besonderheiten zusammenkommen müssen“, sagt Professor Karl-Peter Hopfner vom Genzentrum der LMU. „Trotzdem war der Mechanismus, wie der zelluläre Virensensor fremde und eigene RNA unterscheidet, nicht vollständig geklärt.“ Hopfner konnte mit seinem Team nun zeigen, dass sich das zelluläre Protein RIG-I von zelleigener RNA aktiv entfernt und so Fehlalarme verhindert. Über ihre Ergebnisse berichten die Wissenschaftler im Journal eLife.

RIG-I erkennt die virale RNA an ihren strukturellen Besonderheiten. Das setzt eine Signalkaskade in Gang und führt zur Synthese von Abwehrproteinen. „Interessanterweise ist RIG-I ein Enzym, das ATP, die Energiewährung der Zelle, nutzen kann“, sagt Hopfner. „Wir konnten schon früher zeigen, dass RIG-I unter ATP-Verbrauch an doppelsträngiger RNA wie auf Schienen entlang fährt. Wie diese Aktivität mit der Erkennung viraler RNA verknüpft ist, war bisher völlig ungeklärt.“

Mutation führt zu Autoimmunerkrankung

Den entscheidenden Durchbruch brachte eine kürzlich entdeckte Mutation, durch die RIG-I den zellulären Energielieferanten ATP zwar binden, aber nicht mehr nutzen kann: Diese Mutation verursacht das Singleton-Merten-Syndrom, eine seltene Autoimmunerkrankung, die unter anderem zu Zahnausfall, Knochendemineralisierung und Gefäßverkalkung führt. Die Wissenschaftler konnten nun nachweisen, dass durch die Mutation RIG-I Freund und Feind nicht mehr unterscheiden kann und auch durch normale zelluläre RNA aktiviert wird.

„Anschließend haben wir genauer differenziert, auf welche zelluläre RNA das mutierte RIG-I reagiert“, sagt Hopfner. "Wir fanden, dass das mutierte RIG-I mit Ribosomen interagiert, also mit den Proteinfabriken der Zelle." Zur Überraschung der Forscher konnte ein Team um Hopfners Kollegen Professor Roland Beckmann vom Genzentrum der LMU mithilfe der Kryo-Elektronenmikroskopie zeigen, dass das mutierte RIG-I an den Ribosomen an oberflächlichen Tentakeln lokalisiert ist, die hauptsächlich aus doppelsträngiger RNA bestehen. „Wir schließen aus unserem Fund, dass RIG-I das ATP braucht, um sich aktiv von zelleigener RNA zu entfernen. Funktioniert der Mechanismus nicht, bindet RIG-I auch an doppelsträngige zelluläre RNA – offensichtlich vor allem von Ribosomen, die in der Zelle sehr zahlreich sind – und es kommt zur Autoimmunreaktion. Möglicherweise könnte diese Entdeckung zukünftig für die Entwicklung neuer Therapien genutzt werden“, sagt Hopfner

Die Arbeiten wurden im Rahmen der Exzellenzinitiative durch den Exzellenzcluster „Center for Integrated Protein Science Munich“ (CIPSM) und die Graduate School of Quantitative Biosciences Munich (QBM) unterstützt und durch das Forschungsnetzwerk für Molekulare Biosysteme (BioSysNet) gefördert.eLife 2015

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