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Im PR-Gefecht

02.10.2015

Welche Rolle spielen Medien und Öffentlichkeitsarbeit bei gewaltsamen Konflikten? Kommunikationswissenschaftlerin Romy Fröhlich koordiniert ein EU-Projekt zum Thema.

Welche Rolle nehmen die Medien bei internationalen Konflikten ein? Romy Fröhlich: Sie sind es, die uns überhaupt erst einmal in Kenntnis davon setzen, dass es Kriege in der Welt gibt. Wir leben ja glücklicherweise in einer Region, die vergleichsweise gewaltfrei ist. Der geografische Abstand zu den Weltregionen, in denen es gewaltsame Konflikte gibt, ist sehr groß. Ohne die Medien würden wir davon so gut wie nichts erfahren. Und darin liegt auch die Gefahr: In dem Moment, in dem die Medien berichten, können sie nur Ausschnitte solcher Ereignisse berichten, sie selektieren und setzen dabei möglicherweise auch eigene Schwerpunkte.

Inwiefern wird versucht, auf die Medien Einfluss zu nehmen? Kriegspropaganda ist zwar so alt wie Kriege selbst, aber gerade durch technologische Entwicklungen im Bereich der Medien- und Kommunikationsmittel hat sich in den vergangenen Jahren sehr viel getan. Auch die Anzahl der Akteure ist gestiegen, die versuchen über PR ihre Botschaften an den Mann zu bringen. Zu diesen Akteuren zählen nicht nur die direkten Kriegsbeteiligten. Dazu gehören zum Beispiel auch Nichtregierungsorganisationen im Bereich Friedens- und Konfliktlösung oder Menschenrechte, Hilfsorganisationen aber auch Denkfabriken, die politisch aufgestellt sind und eine bestimme Mission verfolgen. Sie alle beherrschen die gesamte Klaviatur der Public Relations, der Öffentlichkeitsarbeit, und leisten sich auch zunehmend professionelle PR-Berater. Ihre PR richtet sich vorwiegend an Journalisten, aber eine der Fragen in unserem Projekt ist es, ob und wie PR dank neuer Kommunikationskanäle mittlerweile auch an den Medien vorbei direkt die intendierten Zielgruppen erreicht.

Wie gehen denn diese PR-Strategen vor? Das reicht von der klassischen Pressekonferenz über schlichte Propaganda bis hin zu sogenannter Guerilla-PR, die Ereignisse inszeniert, die ohne Medienpräsenz so nicht stattfinden würden. Zum Teil kommen auch Kombinationen davon zum Einsatz, wie zum Beispiel bei der amerikanischen PR-Agentur Hill & Knowlton, die am Vorabend des amerikanischen Einmarsches in Kuwait 1991 eine millionenschwere Auftragsarbeit umsetzte: Vor dem amerikanischen Menschenrechtsausschuss inszenierte man wirkgewaltig den dramatischen Augenzeugenbericht einer jungen Kuwaiterin über Gräueltaten der Irakischen Armee an Brutkasten-Babys in Kuwait-City. Die Strategie dieser Inszenierung wurde mit Propaganda kombiniert, denn die Geschichte stellte sich später als unwahr heraus. Viel Propaganda ist auch bei der aktuellen Ukraine-Krise im Spiel, bei der zum Beispiel ganz strategisch über Social Media gefälschte Bilder oder solche aus völlig anderen früheren Krisen verbreitet werden. Zugleich zeigt diese Krise recht gut, dass die Strategen unter Einsatz moderner Kommunikationskanäle ihre Botschaften zunehmend jenseits der klassischen Medien zu verbreiten versuchen – by-passing nennt man das im PR-Jargon. Aber auch Politiker benutzen PR-Strategien. Denken Sie zum Beispiel an den kommunikativen Wirbel um das Treffen von Putin und Obama vor einigen Tagen am Rande des UN-Gipfels. So etwas wäre vor 20 Jahren vielleicht ganz bewusst ein diplomatisches Hinterzimmertreffen gewesen, zu dem die Parteien im Nachgang bestenfalls noch eine offizielle Presskonferenz mit Sprechern abgehalten hätten. Heute wird so etwas gleich von vornherein unter genau gesteuertem Einsatz der Protagonisten und auf der politischen Vorderbühne durchinszeniert – auch weil Diskretion in Zeiten von Social Media ohnehin nicht mehr gewahrt werden kann.

Gibt es schon erste Ergebnisse aus Ihrem Projekt? In dem Teilprojekt, das ich hier an der LMU verantworte, wollen wir unter anderem klären, wovon es abhängt, was wir über einen Konflikt erfahren und welche Rolle dabei konkret PR-Botschaften spielen. Sind zum Beispiel bestimmte Charakteristika eines Konflikts entscheidend, etwa ob er besonders brutal ist oder in welcher Region der Welt er stattfindet? Oder liegt es eher daran, welche internationalen politischen Institutionen oder Nichtregierungsorganisationen sich um Befriedung bemühen? Spielt es für die Produktion von „stories“ über Kriege eine Rolle, wie früh oder wie spät sich die internationale Gemeinschaft in einen Konflikt einschaltet und wie öffentlich oder verdeckt das geschieht? Wir haben in einem ersten Schritt Presse- und PR-Materialien in Großbritannien über die Konflikte in Burundi und in der Demokratischen Republik Kongo sowie auf dem westlichen Balkan analysiert. Das Material stammt von einschlägigen britischen PR-Institutionen, darunter politischen Think Tanks, offiziellen Militärstellen, Ministerien und so weiter. Wir werden im weiteren Fortgang des Projekts natürlich auch den deutschen PR-Diskurs und den PR-Diskurs Brüsseler Institutionen hierzu sowie auch zu den Krisen in Syrien und in Palästina untersuchen. Ein anderes Teilprojekt weiterer Kooperationspartner in Europa untersucht die Medienberichterstattung zu diesen Krisenherden. Unser Teilprojekt hier an der LMU hat bisher ergeben, dass der PR-Diskurs in Großbritannien über die Republik Kongo sehr viele Referenzen auf lokale politische Akteure enthält. Ganz anders bei Burundi, wo häufiger internationale politische Akteure und Militärs im PR-Material zitiert werden. Die spannende Frage wird sein, ob es für diesen Unterschied konkrete Erklärungen in den konkreten Konfliktevents der beiden Krisen gibt oder eher in ihren geopolitischen Besonderheiten und ob wir den Effekt so auch in der Medienberichterstattung über diese Krisen wiederfinden.

Und was haben Sie bei Kosovo und Mazedonien herausgefunden? Nun – Mazedonien spielt im britischen PR-Material so gut wie keine Rolle, obwohl auch dort bis heute immer wieder gewalttätige Konflikte aufbrechen. Außerdem stellte seinerzeit Großbritannien das größte Truppen-Kontingent bei der Nato-Mission in Mazedonien. Ich bin gespannt, was unsere Partner in der Analyse der Medienberichterstattung hierzu herausfinden. Und bei der britischen PR über den Kosovo fällt auf, dass es nur sehr wenige Referenzen auf die lokale Zivilgesellschaft gibt, stattdessen vor allem auf politische, militärische und internationale Akteure. Das ist überraschend, da die EU nach der ‚Befriedung‘ der Region durch finanzielle Mittel und Beratung doch gerade versucht hat, eine starke Zivilgesellschaft aufzubauen. In dem von uns untersuchten britischen Material spielt sie aber fast gar keine Rolle als Quelle. Entweder werden zivilgesellschaftliche Akteure im PR-Material ausgeblendet, weil sie als zu wenig prominent, nicht elitär genug und machtlos betrachtet werden. Oder die britischen PR-Institutionen halten sie bewusst (noch) aus der Kommunikation heraus, um ihren weiteren Aufbau und ihre Stärkung nicht zu gefährden. Auch das könnte ja eine Strategie sein. Oder man hält aus strategisch-politischen Gründen die Kommunikation über die Sichtweise politischer, militärischer und internationaler Akteure für bedeutender – schließlich war Großbritannien ja in der akuten Krisenzeit Mitglied der Balkan-Kontaktgruppe. Dieser vergleichsweise elitäre Zugang könnte bis heute auch die PR-strategische Kommunikation einschlägiger Institutionen in Großbritannien determinieren. Wir werden in den folgenden Monaten weltweit Interviews führen mit Journalisten, Vertretern aus der Politik, von supranationalen Organisationen, NGOs und Think Tanks um den jeweils zugrundeliegenden Strategien beim Zustandekommen dieser PR besser auf den Grund zu kommen.

Offenbar gibt es auch bei den PR-Strategen Sieger und Gewinner. Gerade bei Kriegen entsteht häufig ein klares Schwarz-Weiß-Bild. Es kommt auch darauf an, wie tief das Medienpublikum in eine Sache einsteigt. Es gibt diesen Mainstream der Berichterstattung, bei dem es darauf ankommt, dem Publikum relativ schnell den Konflikt zu beschreiben, und dabei spielen dramatische Effekte einer „Böse-Buben-Story“ durchaus eine Rolle: Medien wollen (und sollen) einigermaßen klar und früh sagen können, wer die Bösen und wer die Guten sind. Es ist ein urmenschliches Bedürfnis, bei gewaltsamen Konflikten zu wissen, wer schuld ist, wer angefangen hat, wer sich nicht an Friedensverhandlungen beteiligt und so weiter. Davon können sich weder das Medienpublikum noch jene, die die Berichte verfassen, ganz freimachen. Aber genau das immer solide zu recherchieren, ist sehr schwer. Andererseits hat die Öffentlichkeit heute über das Internet viel leichter Zugang zu alternativen Informationen jenseits der Medien. Das macht die Sache aber keineswegs leichter. Ich warne vor dem Eindruck, dass wir ein besseres, umfassenderes Bild von Ereignissen haben, je mehr Informationen uns zur Verfügung stehen und je mehr davon wir uns selbst verschaffen können. Ohne die politische Expertise von Journalisten, die wissen, wie etwas einzuschätzen ist, könnten wir vieles nicht verstehen oder werden in die Irre geleitet. Es hat Vorteile, dass Experten in Qualitätsmedien berichten. Und wenn ich diese Einordnungen mit den Augenzeugenberichten Betroffener ergänze, wird mein Bild vielleicht auch größer. Aber zu glauben, dass wir keine Journalisten mehr brauchen, wenn die Live-Cam am Schlachtfeld mitläuft, ist ein großer Trugschluss.

Gibt es weitere Dynamiken der Medienproduktion neben der Dramatisierung? Es gibt eine Reihe von Faktoren, die die journalistische Auswahl von Informationen bestimmen. Das lernen Journalisten im Laufe ihrer Ausbildung und beruflichen Sozialisation: Seltenheit, Überraschung, Schaden, Negativismus, geografische, politische, wirtschaftliche oder kulturelle Nähe des Geschehens zur Heimatredaktion – all das sind empirisch verifizierte Faktoren, die die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass ein Ereignis für die Berichterstattung ausgewählt wird. PR-Strategen nutzen das Wissen über solche Faktoren, um mit ihren Botschaften in die Medien zu kommen. Das ist eine Herausforderung für Journalisten. Denn der Anteil von plumper Propaganda nimmt ab. Die PR wird weltweit immer geschickter, sie professionalisiert sich, weil sich auch die Ausbildung von PR-Strategen professionalisiert. Es ist sehr gefährlich, wenn auf der einen Seite immer gewieftere PR-Strategen stehen und auf der anderen Seiten immer schlechter ausgebildete Journalisten, die auch nicht mehr die finanziellen Ressourcen haben, um professioneller PR-Arbeit etwas entgegenzusetzen. Da wird schon heute mancherorts mit PR-Kanonen auf Medien-Spatzen geschossen. Die Medienkrise zieht natürlich auch die Qualität der journalistischen Ausbildung runter. Auch ARD und ZDF haben beispielsweise ihre Korrespondentennetze weltweit massiv zusammengestrichen. Meine persönliche Schmerzgrenze ist bei dieser gefährlichen Entwicklung schon lange überschritten.

Professor Romy Fröhlich forscht am Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung der LMU. Schwerpunkte ihrer Forschung sind unter anderem Medien und Kriege sowie Public Relations.

Das EU-Projekt „INFOCORE – (In)Forming Conflict Prevention, Response and Resolution: The Role of Media in Violent Conflict“, das von Professor Romy Fröhlich koordiniert wird, ist im Januar 2014 gestartet. Bis 2016 werden elf Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus sieben europäischen Ländern und Israel die Rolle der Medien bei gewalttätigen Konflikten untersuchen. Am 8. und 9. Oktober 2015 findet in Brüssel ein Workshop mit Vertretern aus Politik, Journalismus und Wissenschaft statt, auf dem erste Ergebnisse des Projekts vorgestellt werden.

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