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Von der Notwendigkeit des breiten Dialogs

04.11.2019

Anlässlich der Konferenz „Lessons & Legacies“ spricht die Historikerin und Holocaust-Forscherin Kim Wünschmann im Interview über die Ziele der internationalen Tagung und die politischen Herausforderungen des zunehmenden Nationalismus und Antisemitismus.

Zur Tagung „Lessons & Legacies of the Holocaust“ kommen rund 200 Expertinnen und Experten aus Wissenschaft, Gedenkstätten und Museen sowie aus der historisch-politischen Bildungsarbeit nach München. Erstmals seit ihren Anfängen im Jahr 1989 findet die Konferenz außerhalb der USA statt – und dann gleich in der ehemaligen „Hauptstadt der Bewegung“. Gab es im Vorfeld viele Diskussionen zum Standort? Wünschmann: Unsere amerikanischen, europäischen und israelischen Kolleginnen und Kollegen fanden diese Verbindung aus historischem Ort, der sich hier bietenden vielfältigen Gedenkstättenlandschaft und dem Forschungsstandort München schnell sehr überzeugend. München war die Stadt, in der sich die nationalsozialistische Bewegung sowie der NS-Terror sehr früh etablierten. Denken Sie nur an das Konzentrationslager Dachau vor den Toren Münchens, das bereits im März 1933 entstand und als einziges Lager die kompletten zwölf Jahre der NS-Herrschaft überdauerte. Oder an die Pogrome vom November 1938, als eine Rede von Joseph Goebbels vor den Spitzen des NS-Regimes im Alten Rathaus den Startschuss für die Zerstörung jüdischer Geschäfte, Wohnungen und Gotteshäuser gab. München war aber auch ein Ort des Widerstands. Hier fand das Attentat von Georg Elser im November 1939 statt, zur Kriegszeit ebenso der studentische Widerstand der Weißen Rose – das ist für uns an der LMU sehr wichtig. Heute ist München ein wichtiger Standort der Holocaust-Forschung. Beide Seiten kann diese Tagung betonen.

Sie haben auch ein umfangreiches Besuchsprogramm rund um die historischen Stätten mit organisiert. Wie wichtig sind diese Veranstaltungen für die Konferenz? Das ist ein Novum für „Lessons & Legacies“. Wir wollten den historischen Ort mit der konkreten Forschung und Bildungsarbeit verknüpfen. Die Konferenz wird auch den vielen Teilnehmenden, die an Gedenkstätten und Museen wirken, eine Plattform zu Austausch und Diskussion bieten und ihnen ermöglichen, ihre aktuellen Themen einzubringen. Die Forscherinnen und Forscher wiederum können die DenkStätte Weiße Rose, die KZ-Gedenkstätte Dachau oder das NS-Dokumentationszentrum besichtigen. Es gibt auch Führungen zu jüdischem Leben in München und wir bieten einen Besuch in der Synagoge Ohel Jakob an. Unser Ziel ist ein Dialog, der aus der Wissenschaft in die Bildungseinrichtungen und die breite außeruniversitäre Gesellschaft hineinreicht.

Frank Bajohr, Wissenschaftlicher Leiter des Zentrums für Holocaust-Studien in München, das neben der LMU zu den Veranstaltern gehört, sagte vorab, dass man die Ergebnisse der Holocaust-Forschung wieder mehr in die öffentliche Wahrnehmung bringen müsse. Wie empfinden Sie das? Die Holocaust-Studien sind nach wie vor nötig und aktuell. Wir beobachten aber, dass sich die Forschung zunehmend ausdifferenziert und es immer mehr Detailwissen gibt. Als Forschende ist es auch unsere Aufgabe, diese hochspezialisierten Ergebnisse für eine breitere Öffentlichkeit zu „übersetzen“ und zu systematisieren. Wir müssen aus unseren engen wissenschaftlichen Zirkeln heraus und verstärkt mit Akteuren an Schulen, in der Erwachsenenbildung und an den Gedenkstätten ins Gespräch kommen.

In Deutschland mangelt es beispielsweise an geeigneten Weiterbildungsangeboten für Lehrerinnen und Lehrer. Welche Ideen gibt es hier? Zusammen mit dem Zentrum für Holocaust-Studien am Institut für Zeitgeschichte organisiert wir am Historischen Seminar der LMU mittlerweile solche Fortbildungen für Lehrende. Wir sprechen dabei auch auch über neue digitale Vermittlungsstrategien für den Geschichtsunterricht und konnten als Kooperationspartnerin die Bundeszentrale für politische Bildung mit ihrem reichhaltigen pädagogisch-didaktischen Angebot ins Boot holen. Für Lehramt-Studierende bieten wir Exkursionsseminare nach Osteuropa an – dorthin, wo ganz überwiegend die Tatorte des Holocausts lagen.

Bislang waren Zeitzeugen in der politischen Bildung wichtige Protagonisten. Altersbedingt können sie diese Rolle bald nicht mehr spielen. Auch in dieser Frage sind wir in der Wissenschaft dringend gefordert. Wir müssen darüber nachdenken, wie wir diese „authentischen“ Stimmen weiterhin hörbar machen können, was wir tun können, um die große Wirkungskraft von Zeitzeugnissen für kommende Generationen zu erhalten. Auf der Konferenz wird es hierzu einen Workshop zu 3-D-Zeugnissen von Überlebenden geben – eine Idee, die vor allem in Nordamerika entwickelt wurde. Es handelt sich um dreidimensionale Projektionen der Personen sowie eine Erschließung ihrer Lebensgeschichte mit Hilfe von Spracherkennung - eine Art „interaktive Biographie“. An der LMU untersuchen Anja Ballis und Markus Gloe in einem interdisziplinären Forschungsprojekt solche neuen technischen Möglichkeiten und hinterfragen dabei kritisch, was digitale Zeugnisse in der Holocaust-Erziehung leisten können.

Wir beobachten heute das Ansteigen eines aggressiven Nationalismus. Jüdinnen und Juden sind vermehrt physischer Bedrohung ausgesetzt. Holocaust-Geschichte wird zuweilen verharmlost. Wie geht man als Forscherin damit um? Unsere Konferenz hat einen klaren politischen Ansatz. Wir wollen konkret auf aktuelle Herausforderungen hinweisen, die sich aus dem ansteigenden Rechtspopulismus ergeben. In einigen europäischen Ländern haben Kolleginnen und Kollegen immer häufiger mit restriktiven Forschungsbedingungen zu tun. Hier will der Kongress Unterstützung leisten. Wir wollen öffentlich diskutieren, was es bedeutet, wenn Forschung konträr zur Linie einer Regierung verläuft. Längst sind wir auch in Deutschland verstärkt mit Rechtsextremismus und Antisemitismus konfrontiert und müssen uns klar positionieren.

Ist die Arbeit für Forscherinnen und Forscher schwerer geworden, erhalten Sie mehr Hassbotschaften? Für manche sind die Auswirkungen sehr konkret. Darüber wollen wir etwa auf der hochkarätig besetzten Podiumsdiskussion in der Großen Aula sprechen. Andrea Pető von der Central European University in Budapest wird zum Beispiel berichten, wie sie in ihrer Arbeit beschränkt und beschnitten wird. Das ist leider kein Einzelfall mehr. Es geht um Forschungsgelder und Stellen, manchmal ums wissenschaftliche Überleben. Moderiert wird die Diskussion übrigens von Christopher Browning, der mit seinem Buch Ganz normale Männer auch einem breiteren Publikum bekannt ist. In der Forschung setzten wir uns nach wie vor auch damit auseinander, in welchen Kontexten Gewaltverhalten entsteht. Was bringt Menschen dazu, so ein Verhalten zu zeigen? Holocaust-Forschung heißt auch immer Täter- und Täterinnenforschung.

Sie haben sich als Forscherin mit den Anfängen des Holocaust beschäftigt, insbesondere mit frühen Konzentrationslagern wie dem in Dachau. Was lernt man aus den Anfängen? Ich habe mich mit Orten des Terrors beschäftigt, die die Nationalsozialisten weit vor dem Krieg mitten in der deutschen Gesellschaft errichteten. Diese Orte waren als neue Koordinaten der Gewalt dazu da, die Gesellschaft in „Freunde“ und „Feinde“ zu teilen. Es ging ums Markieren und Ausgrenzen derer, die nicht zur nationalsozialistischen „Volksgemeinschaft“ gehören sollten. Es gab Hunderte dieser frühen Lager, verteilt über das gesamte Reichsgebiet, teilweise mitten in den Städten. Eine Beschäftigung mit der frühen Gewalt ist zentral, um zu verstehen, wie eine Diktatur sich etabliert.

Die Tagung endet offiziell am 7. November, es gibt noch bis zum 9. November Veranstaltungen. Ist dieser Termin bewusst so gewählt? Ja, wir wollen unseren internationalen Gästen ermöglichen, die vielen Veranstaltungen in München rund um den 9. November zu erleben. Hervorzuheben sind hier besonders der Abend zur Erinnerung an Georg Elser am 7. November und der zentrale Gedenkakt am 9. November, die beide im historischen Ort des Alten Rathaussaals am Marienplatz stattfinden werden.

Dr. Kim Wünschmann ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Zeitgeschichte der LMU und Koordinatorin LMU/Zentrum für Holocaust-Studien am Institut für Zeitgeschichte München. Sie gehört zu den Organisatorinnen und Organisatoren der Konferenz „Lessons & Legacies“.

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