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Was Globalisierung ausmacht

03.05.2021

Die LMU richtet ein neues vom Bund gefördertes internationales Kolleg ein, das Phänomene weltweiter Verflechtungen in ihrer Komplexität und Gegenläufigkeit erforscht.

Fehlende Verbindung: Für mehrere Tage war Ende März der Suez-Kanal unpassierbar, blockiert vom Containerschiff Ever Given. | © Suez Canal Authority via Xinhua/Imago Images

Oberflächlich betrachtet ist Globalisierung das große Mehr: immer schneller, immer kompakter, immer internationaler – eine unaufhaltsam zunehmende weltweite Verdichtung und Vernetzung. Doch dieses Bild sei zu einfach, sagt Roland Wenzlhuemer: „Zur Globalisierung gehören ebenso durchaus gegenläufige oder retardierende Momente von Unterbrechung, Umweg und fehlender Verbindung.“ Nur wenn man dieses Wechselspiel von Verflechtung und Entflechtung in den Blick nähme, sagt der Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der LMU, komme man zu einem einigermaßen differenzierten Bild dessen, was Globalisierung ausmacht. Und als ob es noch ein besonders augenfälliges Beispiel gebraucht hätte, zeigt die Corona-Krise genau das: eine Pandemie, die sich nur vor dem Hintergrund dichter globaler Verflechtungen und weltweiter Austauschprozesse so rasant rund um den Globus verbreiten konnte; eine Pandemie aber auch, deren Bekämpfung darauf hinausläuft, möglichst viele dieser Wege, auf denen das Virus um die Welt kommt, zu kappen.

Für dieses grundsätzliche Spannungsverhältnis in Globalisierungsprozessen haben Roland Wenzlhuemer, Burcu Dogramaci, Professorin für Kunstgeschichte an der LMU, und Christopher Balme, Professor für Theaterwissenschaft an der LMU, den Begriff „Dis:konnektivität“ geprägt. Unter diesem Titel läuft auch das neue Käte Hamburger Kolleg, das die LMU jetzt einrichtet. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung fördert das Kolleg über die Laufzeit von zunächst vier Jahren mit 7,9 Millionen Euro. Der Bund will mit diesem Format „zur Weiterentwicklung der Strukturen für geisteswissenschaftliche Forschung sowie deren Vernetzung beitragen und die weltweite Sichtbarkeit der geisteswissenschaftlichen Forschung in Deutschland erhöhen“.

In diesem Zugriff auf das Thema sieht Wenzlhuemer „einen völlig neuen Ansatz in der Globalisierungsforschung“. Jeder Verflechtungsprozess trägt danach Elemente der Entflechtung oder des Fehlens von Verbindungen in sich: „Wenn Menschen migrieren, stoßen sie an Grenzen, müssen Hindernisse überwinden, sind Ungleichbehandlungen ausgesetzt“, so Wenzlhuemer. „Ein weiteres Beispiel: Während Märkte für bestimmte Produkte und Dienstleistungen zusammenwachsen, bleiben andere regional organisiert oder hinter Zollschranken abgeschottet.“ Das Kolleg soll dieses komplexe und gleichzeitig praxisorientierte Verständnis von Globalisierung in den kommenden Jahren als Forschungsansatz etablieren und erproben.

Ein Transferlab soll den öffentlichen Diskurs befördern

Die Forscherinnen und Forscher am Kolleg wollen dabei „eine innovative Verbindung von geisteswissenschaftlichen und ästhetischen Ansätzen“ entwickeln, um Globalisierungsphänomene in ihrer Komplexität und Fluidität zu erfassen. Deswegen sind die Kunstwissenschaften der LMU zentral in das Kolleg eingebunden. Der Historiker Wenzlhuemer, die Kunsthistorikerin Dogramaci und der Theaterwissenschaftler Balme bilden zusammen das Direktorium.

Kernstück des Kollegs ist das Fellowship-Programm, in dessen Rahmen pro Jahr etwa zehn Wissenschaftler und Künstler nach München eingeladen werden. Außerdem setzt das Kolleg auf einen engen Austausch mit Münchner Kulturinstitutionen wie Theatern und Museen und wird ein sogenanntes Transferlab einrichten, um nicht zuletzt den öffentlichen Diskurs zu befördern.

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