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Ambulanz für Gewaltopfer: „Je früher, desto besser“

21.12.2022

Betroffene, die häusliche Gewalt erlebt haben, finden seit 2010 Unterstützung am Institut für Rechtsmedizin der LMU.

Eine Tasse liegt zerbrochen am Boden

Gewalt findet häufig in der unmittelbaren persönlichen Umgebung statt. | © picture-alliance / Helga Lade Fotoagentur GmbH, Ge | Alfred Schauhuber/Helga Lade

„Die Entscheidung, zur Polizei zu gehen, ist bei Gewalt im häuslichen Umfeld oft nicht einfach“, erklärt Dr. Barbara Stöttner, Fachärztin für Rechtsmedizin im Interview. Umso wichtiger ist das niedrigschwellige Angebot einer Ambulanz für Gewaltopfer. Stöttner und ihre Kolleginnen und Kollegen dokumentieren Hämatome und andere äußerlich sichtbare Verletzungen – unter Wahrung der Schweigepflicht. Sollte es zu einem Prozess kommen, sind die Befunde wichtiges Beweismaterial.

Wer kommt zu Ihnen in die Ambulanz?

Knapp vierzig Betroffene pro Jahr. Frauen jeden Alters, aus allen sozialen Schichten. Ganz junge Arbeitslose genauso wie gutsituierte, wohlhabende Fünfzigjährige. Vereinzelt kommen auch Männer zu uns, aber das ist deutlich seltener.

Die Arbeit der Untersuchungsstelle für Opfer häuslicher Gewalt beschränkt sich auf Erwachsene. Kinder und Jugendliche werden ebenfalls in unserem Haus untersucht. Für sie ist die Bayerische Kinderschutzambulanz zuständig, die im Rahmen des Gesamtkonzepts Kinderschutz in Bayern vom Bayerischen Familienministerium gefördert wird.

Was bieten Sie an?

Wir dokumentieren äußere Verletzungen wie Hämatome oder Kratzer und sichern Spuren. Für die Betroffenen von häuslicher Gewalt ist das besonders wichtig. Denn häufig wissen sie noch nicht, ob sie Anzeige erstatten wollen. Bei Gewalt im häuslichen Umfeld ist die Entscheidung, zur Polizei zu gehen, oft nicht einfach. Sollte es irgendwann doch zu Strafanzeige und Prozess kommen, müssen die Betroffenen eine Schweigepflichtentbindungserklärung unterzeichnen. So kann das Gericht auf gut dokumentierte Befunde zurückgreifen. Unsere Aufgabe als Rechtsmediziner vor Gericht ist dann die Interpretation der Befunde, gegebenenfalls auch der Ergebnisse der Spurenuntersuchung.

Wie genau gehen Sie bei einer Dokumentation vor?

Wir machen eine Anamnese, dann folgt eine vollständige körperliche und/oder genitale Untersuchung und – falls erforderlich – eine Spurensicherung. Mit Wattetupfern und Stempeln versuchen wir etwa Speichel- oder Spermaspuren zu sichern. Wenn nötig, machen wir auch einen Abstrich im Genitalbereich. Wie aussagekräftig das Ergebnis einer Spurenuntersuchung ist, beurteilen bei einem Strafverfahren die Ermittlungsbehörden beziehungsweise das Gericht. Körperliche Befunde zeichnen wir in ein standardisiertes Körperschema ein und beschreiben diese. Wir machen Fotos von allen Befunden, es sei denn, das wird von den Betroffenen nicht gewünscht. Sehr häufig bringen die Betroffenen auch Handyfotos mit, die wir in die Dokumentation mit aufnehmen und sichern.

Ist es ratsam, die eigenen Verletzungen zu fotografieren?

Es schadet auf keinen Fall. Die Fotos sind natürlich nicht mit einer Dokumentation durch uns gleichzusetzen, können in einem Strafverfahren aber nützlich sein.

Wie schnell sollte man zu Ihnen kommen?

Je früher, desto besser! Einen blauen Fleck oder einen Kratzer sieht man noch nach ein paar Tagen. Schleimhäute dagegen heilen sehr schnell. Kleinere Befunde können dann schon abgeheilt sein. Und bei DNA-Spuren kommt es auf jede Stunde an. Auch bei Gewalt gegen den Hals, also Würgen oder Drosseln, sind wir froh, wenn der oder die Betroffene so zeitnah wie möglich kommt, bei Sexualdelikten am besten innerhalb der ersten 72 Stunden. Wir haben einen Rufbereitschaftsdienst, der auch nachts und am Wochenende arbeitet.

Nicht alles können Sie vermutlich dokumentieren…

Wir können nur Befunde dokumentieren, die äußerlich an der Haut sichtbar sind, denn wir Rechtsmedizinerinnen und Rechtsmediziner haben keine Röntgen- oder Ultraschallgeräte. Wir untersuchen die Betroffenen, die zu uns kommen, auch nicht auf sexuell übertragbare Erkrankungen oder Ähnliches. In solchen Fällen vermitteln wir an die klinisch tätigen Kolleginnen und Kollegen. Andere auffällige Befunde, die wir als Rechtsmediziner nicht im Foto festhalten können, schreiben wir auf, etwa dass jemand Schmerzen hat oder weinen muss, was auf eine depressive Verstimmung deuten kann.

Dr. Barbara Stöttner, Fachärztin für Rechtsmedizin | © by Foto Thome Schwetzingen

Wie kommen die Betroffenen zu Ihnen?

Einige finden uns mit einer Google-Recherche. Ganz häufig schicken uns aber ärztliche Kollegen, Beratungsstellen oder Frauenhäuser die Frauen vorbei.

Möchten Sie das Angebot ausweiten?

Bisher haben wir nicht für unsere Ambulanz geworben. Sie wird nicht finanziell gefördert. Wir machen unsere Arbeit, weil wir sie für wichtig halten. Aber infolge einer Gesetzesänderung übernehmen künftig die gesetzlichen Krankenkassen die Leistungen der vertraulichen Spurensicherung am Körper, einschließlich Dokumentation und Aufbewahrung der Beweismittel. Das ist ein großer Schritt in die richtige Richtung.

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