App für die Polizei: Einfache Verständigung in schwierigen Situationen
09.07.2025
LMU-Linguist Jörg Roche hat mit seinem Team eine App für die Polizei entwickelt. Das Ziel: im Einsatz auch in Fremdsprachen verständlich, rechtlich korrekt und de-eskalierend zu kommunizieren.
LMU-Professor Jörg Roche, Professor für Deutsch als Fremdsprache an der LMU, hat zusammen mit dem Polizeipräsidium München die innovative Übersetzungs-App "FLAP" für die Einsatzkräfte der Polizei entwickelt. Am 9. Juli 2025 hat Bayerns Innenminister Joachim Herrmann die App gemeinsam mit Münchens Polizeipräsidenten Thomas Hampel und der Vizepräsidentin der LMU München, Professorin Francesca Biagini, der Öffentlichkeit vorgestellt. Auch über die Erfahrungen aus dem Pilotbetrieb wurde berichtet.
Bei der Vorstellung: Professor Jörg Roche, Vizepräsidentin Francesca Biagini, Innenminister Herrmann sowie Beamte der Polizei München (v.l.).
LMU-Professor Jörg Roche ist es gewöhnt, anderen mit seiner Expertise zu helfen. Als im Jahr 2015 viele Migrantinnen und Migranten nach Deutschland kamen, wandten sich Interessengruppen und Verbände an den Professor für Deutsch als Fremdsprache (DaF) an der LMU und sein Institut. Sie baten um Hilfe bei der Herausforderung, vor allem an Schulen und Berufsschulen Kindern und Erwachsenen, die neu nach Deutschland gekommen waren und vieles noch nicht verstehen oder ausdrücken konnten, Deutsch effizient und kompetent zu vermitteln. „Wir hatten damals schon einen intensiven Kontakt zum Thema Berufssprache Deutsch mit dem Kultusministerium. Dort fragten Lehrkräfte nach, wenn sie mit einer Situation nicht richtig umzugehen wussten. Man sagte ihnen, geht zum Roche, der hilft euch“, erzählt Jörg Roche lachend. „So lapidar ist das abgelaufen.“
Im Studiengang Deutsch als Fremdsprache, dessen Studierendenschaft sich aus vielen Nationalitäten zusammensetzt, hatten bereits einige Studierende und Mitarbeitende die Initiative ergriffen und erste Materialien zusammengestellt, um den nach Deutschland geflohenen Menschen die Orientierung im fremden Land und der fremden Sprache zu erleichtern.
Gemeinsam mit einem Team aus dem Institut für Deutsch als Fremdsprache konzipierte Roche das Projekt „Lehren – Lernen – Helfen“, designt als Navigationshilfe für Geflüchtete: Sprachlich niedrigschwellig, mit Bildern, Videos und Audios erklärt die App die Grundlagen des Lebens in Deutschland. Finanziert wurde sie zunächst über die Fraktionsreserve der CSU im Landtag, später über das Sozial- und dann über das Innenministerium in Bayern. Aus dem Projekt folgte ein zweites, eine App, die Orientierung auf dem gesellschaftlichen Spielfeld bietet, vom Prozedere bei der Wohnungssuche bis hin zu Fragen zu den Themen Gesundheit, Arbeit und Recht. Später kam noch eine App hinzu, die in 15 verschiedenen Sprachen über die Corona-Regeln informierte und dazu auf bildliche Darstellungen wie Cartoons setzte.
Spezielle Herausforderungen für die Polizei
Im Zuge der ständigen Aktualisierung, Weiterentwicklung und Verbesserung der bestehenden Materialien und bei Schulungen für Asylhilfegruppen kam immer wieder das Thema der Kommunikation mit der Polizei auf. „Die Polizei ist in diesem Gefüge eine eigene Facette“, erzählt Jörg Roche. „Sie hat viel Kontakt mit Geflüchteten. Die Beamten stehen oft vor großen Herausforderungen, wenn das Gegenüber weder Englisch noch Deutsch spricht und auch das eigene Englisch nicht immer ausreicht, um zielführend zu kommunizieren. Dazu kommt, dass die Polizei in vielen Ländern, aus denen Menschen geflohen sind, eine andere Funktion und ein anderes Ansehen hat als in Deutschland. Sie gilt für Menschen aus unsicheren Herkunftsländern beispielsweise als korrupt, unfair oder gewalttätig.“ Das führe zu weiteren Kommunikationsproblemen, weil manche vor der Polizei weglaufen oder aggressiv werden.
Roche und sein Team boten der Münchner Polizei an, eine spezielle Sprach-App dafür zu entwickeln. So startete ein langfristiges Projekt mit der Abteilung für Kriminalprävention des Polizeipräsidiums München. Beamtinnen und Beamte kamen mehrmals an die Universität, um neuralgische Punkte, besondere Herausforderungen und Kommunikationsprobleme in ihrem dienstlichen Alltag zu schildern. Wichtige Themen waren zum Beispiel Personenkontrollen, aber auch Platzverweise und verbotene Ansammlungen etwa bei Fußballspielen sowie Einsätze bei häuslicher Gewalt. Die Beamtinnen und Beamten schilderten dem DaF-Team typische Einsätze und die Notwendigkeit, in manchmal aufgeheizten Momenten trotz der Sprachbarriere Klarheit herzustellen und auch zu deeskalieren.
Verständigung und Deeskalation
Die von Roche und seinem Team entwickelte App geht auf eine Vielzahl dieser Situationen ein. „Bei einer Personenkontrolle hilft es zum Beispiel schon, wenn die kontrollierte Person klar weiß, was vor sich geht und was ihre Rechte und Pflichten sind: dass sie ihren Ausweis zeigen muss, ihn aber auch wieder zurückbekommt; dass es nur um eine Dokumentenkontrolle geht und nicht etwa um eine Leibesvisitation“, sagt Roche. Über die App können die Polizistinnen und Polizisten zum Beispiel in vielen verschiedenen Sprachen ein Video abspielen, das die rechtliche Situation und die nächsten Schritte erklärt. Schon das kurze Innehalten, um das Video anzusehen, könne dabei manchmal deeskalierend wirken, sagt Roche.
Zwei große Herausforderungen musste das Team bei der Erstellung des Materials bewältigen: Zum einen galt es, die Sprache so zu vereinfachen, dass sie für die Angesprochenen leicht verständlich ist. Dabei müssen die Formulierungen aber auch rechtlich korrekt sein, und das sowohl auf Deutsch als auch in den vielen verschiedenen Fremdsprachen, die in der App programmiert sind. „Das hinzubekommen, ist der Hattrick“, sagt Roche. „Verständlichkeit und eine rechtlich verbindliche Fachsprache sind nicht immer leicht unter einen Hut zu bringen. Und grafisch muss das Ganze dann auch so gestaltet sein, dass es nicht lächerlich wirkt, aber auch nicht zu kompliziert ist.“ Bei der Umsetzung setzte das Team auf sogenannte Gewährsleute, hauptsächlich Studierende des Instituts, die selbst Muttersprachler in der jeweiligen Sprachversion sind. Sie baten Freunde oder Verwandte aus ihrem jeweiligen Heimatland, die App zu testen und Feedback zu geben. In andere Sprachen übertragen wurden die Texte dann von gerichtlich zugelassenen Übersetzerinnen und Übersetzern.
Sprachliche und technische Herausforderungen
Die zweite Herausforderung bestand in der Gewährleistung der technischen Sicherheit: Die Polizei braucht auch deswegen eine spezielle App, weil die Beamtinnen und Beamten auf ihren Diensthandys kommerzielle Dienste wie ChatGPT oder DeepL nicht nutzen dürfen. Auch die Sprach-App des DaF-Teams musste höchsten Sicherheitsstandards genügen. „Das zu prüfen und umzusetzen, hat auf technischer Seite für die Polizei lange gedauert“, erklärt Jörg Roche. Gelohnt hat sich der Aufwand allemal: Eine erste Pilotierung der App während des Oktoberfests verlief äußerst erfolgreich. Mittlerweile befindet sich das Projekt in einer zweiten, größeren Pilotphase – auch hier ist die Rückmeldung äußerst positiv. Ab Juni soll die App standardmäßig auf den Diensthandys der Münchner Polizei installiert werden.