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Astrophysik: Ein Appetitanreger für die komplette Himmelsdurchmusterung

28.06.2021

Die ersten Daten des eROSITA-Röntgensatelliten sind ab sofort für die Öffentlichkeit frei zugänglich. Parallel erscheinen 35 eROSITA-Veröffentlichungen durch das deutsche eROSITA-Konsortium, an neun Arbeiten sind LMU-Forschende beteiligt.

Die deutsche eROSITA-Kollaboration veröffentlich den ersten Satz von Daten, die mit dem eROSITA-Röntgenteleskop an Bord des SRG-Observatoriums aufgenommen wurden, wie die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf der diesjährigen Konferenz der Europäischen Astronomischen Gesellschaft bekannt gaben. Zum ersten Mal werden Astronominnen und Astronomen auf der ganzen Welt die Möglichkeit haben, Daten dieses neuen leistungsstarken Teleskops herunterzuladen und zu analysieren. Gleichzeitig mit dem sogenannten „Early Data Release“ (EDR) erscheinen 35 eROSITA-Veröffentlichungen durch das deutsche eROSITA-Konsortium bereits vorab auf der Plattform arXiv. Diese und weitere Beiträge werden in einer kommenden Sonderausgabe der Zeitschrift „Astronomy and Astrophysics“ veröffentlicht. LMU-Forscher waren an neun dieser Publikationen als Mitautoren und an drei als Hauptautoren beteiligt.

Der EDR enthält fast 100 Einzelbeobachtungen aus 29 verschiedenen Feldern, die vor dem Start der Himmelsdurchmusterung aufgenommen wurden. Sie decken ein breites Spektrum an astronomischen Objekten ab wie etwa galaktische Neutronensterne oder Galaxienhaufen und zeigen das Potenzial und die Vielseitigkeit des eROSITA-Teleskops für Bildgebung, Spektroskopie und die Analyse von veränderlichen Phänomenen.

Aktuelle Computersimulationen bestätigen das Bild des Northern Clump, der mit großer Geschwindigkeit auf das Galaxienhaufenpaar zusteuert. Das Bild zeigt das Galaxienhaufenpaar und die einfallende Galaxiengruppe in den Magneticum-Simulationen. | © Klaus Dolag / LMU

Eines der ersten Ergebnisse von eROSITA war die Entdeckung eines extrem langen kosmischen Gasfilaments, welches das Galaxienhaufenpaar Abell 3391/95 verbindet. Weitere Untersuchungen dieses Abschnitts des Universums enthüllten andere Haufen, wie den sogenannten Northern Clump Haufen, auf dem Weg entlang dieses Filaments. Mit Hilfe ihrer Magneticum-Simulationen fanden LMU- und ORIGINS-Cluster-Wissenschaftler Dr. Veronica Biffi und PD Dr. Klaus Dolag ein ähnliches Galaxienhaufensystem, eingebettet in das kosmische Netz und umgeben von einfallenden Galaxiengruppen.

Erstaunlicherweise zeigen sowohl die Beobachtungen als auch die Simulationen Anzeichen dafür, dass der einfallende Galaxienhaufen entlang solcher Gasfilamente immer schneller wird, um schließlich mit dem Galaxienhaufenpaar A3391/95 zu verschmelzen. Ähnliche Strukturen in eROSITA-Beobachtungen und in Magenticum-Simulationen zu identifizieren, ermöglicht es, neue Einblicke in den Aufbau kosmischer Strukturen zu gewinnen.

Unter den Datensätzen, die jetzt veröffentlicht wurden, nimmt die Minivermessung namens „eFEDS“ (eROSITA Final Equatorial Depth Survey) einen besonderen Platz ein. eFEDS wurde als Vorschau auf die finale Himmelsdurchmusterung konzipiert und deckt gleichmäßig einen Bereich von etwa 140 Quadratgrad am Himmel ab (etwa 1/300 der All-Sky-Durchmusterung). Dadurch vermittelt es einen Eindruck davon, wie der gesamte extragalaktische Himmel im Röntgenlicht aussehen könnte, wenn eROSITA seine vollständige Himmelsdurchmusterung im Jahr 2023 abgeschlossen hat. In nur vier Tagen eFEDS-Beobachtungen entdeckte eROSITA die erstaunliche Anzahl von fast 30.000 Quellen – mehr als in jedem anderen zusammenhängenden Feld einer Röntgendurchmusterung bis heute gefunden wurde. Die Veröffentlichung umfasst nicht nur die Enddaten, sondern auch mehrere Kataloge der Eigenschaften von eROSITA-Quellen bei Röntgen- und anderen Wellenlängen.

Augenzeuge einer gewaltigen kosmischen Kollision!

Ausgewählt aus der Klein-Stichprobe von 477 Haufen ist hier extremste Galaxienhaufenfusion im eFEDS-Feld zu sehen. Das Bild zeigt eine Region mit einer Ausdehnung von 22 Millionen mal 9 Millionen Lichtjahren, die fünf im Röntgenbereich ausgewählte Haufen (magentafarbene Quadrate) enthält. Das Röntgenbild ist oben, das optische Bild unten. Die Konturen zeigen die Verteilungen der Galaxienanzahldichte der Haufenmitglieder. Das Hauptsystem oben rechts scheint in der Mitte einer Kollision gefangen zu sein, während die anderen umliegenden Systeme wahrscheinlich im Laufe der Zeit an das Hauptsystem angehängt werden. | © Matthias Klein / LMU

Dr. Matthias Klein leitete die Arbeiten zur Verknüpfung von Galaxienhaufen-Kandidaten aus eROSITA mit den zugehörigen Galaxien in diesen Systemen. Dies machte es möglich, fälschlicherweise als Galaxien-Haufen gelistete Quellen aus der Liste von Röntgenkandidaten zu entfernen und Rotverschiebungen oder Entfernungsmessungen für die echten Systeme bereitzustellen. In Zusammenarbeit mit seinen LMU-Kollegen Dr. Sebastian Grandis und Prof. Dr. Joseph Mohr erstellte Klein einen endgültigen Katalog von 477 Haufen, von nahen bis zu den entferntesten Galaxienhaufen, die schon existierten, als das Universum nur ein Viertel so alt war.

Eine weitere, damit zusammenhängende Arbeit stellt der ehemalige LMU-Doktorand Dr. I-Non Chiu in Zusammenarbeit mit Dr. Sebastian Grandis und dem Rest des LMU-Teams vor. Er analysierte den von Klein und seinem Team zusammengestellten Haufenkatalog mit Hilfe des Gravitationslinseneffekts, damit lässt sich die Masse von Galaxienhaufen bestimmen. Die Studie von Dr. Chiu ist die bisher umfangreichste Untersuchung dieser Art von im Röntgenbereich identifizierten Galaxienhaufen und bietet neue Einblicke in die Struktur und Entwicklung dieser Population der massereichsten kollabierten Objekte im Universum.

Die 35 Arbeiten unter der Leitung des deutschen eROSITA-Konsortiums, die gleichzeitig mit dem EDR veröffentlicht werden, konzentrieren sich hauptsächlich auf diese EDR-Beobachtungen, enthalten aber auch einige spannende Highlights aus der laufenden Himmeldurchmusterung. Die untersuchten Objekte reichen von Sternen und diffuser Emission in unserer eigenen Milchstraße oder der benachbarten Großen Magellanschen Wolke über Aktive Galaktische Kerne (AGN), die supermassereiche Schwarze Löcher beherbergen, bis hin zu riesigen Galaxienhaufen. „Neben der bahnbrechenden Wissenschaft macht es mich wirklich stolz, dass rund 40% der Veröffentlichungen, die die Datenfreigabe begleiten, von Wissenschaftlerinnen geleitet wurden“, sagt Mara Salvato, eROSITA-Sprecherin, Mitglied des ORIGINS-Clusters und Vorsitzende der eROSITA-Nachfolgearbeitsgruppe.

Seit der Erhebung dieser EDR-Daten zu Beginn der Mission hat das eROSITA-Röntgenteleskop den Röntgenhimmel kontinuierlich vermessen und schließt derzeit seine vierte vollständige Durchmusterung ab. Diese Daten über ein viel größeres Gebiet enthalten Millionen von Röntgenquellen, deren Eigenschaften und Daten in kommenden Publikationen und Datenveröffentlichungen des deutschen eROSITA-Konsortiums vorgestellt werden.
Astronomy and Astrophysics, 2021.

Weitere Informationen der eROSITA-Kollaboration finden Sie hier.

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