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Astrophysik: Gefangen im kosmischen Netz

18.12.2020

Messungen des neuen Röntgenteleskops eRosita bestätigen Simulationen von LMU-Physikern zur Entwicklung unseres Universums.

Mehr als die Hälfte der Materie in unserem Universum entzog sich bislang unserem Blick. Astrophysiker hatten allerdings eine Vermutung, wo sie sich befinden könnte: in sogenannten Filamenten, unvorstellbar langen Strukturen aus heißem Gas, die Galaxien und Galaxienhaufen umgeben und miteinander verbinden. In Computer-Simulationen der LMU-Astrophysiker Veronica Biffi und Klaus Dolag im Rahmen des Exzellenzclusters ORIGINS ähneln diese Filamente aus heißem Gas frappierend dem Filament von 50 Millionen Lichtjahren Länge, das ein Team unter Federführung der Universität Bonn nun erstmals mit dem Weltraumteleskop eROSITA beobachtet hat. Während die Beobachtung damit Vorstellungen von der Entstehung und Entwicklung unseres Universums bestätigt, erlauben die Simulationen, die Ergebnisse, die in der Zeitschrift Astronomy & Astrophysics erschienen sind, zu interpretieren und die Entstehung dieser Strukturen zu beleuchten.

Wir verdanken unsere Existenz einer winzigen Unregelmäßigkeit. Vor fast genau 13,8 Milliarden Jahren begann alles mit dem Urknall, also dem Beginn von Raum und Zeit, aber auch von allem, was unser heutiges Universum ausmacht. Dies war zunächst an einem Punkt konzentriert, dehnte sich dann aber rasend schnell zu einer gigantischen Gaswolke aus, in der die Materie fast gleichmäßig verteilt war – fast, aber nicht vollständig. An einigen Stellen war die Wolke etwas dichter als an anderen. Und allein deshalb gibt es heute Planeten, Sterne und Galaxien: Die dichteren Regionen übten etwas stärkere Gravitationskräfte aus und zogen das Gas aus ihrer Umgebung an.

Auf diese Weise begann sich eine komplexe, großräumige Struktur zu bilden, in der sich immer mehr Materie in Schichten, dünnen Fäden und Kreuzungspunkten konzentrierte, während der Raum dazwischen immer leerer wurde – alles in allem ähnlich einem Schwamm. So hat sich in den letzten 13 Milliarden Jahren die großräumige Struktur in unserem Universum entwickelt, bei der sich Galaxien auf sehr kleinem Raum tummeln (sogenannte Galaxienhaufen), welche durch feine, spinnennetzartige Strukturen (sogenannte Filamente) verbunden sind, mit großen „Löchern“ ohne Materie dazwischen.

Feines Gespinst aus Gasfäden

Sollte sich unser Universum wirklich so entwickelt haben, wären die Galaxien und Galaxienhaufen heute immer noch durch Reste dieses Gases verbunden, die wie dünne Fäden eines Spinnennetzes das Universum durchdringen. Nach theoretischen Vorhersagen befindet sich voraussichtlich mehr als die Hälfte aller baryonischen Materie in diesem Netz. Trotzdem hat es sich bisher aufgrund seiner extremen Verdünnung von nur zehn Atomen pro Kubikmeter unseren Blicken entzogen.

Unter Verwendung des eROSITA-Weltraumteleskops konnte nun dieses dünne Gas zum ersten Mal umfassend sichtbar gemacht werden. Beim eROSITA-Weltraumteleskop handelt es sich um ein Röntgenteleskop, dessen Detektoren besonders empfindlich auf die Art Röntgenstrahlung, die vom Gas in kosmischen Filamenten emittiert wird, reagiert. Mit seinem großen Sichtfeld kann es außerdem einen relativ großen Teil des Himmels mit hoher Auflösung in einer einzigen Messung abbilden. Infolgedessen können detaillierte Bilder insbesondere von so großen Objekten wie den intergalaktischen Filamenten in relativ kurzer Zeit aufgenommen werden.

Bestätigung aus kosmologischen Simulationen

In ihrer Studie untersuchten die Wissenschaftler ein Himmelsobjekt namens Abell 3391/95. Das Abell 3391/95-System umfasst drei Galaxienhaufen und ist ungefähr 700 Millionen Lichtjahre von der Erde entfernt. Die eROSITA-Bilder zeigen nicht nur die Galaxienhaufen und zahlreiche einzelne Galaxien, sondern auch die Gasfilamente, mit denen diese verbunden sind. Das gesamte Filament ist 50 Millionen Lichtjahre lang und ein Teil davon scheint die beiden Hauptteile von Abell 3391/95 zu verbinden.

„Die neuen eROSITA-Bilder des beobachteten Systems ähneln bemerkenswert den Ergebnissen unserer kosmologischen Simulationen“, erklärt Klaus Dolag. In den an der Universitäts-Sternwarte in München entwickelten Magneticum-Simulationen fanden Veronica Biffi und Klaus Dolag ein sehr ähnliches Paar von Galaxienhaufen, die durch warmes Gas in einem brückenartigen Filament verbunden und mit vielen anderen umgebenden Objekten in eine viel größere Filamentstruktur eingebettet sind.

Die Computersimulationen bestätigen dabei, dass solch lange Filamente eine erhebliche Menge an verdünntem Gas enthalten. „Unsere Simulationen zeigen auch, dass sich andere Gruppen und Galaxienhaufen entlang der Filamente auf derartige Knotenpunkte, wie es das A3391/95-System darstellt, zubewegen“, so die Wissenschaftler. Diese Studien können in einzigartiger Weise dazu beitragen, den Ursprung und die Entwicklung dieses Galaxienhaufenpaares und des Filaments sowie die besonderen Eigenschaften des Gases innerhalb dieser Strukturen zu erklären: „Das extrem verdünnte und kältere Gas im Filament scheint aus vergleichsweise unterschiedlichen Richtungen zu kommen, fast nahezu orthogonal zu dem heißeren Gas innerhalb der Galaxienhaufen“, sagt Biffi. „Die Entwicklung seiner Eigenschaften scheint in den letzten zehn Milliarden Jahren ebenfalls vergleichsweise verschieden verlaufen zu sein.“
Astronomy & Astrophysics, 2020.

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