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Belastungen im Studium: Die Ängste besiegen

31.10.2022

Die Zeiten sind schwierig, die Belastungen groß. Dem kommenden Semester mit Bauchgrummeln entgegenzublicken, ist darum völlig normal. Forschende der LMU erklären, was man tun kann, wenn Sorgen überhand nehmen – aus der MUM, dem MünchnerUni Magazin.

Zeichnung: Mensch in einer Sanduhr

Zu viel Grübeln bringt nichts. Besser sei es, den Sorgeprozess zu stoppen, so LMU-Experte Thomas Ehring. | © MaltexMueller/imago-images

Erst die Pandemie, dann Krieg und Inflation: Die Zeiten sind schwierig. Das schlägt auch vielen Studierenden aufs Gemüt. Bereits im ersten Pandemiejahr 2020 gaben zehn Prozent der Studierenden bei einer Umfrage des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) an, psychisch beeinträchtigt zu sein. 2016 waren es noch sieben, 2012 drei Prozent.

Laut Bundesministerium für Bildung und Forschung sind Depressionen mit achtzig Prozent die weitverbreitetste Erkrankung unter Studierenden, Angststörungen liegen bei 39 Prozent. Auffällig ist die Verteilung auf die unterschiedlichen Fakultäten. In den Sprach und Kulturwissenschaften sind die Zahlen am höchsten.

Auch internationale Studien zeigen, dass die Anzeichen von Angst unter Studierenden während der Pandemie zugenommen haben. Jetzt kommen neue Zukunftssorgen hinzu. Wird eine heftige Coronawelle den Unibetrieb in Präsenz erneut gefährden? Reicht das Geld trotz Teuerung für Miete und Essen? Wird der Winter wirklich so hart, wie alle sagen? Und wenn ja: Was bedeutet das fürs eigene Leben? Verständlich, dass einem bei so vielen Unsicherheiten mulmig wird. Und an sich ist das auch gar kein Problem. Denn eigentlich ist Angst sehr viel besser als ihr Ruf. „Viele Ängste sind völlig normal!“, so Professor Thomas Ehring, Psychologischer Psychotherapeut und Inhaber des Lehrstuhls Psychologie und Psychotherapie an der LMU. „Angst ist ein natürliches, hilfreiches und wichtiges Alarmsystem des Körpers, das unser Überleben gesichert hat und sichert.“

Die Wissenschaft unterscheidet zwei verschiedene Systeme, die sich in der menschlichen Psyche herausgebildet haben: Furcht und Angst. Beide Begriffe werden im Deutschen meist synonym verwendet. Nicht so im Englischen, wo sie als fear und anxiety klarer unterschieden sind.

Furcht versus Angst

Bei Furcht ist die körperliche Reaktion meist massiv. „Das ist auch sinnvoll“, meint Ehring. „Denn Furcht tritt in einer ganz konkreten Bedrohungssituation auf. Sie soll eine Fight-or-Flight-Reaktion motivieren“, erklärt er. Der Körper erstarrt – oder bereitet sich auf eine Flucht vor. Dabei beschleunigen sich Herzschlag und Atmung. Auch Schwitzen, Zittern und Übelkeit können Furcht begleiten. „Angst dagegen ist unspezifischer und milder“, so Ehring. „Sie lenkt die Aufmerksamkeit auf eine mögliche Gefahr. Wer Angst empfindet, antizipiert eine Bedrohung gedanklich. Die Erregung ist bei Angst daher eher moderat.“ Allerdings kann sich auch eine vorgestellte Bedrohung sehr real anfühlen. „Das verdanken wir unserer Vorstellungskraft“, so Ehring. Der Preis dafür ist leider hoch. Denn immer wieder geraten Ängste aus dem Ruder und belasten den Alltag auf unerträgliche Weise.

Da er sich als klinischer Psychologe vor allem mit abweichenden psychischen Phänomenen beschäftigt, interessieren Ehring in seiner Forschung besonders „falsche Alarme“. Also Furcht und Angst, die zu häufig, zu intensiv und zum falschen Zeitpunkt auftreten – zum Beispiel infolge traumatischer Lebensereignisse wie Gewalt und Kriegserfahrungen.

In die von ihm geleitete Traumaambulanz der LMU kommen Menschen, die sexuelle oder körperliche Gewalt erlebt haben. Unter seinen Patienten sind solche, die Unfälle oder Naturkatastrophen erleiden mussten. Geflüchtete aus Syrien suchen hier Unterstützung und immer mehr Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine.

„Menschen mit posttraumatischen Störungen haben sehr häufig ein massives Problem mit Furcht“, sagt Ehring. „Flashbacks, Alpträume, Panikattacken treten auf.“ Die Patienten fühlen sich auch dann nicht sicher, wenn gar keine Gefahr droht. Der Grund: Es ist ihnen nicht gelungen, ihre belastenden Erfahrungen angemessen zu verarbeiten.

„Normalerweise wird ein Erlebnis im Gedächtnis gespeichert und in die eigene Biografie eingebettet. Dort verblasst es mit der Zeit“, erklärt Ehring. Bei einer Traumatisierung ist das anders: Die Erinnerung verliert nicht an Lebendigkeit, sondern bleibt so lebhaft erhalten, dass Umgebungsreize sie jederzeit erneut auslösen können. „Dann fühlt es sich für die Betroffenen so an, als seien sie der Bedrohung im Hier und Jetzt ausgesetzt.“

Ein Mechanismus, den man übrigens auch von positiven Erinnerungen kennt: Der hochemotionale Moment der Geburt eines Kindes etwa, ein besonderer Erfolgsmoment oder der erste Kuss bleiben als „Nachhallbilder“ intensiv im Gedächtnis. „Das ist ein normaler Prozess, der die Funktion hat, bedeutsame Ereignisse in der Aufmerksamkeit zu halten.“ Ehring und seine Kollegen und Kolleginnen bieten traumatisierten Patienten konkrete Hilfe an. „In einem kontrollierten, sicheren Setting werden die Erfahrungen der Patienten nochmals hervorgeholt und besprochen. So lernt das Gehirn etwas, was ihm zuvor nicht möglich war: Dass die Bedrohung vorbei ist.“ Der Patient begreift, inwiefern das Trauma sein Weltbild erschüttert und seine Beziehungen beeinträchtigt. Und er übt ein, wenig hilfreiche Verhaltensweisen zu vermeiden. Gelingt die Therapie, können die traumatischen Erfahrungen verarbeitet und abgelegt werden.

Konfrontation als Therapieform erster Wahl

Ein wichtiges Grundprinzip der therapeutischen Arbeit, die Konfrontation, lässt sich mit Erfolg auf die meisten Formen von Angst anwenden. Auf Phobien zum Beispiel wie die Angst vor Spinnen. Oder auf die Angst vor Prüfungen und Referaten, die viele Studierende begleitet. „Die Konfrontation ist bei pathologischer Angst eine der effektivsten Therapieformen“, sagt Ehring und empfiehlt, sich der gefürchteten Situation so oft wie möglich auszusetzen, ja sie bei Bedarf auch zu simulieren. Denn im Lauf des Gewöhnungsprozesses, der so angestoßen wird, schleifen sich die Ängste ab.

Auch mit den Sorgengedanken, die Ängste häufig begleiten, beschäftigt sich Ehring in seiner Forschung. „Sorgen dienen häufig der Vermeidung. Statt sich bei Prüfungsangst hinzusetzen und zu lernen, sorgt man sich, ob man die Prüfung schafft. Besser wäre es, die Sache zu Ende zu denken: Was genau geschieht, wenn ich die Prüfung nicht schaffe? Was tue ich dann?“ Menschen, die viel grübeln, ermuntert er zu trainieren, den Sorgenprozess zu stoppen. Hilfreich können auch Entspannungs-, Achtsamkeits- und Atemübungen sein.

Für ihn besteht das große, noch nicht gelöste Problem der Angstforschung weniger in der Therapie der Angst als in ihrer Prävention. „Wir sind sehr gut darin, Probleme zu behandeln, aber relativ schlecht darin, zu verhindern, dass sie auftreten.“

Negative Gefühle erst mal annehmen

Auch Sophie Appl beschäftigt die Frage, wie man Menschen auf niedrigschwellige Weise Ängste nehmen kann. Die Diplompsychologin von der Interkulturellen Beratungsstelle der LMU betreut vielfach Studierende aus dem Ausland, die unter Ängsten leiden. Schließlich ist es bei aller Freude über neue Erfahrungen kein Kinderspiel, sich an einem unbekannten Ort in einer fremden Sprache unter Menschen, die man nicht kennt, neu zu orientieren. „Da sind die Ängste im Vorfeld eines Auslandsaufenthaltes, dann der Kulturschock und die Befürchtung, keinen Anschluss zu finden und das Studiensystem nicht zu verstehen. Dann der hohe Erwartungsdruck der Eltern zu Hause. Und die Angst, nicht gut genug zu sein.“

Während Corona kamen weitere Ängste hinzu: Die Furcht, die Coronaregeln falsch zu verstehen. Oder – bei Studierenden aus dem asiatischen Raum – die Angst vor Diskriminierung. Die Sorge, keinen Job zu finden, um sich zu finanzieren. Und ein alles überschattendes Gefühl der Einsamkeit.

Inzwischen begegnet ihr häufig die Angst vor dem bevorstehenden Winter. Manchmal schickt Appl die Studierenden dann an Stellen weiter, die intensivere Hilfe anbieten können. Um Menschen, die unter Ängsten leiden, niedrigschwellig zu helfen, hat sie in den vergangenen beiden Jahren einen Blog mit Tipps zu Angst und Corona verfasst.

„Es ist sehr wichtig, negative Gefühle erstmal anzunehmen“, erklärt sie. „Denn was man unterdrückt, wird stärker. Das ist bei allen negativen Gefühlen so.“ Atemübungen sind für sie eine wirkungsvolle Methode, Angst zu lindern. Denn wer Angst hat, atmet flacher. „Atmet man dagegen länger aus als ein, muss man sich entspannen – der Körper kann nicht anders.“ Ihre Formel lautet darum: „Vier Sekunden einatmen, vier Sekunden Atem anhalten, acht Sekunden ausatmen, wieder vier Sekunden Atem anhalten.“ Das Gute an dieser winzigen Intervention: „Man kann das auch so machen, dass es keiner sieht, im Seminar oder im Bus.“

In ihren Blogbeitragen nennt sie noch viele andere Möglichkeiten, sich zu entspannen und die Angst hinter sich zu lassen. Sie ist überzeugt: „Man kann seine Ängste überwinden und daran wachsen! Und das kann einen unglaublich stark machen!“

Der Text ist der aktuellen Ausgabe der MUM, dem MünchnerUni Magazin entnommen. Die MUM können Sie hier abonnieren oder als E-Paper lesen

Beratung und Austausch:

Studentenwerk München: Psychotherapeutische und psychosoziale Beratung

Blog: Be happy

LMU: Anlaufstellen für Studierende

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