News

„Biologie ist heute eine Big-Data-Wissenschaft“

20.05.2025

Die Fakultät für Biologie der LMU wird 50, seit 20 Jahren sind im Biozentrum alle Disziplinen vereint. Im Interview spricht Dekan Herwig Stibor über wissenschaftliche Entwicklungen und kommende Herausforderungen.

LMU Biozentrum

Das Biozentrum der LMU besteht seit 20 Jahren. | © LMU

Die Fakultät für Biologie der LMU feiert ihr 50-jähriges Bestehen, gleichzeitig blickt das Biozentrum auf 20 Jahre interdisziplinäre Forschung zurück. „Heute gilt das Motto: Forschen und Feiern! Happy Birthday LMU-Biologie. Seit 50 Jahren steht an der Fakultät für Biologie der LMU der Mensch im Mittelpunkt. Und seit 20 Jahren gibt es das Biozentrum. Es ist das Herzstück unseres europaweit einzigartigen Life-Science-Campus in Martinsried", so Staatsminister Markus Blume anlässlich der Jubiläumsfeier. „Mit dem LMU-Biozentrum, dem LMU-Klinikum, dem Max-Planck-Zentrum für Biochemie und Helmholtz sorgen hier absolute Spitzeneinrichtungen für interdisziplinäre Exzellenz – die perfekte Symbiose aus Wissenschaft und Wirtschaft. Aktuell investieren wir rund 77 Millionen Euro in die Verlängerung der U6 und binden Martinsried an unsere Münchner Exzellenz-U-Bahn-Linie an. Künftig gilt: Spitzenforschung findet nicht (nur) an der Ost- und Westküste der USA statt, sondern an den Endstationen der U6!“

Seit der Gründung der Fakultät hat sich die Biologie technisch und methodisch deutlich weiterentwickelt. Insbesondere der Einzug von Big Data und KI eröffnet neue Möglichkeiten für die biologische Forschung. Im Interview spricht der Dekan der Fakultät, Professor Herwig Stibor, über diese Veränderungen und die künftigen Herausforderungen für Forschung und Lehre.

Anlässlich des Jubiläums: Was zeichnet Ihre Fakultät besonders aus?

Herwig Stibor: Im nationalen und europäischen Vergleich sind wir sicherlich eine der größten und gleichzeitig diversesten biologischen Fakultäten. Wir bieten die gesamte Bandbreite biologischer Disziplinen und von „A“ wie Anthropologie bis „Z“ wie Zoologie alle Fächer, die moderne Biologie ausmachen. Trotz dieser Bandbreite haben wir auch in jedem Bereich genug kritische Masse, um große Forschungsprojekte wie Sonderforschungsbereiche einzuwerben und durchzuführen. Auf der Seite der Deutschen Forschungsgemeinschaft sind wir gelistet als eine der drittmittelstärksten Fakultäten für Biologie in Deutschland, was unseren Erfolg in diesem Bereich unterstreicht.

Ein zentrales Merkmal ist auch unsere starke Vernetzung. Die Biologie ist eng verbunden mit anderen Disziplinen wie Chemie, Geowissenschaften, Medizin oder Physik. Diese Verbindungen reichen über die Universität hinaus bis zu außeruniversitären Einrichtungen wie den Max-Planck- und Helmholtz-Instituten. Solche Kooperationen erlauben es, über den Tellerrand hinauszuschauen, und fördern interdisziplinäre Forschung auf hohem Niveau.

Die Biologie hat sich in den letzten Jahrzehnten stark gewandelt. Welche Entwicklungen sind aus Ihrer Sicht besonders prägend?

Die Disziplin hat sich technisch wie methodisch stark weiterentwickelt. Zum einen erleben wir eine kontinuierliche Verbesserung von Methoden, zum anderen gibt es immer wieder disruptive Entwicklungen, die dann ganz neue Möglichkeiten eröffnen, wie die Genschere CRISPR.

Gleichzeitig ist Biologie heute eine Big-Data-Wissenschaft. Vor 50 Jahren waren die Möglichkeiten oft begrenzt, weil die verfügbaren Daten limitiert waren. Heute sind die Datenmengen enorm, die wir durch Mikroskopie, Sequenzierung oder Imaging erzeugen. Der Engpass ist nicht mehr die Datenerhebung, sondern die Speicherung und Verarbeitung dieser Informationen. Das Datenmanagement, Speicherkapazitäten und Datenauswertung sind heute die entscheidenden Herausforderungen. Daraus ergibt sich: Biologinnen und Biologen brauchen zunehmend mathematische und computerbasierte Kompetenzen. Auch KI wird immer wichtiger. Die Kombination von moderner Mikroskopie, KI und modernen Verrechnungsmöglichkeiten eröffnet uns Möglichkeiten, die man sich vor 20 bis 30 Jahren nicht hätte vorstellen können. Für Felder wie Proteinstrukturanalyse und Proteinfaltung etwa ist KI eine ganz wichtige Hilfe. Was früher Jahre dauerte, können wir nun in kürzester Zeit berechnen.

Ein wichtiger Meilenstein für die Fakultät war die Gründung des Biozentrums. Welche Vorteile brachte das Biozentrum für die Fakultät?

Das Biozentrum hat alle Disziplinen, die vorher über ganz München verteilt waren, vereint. Heute treffen sich Kollegen und Kolleginnen unkompliziert auf dem Gang. Die gemeinsame Nutzung von Laboren und Geräten ist viel einfacher. Die räumliche Nähe hat sehr viel zur weiteren Vernetzung beigetragen. Das Biozentrum war eine Initialzündung für viele fächerübergreifende Projekte, es sind Synergien entstanden. Das erleichtert nicht nur die Forschung, sondern auch die interdisziplinäre Lehre.

Luftaufnahme des Biozentrums (vorne) und Biomedizinischen Centrums (hinten) am Campus Großhadern/Martinsried

Biozentrum (vorne) und Biomedizinisches Centrum (hinten) am Campus Großhadern/Martinsried

© LMU

Wodurch zeichnet sich das Angebot für Studierende an der Fakultät aus?

Unsere Studierenden bekommen einen einzigartig breiten Einblick in die Biologie. Im Bachelor lernen sie die gesamte Disziplin kennen. Unsere Studiengänge zeichnen sich dadurch aus, dass sie sehr praxisorientiert und forschungsnah sind. Masterprogramme wie Humanbiologie, Molekulare Zellbiologie, Ökologie, Pflanzenwissenschaften oder Biochemie und Bioinformatik bieten dann die Möglichkeit, sich zu spezialisieren. Wichtig ist dabei für uns, dass trotzdem noch ein Blick über den Tellerrand möglich ist. Deshalb kann bis zu einem Drittel der Stunden aus anderen Disziplinen gewählt werden.

Die Biologie ist ein globales Forschungsfeld. Wie spiegelt sich diese Internationalität an Ihrer Fakultät?

Wir haben sehr vielfältige internationale Verknüpfungen, zum Beispiel mit Partneruniversitäten. Und die Internationalität spiegelt sich auch bei den Studierenden. Alle Masterprogramme laufen auf Englisch, was internationalen Studierenden den Zugang erleichtert. Über 60 Prozent unserer Masterstudierenden kommen aus dem Ausland – aus über 80 Ländern. Die Aufnahmeprüfungen können sie weltweit absolvieren. Diese Diversität bereichert nicht nur das Campusleben, sondern auch die Teamarbeit und internationale Netzwerke unserer Absolventinnen und Absolventen.

Welche Forschungsthemen werden in den nächsten Jahren im Fokus stehen?

Die Biologie wird zunehmend mit Fragen konfrontiert, die prognostisch nach vorne schauen. Big Data ist dabei allgegenwärtig – die Fähigkeit, mit riesigen Datenmengen umzugehen, wird entscheidend. Wenn man etwa an die globalen Klimaveränderungen denkt, will man wissen, wie sich Ökosysteme unter bestimmten Szenarien entwickeln. Dabei geht es nicht nur um ökologische Gesamtzusammenhänge, sondern auch um die Anpassungsfähigkeit von Organismen auf molekularer Ebene.

Auch Themen wie der Verlust von Biodiversität oder personalisierte Medizin werden weiter an Bedeutung gewinnen. Das gilt auch für die synthetische Biologie: Wir sind nun an einem Punkt, an dem wir die molekularen Grundlagen gut verstehen und gezielt nutzen können. Jetzt geht es darum, Lebensformen zu gestalten, die die Evolution so nicht hervorgebracht hat – oder ihnen Eigenschaften zu verleihen, die es in der Natur bisher nicht gibt. Dabei eröffnen sich natürlich auch Fragen, die über die Fachgrenzen der Biologie hinausgehen und bei denen ethische und gesellschaftliche Fragen wichtig werden.

Forschung zur Photosynthese | © LMU

Gibt es aktuelle Forschungsprojekte, die Sie hervorheben möchten?

Wir leiten z.B. zurzeit zwei große DFG-Forschungsverbünde: Das ist zum einen ein Sonderforschungsbereich, in dem untersucht wird, wie sich Pflanzen auf molekularer Ebene an Veränderungen anpassen. Dabei geht es vor allem um Mechanismen bei der Photosynthese. Der andere Verbund ist ein Sonderforschungsbereich im Bereich der Genetik. Dabei geht es um die Interaktion zwischen Pflanzen und Mikroorganismen, die eine Rolle bei der Nährstoffversorgung spielen. Dazu kommen zahlreiche weitere Projekte, die in allen Bereichen der Biologie durchgeführt werden.

Für innovative Forschung braucht man moderne Infrastruktur. Sind Sie da gut aufgestellt?

Ja, ich denke, wir sind mit eine der am modernsten ausgestatteten Fakultäten Deutschlands. Wir decken mit unserer Infrastruktur alle Größenbereiche ab und können sowohl kleinste biologische Einheiten wie einzelne Moleküle analysieren als auch ganze Ökosysteme. Mit dem Center of Advanced Light Microscopy (CALM) haben wir eins der besten Mikroskopiezentren Deutschlands. Dort gibt es einen kompletten Park von modernsten Instrumenten. Teilweise sind das Geräte, die hier entwickelt worden sind und mit denen man an die Grenzen dessen kommt, was ein Lichtmikroskop leisten kann. Wir haben massiv investiert in moderne Geräte wie Massenspektrometer und Technologien zur Auswertung genetischer Daten, mit denen große Datenmengen in kurzer Zeit automatisiert erzeugt und ausgewertet werden können. Dazu gehören natürlich auch die entsprechenden Rechenkapazitäten am LRZ.

Professor Herwig Stibor

Herwig Stibor ist Professor für Aquatische Ökologie an der Fakultät für Biologie. | © LMU

Sie haben im letzten Jahr verschiedene Workshops zur strategischen Weiterentwicklung durchgeführt. Welche zentralen Herausforderungen haben Sie dabei identifiziert?

Zum einen müssen wir unsere technische Infrastruktur nach 20 Jahren gezielt modernisieren. Zum anderen sollten wir sowohl die bestehende fachliche Breite sichern als auch neue, zukunftsweisende Felder strategisch integrieren. Wir nutzen neue Berufungsprogramme – etwa durch die Hightech Agenda Bayern –, um innovative Themen wie KI in der Biologie oder Symbioseforschung durch Professuren abzudecken. Diese neuen Professuren sollen idealerweise Brückenfunktionen übernehmen, indem sie unterschiedliche Fachbereiche verknüpfen und so Synergien schaffen. Wir sollten bei Berufungen auch darauf achten, ausreichend mathematische Expertise im Haus zu haben, da Computational Biology, also der Umgang mit großen Datenmengen, aus der Biologie nicht mehr wegzudenken ist.

Wo sehen Sie Ihre Fakultät in 10 oder 20 Jahren?

Das ist natürlich immer schwierig. Wie heißt es so schön: Eine Vision ohne Geld ist eine Halluzination. Wir brauchen natürlich die Ressourcen, das ist klar. Wir wollen unsere Drittmittelstärke halten, um zusammen mit den Grundmitteln der LMU in dem immer kompetitiver werdenden Umfeld mithalten zu können. Zudem werden wir uns bemühen, unsere Internationalität aufrechtzuerhalten. Unser Ziel bleibt: die gesamte Breite und Tiefe der Biologie auf höchstem Niveau in Forschung und Lehre zu vertreten.

Wonach suchen Sie?