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Bündnis und Balance

12.11.2018

Die Politikwissenschaftler Bernhard Zangl und Andreas Kruck sind Initiatoren einer internationalen Forschergruppe am Center for Advanced Studies der LMU. Sie untersucht, wie internationale Organisationen mit Machtverschiebungen in der Weltordnung umge...

US-Präsident Donald Trump vor den Vereinten Nationen.

© Pacific Press/picture alliance

Donald Trump macht wie kein amerikanischer Präsident zuvor Front gegen internationale Organisationen. Wie wirkt es sich aus, dass eine Weltmacht wie die USA ein ums andere multilaterale Abkommen aufkündigt und internationale Institutionen verlässt? Zangl: Es ist eine ernsthafte Erschütterung der globalen Ordnung. Klassischerweise werden internationale Institutionen von den mächtigsten Staaten getragen. Die globale Ordnung, wie wir sie seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs kennen, wurde von den USA gemacht und getragen. Umso gefährlicher ist es, wenn der mächtigste Staat der Welt erkennen lässt, dass er diese Ordnung eher zerstören als erhalten will. Es ist ein Signal an alle anderen Staaten, sie nicht mehr ernst zu nehmen. Das ist etwas anderes, als wenn sich etwa Liechtenstein nicht mehr an die Regeln hielte.

Die Ordnung war zuvor schon unter Druck, neue Mächte wie China, Indien oder Brasilien wollen seit Jahren mehr Einfluss in internationalen Organisationen. Ja, klassischerweise entstehen Konflikte, wenn aufsteigende Mächte die bestehende Ordnung und damit auch den Hegemon herausfordern, wir Forscher sprechen hier von „power transition“, Machtübergang. Im Moment wollen China oder Indien die Ordnung nur zu ihren Gunsten verändern, sie aber nicht stürzen. Verblüffenderweise wird die Ordnung momentan eher von den USA angegriffen. Insofern ist die Trump-Konstellation neu. Mit spürbaren Konsequenzen: Veränderungs- und Zerfallsprozesse laufen nun viel schneller ab als üblich.

Präsident Trump wirkt also wie ein Katalysator. Genau. Trump scheint dabei nicht so sehr mit einzelnen Organisationen unzufrieden zu sein, sondern mit der internationalen Ordnung als solcher. Austritte aus einzelnen Organisationen gab es schon unter Ronald Reagan. Jetzt ist es ein breitflächiges Phänomen: Die Welthandelsorganisation WTO, das Nordamerikanische Freihandelsabkommen Nafta, das Abkommen über nukleare Mittelstreckensysteme INF und das Klimaabkommen, all das steht auf der Kippe. Und die UNO wird sowieso kritisiert. Noch wissen wir nicht, ob das nur ein Wimpernschlag der Geschichte ist, der in gut zwei Jahren vorbei sein wird, aber Anzeichen für eine Unzufriedenheit mit der globalen Ordnung gab es in den USA ja auch schon vorher, ganz unabhängig vom aktuellen Präsidenten.

Auf Wirtschaftsebene gibt es seit Jahren Veränderungen. China ist längst Weltmacht. Inwieweit deuten Sie Trumps Reaktion als Zeichen, dass die USA hier unter Druck stehen? Prinzipiell ist es für den alten Hegemon, der lange alleine die internationalen Regeln bestimmen konnte, immer unangenehm, wenn neue Mächte aufsteigen, die man nicht in die eigenen Weltordnungsprojekte einbinden kann. Die USA wollen deshalb verhindern, dass sich ihre relative Machtposition nicht weiter verschlechtert. Deshalb wird in den USA sehr genau kalkuliert, ob die Mitgliedschaft etwa beim Internationalen Währungsfond IWF ein relativ gutes Geschäft oder ob es für China oder die EU ein relativ besseres Geschäft ist. Dies würde die Machtbalance aus Sicht des Hegemons USA weiter negativ beeinflussen. Relative Gewinne spielen eine umso größere Rolle, je näher die Konkurrenz heranrückt.

China wird auch militärisch erkennbar mächtiger. Wie wirkt sich das bislang aus? Im Großen und Ganzen sehen wir im Militärbereich noch keine gravierenden Dinge. Jedoch auch hier gibt es Veränderungen. Die Austrittsdrohung der USA aus dem INF-Vertrag mag nicht nur mit Russland zu tun haben, sondern eben auch mit China.

Genau solche Dynamiken schauen Sie sich im Detail nun auch im Rahmen einer neuen Research Group am Center for Advanced Studies an. Ja, wir betrachten die globale Ordnung aus der Perspektive der aufsteigenden Mächte. In der Regel wollen sie die etablierte Ordnung und die sie tragenden Institutionen verändern. Das klappt teilweise gut. Im IWF haben China und die USA einen Kompromiss gefunden, der China mehr Stimmrechte und damit mehr Mitsprache gibt.

In anderen Bereichen, etwa bei der Sitzverteilung im UN-Sicherheitsrat klappte es dagegen nicht. Indien, Brasilien, Deutschland und Japan wären hier gern dabei. Würde man heute den UN-Sicherheitsrat neu zusammenstellen, hätten diese Staaten wohl einen Sitz und vermutlich sogar Veto-Recht. So aber gilt unverändert die Sitzverteilung von 1945. Wir wollen nun in der Research Group analysieren, wann die Anpassung der globalen Ordnung an veränderte Machtverhältnisse gelingt und wann nicht. Die Frage ist: Unter welchen Bedingungen beobachten wir das eine und unter welchen Bedingungen das andere?

Sie untersuchen hier unter anderem die Rolle von „Soft“ und „Hard Power“, wie es wissenschaftlich heißt. Ja, denn ob es zur Anpassung internationaler Institutionen kommt, hängt nicht nur von der „Hard Power“ der aufsteigenden Mächte ab, sondern auch von ihrer „Soft Power“. „Soft Power“ ist die Fähigkeit zu überzeugen und selbst attraktiv zu sein. Die USA hatten im Jahr 1945 nicht nur das schlagkräftigste Militär und die größte Wirtschaft, sondern auch eine überaus attraktive Kultur. Viele Menschen in Europa wollten so sein wie die Amerikaner, Hollywoodfilme oder amerikanische Musik hatten einen großen Einfluss. Auch Attraktivität verleiht Macht, nicht nur Drohpotentiale. „Hard Power“ wiederum bedeutet materielle Macht, basierend auf einer starken Armee oder Wirtschaft. Damit kann man härter verhandeln.

Wie läuft der Einsatz von hard power durch aufsteigende Mächte konkret ab? Ein Beispiel: China drohte im Rahmen des IWF-Konflikts indirekt damit, Staatsanleihen auf den Markt zu werfen, mit denen die USA ihre Schulden finanziert hatten und die China in großem Stil gekauft hatte. Die Vereinigten Staaten sind deshalb gerade während der Finanzkrise 2008 in eine gewisse Abhängigkeit von China geraten. Daher waren sie bereit, eine kooperative Lösung des Konflikts zu finden und China mehr Stimmrechte im IWF zuzugestehen.

Wo nutzten aufsteigende Mächte „Soft Power“? In der WTO gab es zum Beispiel im Zusammenhang mit Aids-Medikamenten einen Streit zwischen westlichen Mächten auf der einen und Brasilien und Indien auf der anderen Seite. Formal ging es um die Rechte am geistigen Eigentum. Die Patente für die Wirkstoffe waren geschützt, die Medikamente für Patienten in Entwicklungsländern daher zu teuer. Brasilien und Indien wollten billige Generika produzieren. Ihr Argument: Ohne billige Medikamente würden Menschen unnötigerweise an Aids sterben.

Wie reagierte der Westen? Die USA drohten, Brasilien und Indien in der WTO zu verklagen. Doch die produzierten unbeeindruckt davon Generika. Der Versuch, ein Gerichtsverfahren in der WTO einzuleiten, geriet dann für die USA zum PR-Desaster. Denn die Öffentlichkeit – auch die in den USA – kaufte die Argumente Brasiliens und Indiens. Die globale Öffentlichkeit wollte nicht akzeptieren, dass Patentrechte wichtiger sind als die Gesundheit von Menschen. Die USA sahen sich gezwungen, die Klage zurückzuziehen – ein klarer Erfolg der „Soft Power“. Schließlich wurde sogar der WTO-Vertrag hinsichtlich des Schutzes geistigen Eigentums geändert; die Produktion von Generika ist nun für Länder des globalen Südens unter bestimmten Bedingungen zulässig.

Mit Ihren Gästen am CAS arbeiten Sie ab sofort an Theorien zum Machtübergang (PPT). Bisherige PPT-Theorien gehen davon aus, dass aufstrebende Mächte in gewissen Abständen die etablierten ablösen, meist durch Kriege. Wir denken, dass solche Vorgänge aktuell nicht zu erwarten sind. Aufstrebende Mächte wollen derzeit Veränderung, aber keine andere Weltordnung.

Ihre Forschung beschäftigt sich speziell mit Verhandlungen zwischen Staaten. Wird dabei die „soft power“ immer wichtiger? Internationale Politik hat sich stark verändert. Staaten verhandeln nicht mehr im stillen Kämmerchen. Sogar NGOs nehmen mittlerweile an Verhandlungen teil. Aufstrebende Mächte machen sich diese Öffentlichkeit zunutze und erzeugen „rhetorischen Zwang“, wie wir das nennen. Sie machen Argumente, die gar nicht auf den Verhandlungspartner zielen, sondern auf die globale Öffentlichkeit, die dann Druck auf die Verhandlungen ausüben kann.

Welche Strategien beobachten Sie? Letztlich gibt es drei Typen von Verhandlungen: das sogenannte „power bargaining“, wo gegenseitig mit harter Macht gedroht wird; den „rhetorischen Zwang“, wo man mit Hilfe von Argumenten rhetorischen Druck aufbaut, die Verhandlungen zum geistigen Eigentum bei den Aids-Medikamenten sind hier ein Beispiel, und als dritten Verhandlungsmodus die sogenannte „strategic cooptation“. Hier sehen die etablierten Mächte, dass sie Hilfe brauchen, um die Ordnung in einem Bereich aufrecht zu erhalten. Sie bieten den aufsteigenden Mächten deshalb freiwillig institutionelle Privilegien an. Ein Beispiel ist die Anerkennung Indiens als sechste Atommacht, um das Land als Unterstützer des Atomwaffensperrvertrags zu gewinnen.

Unter welchen Bedingungen kommt es zu welchem Verhandlungsmodus? Wollen aufsteigende Mächte grundlegende Veränderungen, sind „power bargaining“ und „rhetorischer Zwang“ wahrscheinlich; sind sie hingegen mit der bestehenden Institution weitgehend einverstanden, dann erwarten wir „strategische Kooptation“. Und verfügen aufsteigende Mächte, die grundlegende Veränderungen anstreben, über „soft power“, so werden sie sie eher auf „rhetorischen Zwang“ als auf „power bargaining“ setzen. Wir denken, dass die Ausgangsbedingungen in der jeweiligen Institution für den gewählten Verhandlungsmodus entscheidend sind.

Lassen sich mit den Theorien Vorhersagen für Verhandlungen machen? Ganz allgemein sind von sozialwissenschaftlichen Theorien keine Prognosen zu erwarten. Wir können Erklärungen anbieten, aber keine Prognosen. Anders als in den Naturwissenschaften beziehen sich Theorien in den Sozialwissenschaften auf das Handeln menschlicher Akteure. Diese werden erklärungskräftige Theorien für sich nutzen, um ihr Handeln zu optimieren. Die Theorien beeinflussen dann das Handeln, das sie prognostizieren wollen. Deshalb können sozialwissenschaftliche Theorien zu self-destroying oder self-fullfilling prophecies werden.

Könnte man aus Verhandlungsstrategien auch eine Art Psychogramm eines Staats ableiten? Nun ja, die USA etwa waren lange der wohlmeinende Hegemon, der andere Staaten in seine Entscheidungen über die globale Ordnung einbezog. Deshalb gründeten sie internationale Institutionen. Die meisten sind ja erst nach 1945 auf Betreiben der USA entstanden. Spätestens mit Trump sehen wir, dass die USA diese Rolle nicht länger wollen. Man ist überzeugt, dass man damit einen schlechten Deal macht. Als wohlmeinender Hegemon versuchte die USA, den Kuchen für alle größer zu machen, nun will man offenbar einfach ein größeres Stück aus dem vorhandenen Kuchen. Das ist America first.

Bringt Trump so alles durcheinander? Ja, auch ein bisschen unser Projekt. Wir wollten das Verhalten der Aufsteiger über einen längeren Zeitraum beobachten. Die Grundannahme dabei war, dass der Hegemon an der Ordnung festhält, die Aufsteiger sie verändern wollen. Jetzt sehen wir, dass die USA selbst an der Ordnung rütteln. Das müssen wir analytisch in den Griff bekommen.

Warum ist ein Format wie die Research Group am CAS so gut für so ein Thema geeignet? Hier können wir zwei bislang getrennte Forschungsstränge miteinander ins Gespräch bringen. Denn vielfach haben diejenigen Kolleginnen und Kollegen, die sich mit globalen Machtveränderungen befassen wenig Expertise zum Wandel internationaler Institutionen und die Kolleginnen und Kollegen, die sich mit dem Wandel von Institutionen befassen, bringen diesen selten mit globalen Machtveränderungen in Verbindung. Die Research Group soll Experten zum institutionellen Wandel motivieren, ihre Expertise in die Forschung zu globalen Machtveränderungen einzubringen. Ich habe deshalb Experten für institutionellen Wandel eingeladen, die sich mit dem durch Machtveränderungen ausgelösten Wandel in konkreten internationalen Institutionen befassen sollen. Der Auftakt war eine gemeinsame Tagung vor wenigen Tagen, dort haben sich alle Kollegen als Gruppe gefunden. Es sollen anders als bei Trump nicht bilaterale sondern multilaterale Verknüpfungen entstehen.

Prof. Dr. Bernhard Zangl ist Inhaber des Lehrstuhls für Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt „Global Governance and Public Policy“ am Geschwister-Scholl-Institut der LMU. CAS Research Groups

Das Forschungsformat der „CAS Research Group“ bietet Professorinnen und Professoren die Möglichkeit, für ein Jahr gemeinsam mit Gastwissenschaftlern vor allem aus dem Ausland einer Forschungsfrage nachzugehen. Wer als LMU-Wissenschaftler nach der Begutachtung durch externe Experten mit seinem Projekt zum Zuge kommt, kann eine international hochkarätige Gruppe von Wissenschaftlern bilden, die über das Jahr in unterschiedlichen Konstellationen intensiv zusammenarbeitet. Von dem Programm profitieren insbesondere solche Forschungsthemen, die nur im direkten Austausch mit Experten aus aller Welt bearbeitet werden können. „Ziel ist es, die Internationalität der LMU-Forschung weiter zu stärken“, sagt CAS-Geschäftsführerin Dr. Annette Meyer. „Die bereits abgeschlossenen Projekte bezeugen Nutzen und Wert dieser Form der Forschungsförderung.“

Jeweils zwei Research Groups pro Jahr nehmen ihre Arbeit am CAS auf. Neben Bernhard Zangls „Power Shifts and Institutional Change in International Institutions“ ist ein Team um den LMU-Geowissenschaftler Donald B. Dingwell bereits an den Start gegangen: „Magma to Tephra: Ash in the Earth System“ heißt das Projekt zur experimentellen Vulkanologie. Diese internationale, interdisziplinär ausgerichtete Forschergruppe untersucht die vulkanische Aktivität an der Erdoberfläche. Im Mittelpunkt stehen die komplexen Reaktionen, die zwischen Magma und volatilen Gasen stattfinden über den gesamten Lebenszyklus der Vulkanasche – vom Auswurf der Asche während eines vulkanischen Ausbruchs in die Lithosphäre bis zu ihrer Aufnahme in die Bio- und Anthroposphäre.

Im akademischen Jahr 2019/20 wird LMU-Professorin Barbara Ercolano eine Research Group zur Planetenentstehung leiten: „The Ionisation Structure of Planet Forming Discs and their Atmospheres“. Professor Klaus H. Goetz vom Geschwister-Scholl-Institut für Politikwissenschaft der LMU wird in seinem Projekt über „Exceptional Political Dynamics: Temporality, Turbulence, Transformation“ forschen.

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