Das Fenster zum Mittelalter
06.05.2025
Der neuberufene Byzantinist Zachary Chitwood erforscht die Mönchsrepublik auf dem Athos.
06.05.2025
Der neuberufene Byzantinist Zachary Chitwood erforscht die Mönchsrepublik auf dem Athos.
Als „Reise in eine andere Welt“ beschreibt Professor Zachary Chitwood den Weg zum Objekt seiner Forschung. „Das Erste, was man von der Fähre aus vom Berg Athos sieht, sind die beeindruckenden Klöster, die wie Festungen über den steilen Küsten thronen“, sagt Chitwood. „Man fühlt sofort, dass dies ein Ort mit langer Geschichte ist.“ Für den Byzantinisten ist die monastische Bergrepublik auf einer schmalen Landzunge Griechenlands ein Fenster ins Mittelalter. „Denn die dort lebende Mönchsgemeinschaft bildet einen jahrhundertealten Knotenpunkt zwischen Kulturen und Religionen.“ Noch heute leben dort rund 2.200 Mönche in 20 Klöstern, darunter griechische, serbische, bulgarische und russische Gemeinschaften.
Zachary Chitwood hat seit vergangenem Jahr die Professur für Byzantinistik an der LMU inne – doch sein Interesse am Athos-Berg reicht zurück in seine Kindheit in den USA. Schon damals, in Nevada, las er mit Begeisterung historische Werke und entdeckte verschiedene Epochen für sich. Seine akademische Laufbahn begann entsprechend mit einem Studium der Geschichte, Mathematik und Sprachen am Ripon College. „Den Weg zur Byzantinistik fand ich dann über mein Interesse an der Antike, insbesondere am Römischen Reich und der griechischen Sprache“, erinnert er sich.
„Die Frage, was eigentlich nach der klassischen Antike mit der griechischen Kultur geschah, führte mich schließlich für eine Promotion nach Princeton“, so Zachary Chitwood. Sein Thema: byzantinisches Recht unter der makedonischen Dynastie vom 9. bis 11. Jahrhundert. Schon bei dieser Arbeit stieß Chitwood auf Rechtsurkunden vom Berg Athos, die später eine zentrale Rolle in seiner Forschung spielen sollten. Nach seiner Promotion wechselte er nach Berlin, um an der Humboldt-Universität an einem groß angelegten Forschungsprojekt zu Stiftungen im Mittelalter mitzuarbeiten.
„In dieser Zeit lernte ich nicht nur die deutsche Wissenschaftskultur kennen, sondern auch, wie sich Stiftungen in Byzanz, dem lateinischen Westen, der islamischen Welt, dem Judentum und dem vormodernen Indien unterschieden“, so Chitwood. „Auffällig war, dass nur im islamischen Raum Stiftungen als eigenständige rechtliche Konstrukte existierten, während in der christlichen Welt Klöster zwar oft gestiftet, nicht aber rechtlich definiert wurden.“ Von Berlin ging es weiter an die Johannes Gutenberg-Universität Mainz, wo Chitwood als wissenschaftlicher Assistent am Lehrstuhl für Byzantinistik mit Fokus auf kulturellen Austausch zwischen der byzantinischen und der islamischen Welt arbeitete.
In seinem ersten eigenen Forschungsprojekt über den Berg Athos, „Mount Athos in Medieval Eastern Mediterranean Society“ (MAMEMS), untersuchte er ihn als monastische Republik und transkulturellen Knotenpunkt. „Erst hier wurde mir bewusst, wie vielschichtig und international dieser Mönchsstaat im Mittelalter war“, so Chitwood. „Man denkt oft, der Berg Athos sei ein abgelegener Ort gewesen, losgelöst von der Welt.“ Die Quellen aber zeigten das Gegenteil. „Hier kreuzten sich Handelsrouten, Stiftungen flossen aus ganz Europa und der östlichen Mittelmeerwelt ein, und Pilger aus unterschiedlichsten Regionen hinterließen ihre Spuren.“
Sein Fokus bei MAMEMS liegt auf der Untersuchung von Gedenklisten. Denn diese führen nicht nur Verstorbene auf, sondern enthalten oft auch Angaben zu Stiftern und deren Schenkungen. „Besonders aufschlussreich ist das sogenannte Agapenbuch eines georgischen Klosters (Iviron) mit detaillierten Einträgen zu Stiftungen und Ritualen“, so Zachary Chitwood. „Es zeigt, dass der Athos weitreichende Verbindungen bis in den Kaukasus hatte.“ Andere Listen, etwa aus serbischen oder griechischen Klöstern, enthalten dagegen meist ausschließlich Namen, die sich nur einordnen lassen, wenn sie bekannten historischen Persönlichkeiten zugeordnet werden können.
Chitwood selbst hat den Athos-Berg mehrfach besucht. Wie alle Besucher benötigt er ein Visum. Übernachtet wird zusammen mit Pilgern in den Gästehäusern der Klöster. „Dort steht man wie die Mönche sehr früh auf, nimmt an ihren Gottesdiensten teil – und darf beim Essen nicht sprechen.“ Der Zugang zu den Archiven gestaltet sich oft schwierig. „Denn jedes Kloster verwaltet seine eigenen Dokumente und entscheidet individuell über den Zugang“, so Chitwood. Viele Quellen liegen nur vor Ort und sind daher kaum untersucht. „Es gibt Archive, in denen vermutlich noch ungehobene Schätze schlummern. Aber Zugang zu bekommen ist oft eine Frage des persönlichen Vertrauens – und manchmal wartet man vergeblich auf eine positive Antwort.“
Jedes Kloster verwaltet seine eigenen Dokumente und entscheidet individuell über den Zugang.Zachary Chitwood
Eine weitere Schwierigkeit: Frauen dürfen den Athos aufgrund religiöser Vorstellungen, die bis ins Mittelalter zurückreichen, nicht betreten. Denn die Klöster folgen einem Ideal asketischer Enthaltsamkeit; der vollständige Ausschluss von Frauen sollte jede Form der Ablenkung verhindern. Selbst weibliche Tiere – mit Ausnahme von Katzen – sind auf dem Athos nicht erlaubt. Diese Regelung ist religiös begründet, stößt heute aber natürlich auf Kritik. „Die Digitalisierung kann hier zumindest ein Fenster öffnen“, sagt Chitwood. „Sie ermöglicht es Forscherinnen, mit Quellen zu arbeiten, die ihnen physisch verschlossen bleiben."
Sein aktuelles Projekt „The Challenge of Islam and the Transformation of Eastern Christian Normative Regimes, ca. 630-1100” (NOMOS) knüpft genau hier an: Es entwickelt KI-gestützte Verfahren zur automatisierten Transkription byzantinischer Handschriften. „Denn die automatische Entzifferung handschriftlicher Texte ist im Vergleich zu gedruckten noch immer eine Herausforderung“, so Chitwood. „Besonders für griechische Handschriften gibt es noch viele Fehlerquellen.“ Das Projekt will diese Methoden verbessern und so Editionen großer Textmengen beschleunigen. „Die KI kann uns helfen, schneller zu arbeiten“, so Chitwood. „Aber sie ersetzt nicht den Menschen. Am Ende brauchen wir immer noch Forscher – und Forscherinnen –, die die alten Texte wirklich verstehen.“