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Das Geheimnis der winzigen Magnetkugeln

29.06.2015

LMU-Physiker nutzen biologische Motoren und Moleküle, um magnetische Materialien exakt zu vermessen.

Sie sind winzig und in vielen biotechnologischen Prozessen im Einsatz, ohne dass wir davon allzu viel mitbekommen. Superparamagnetische Kugeln können beispielsweise gezielt Stoffe in Flüssigkeiten oder Gelen aufspüren, sie können auch nur wenige Mikroliter kleine Flüssigkeitsmengen durchmischen oder einzelne Moleküle aus Lösungen herausfiltern. Darüber hinaus ermöglichen sie Messungen an einzelnen Molekülen und lassen sich als Sensoren und Hebel auf der molekularen Skala einsetzen. Steuern lassen sie sich von außen über einfache Magnete. Ein Team von Forschern um Jan Lipfert, Professor an der Fakultät für Physik der LMU und Mitglied der Nanosystems Initiative Munich (NIM), und Nynke Dekker von der TU Delft in den Niederlanden rückten nun die nur mikrometergroßen Kugeln selbst in den Fokus ihrer Forschung. Denn erstaunlicherweise war bislang noch nicht bekannt, wie genau die Magnetisierung dieser Wunderkugeln funktioniert. Wer ihre magnetischen Eigenschaften verstehe, sagt Jan Lipfert, könne mit ihrer Hilfe gezielt neue Anwendungen in der Biotechnologie entwickeln und Untersuchungsinstrumente wie magnetische Pinzetten bauen und verbessern.

Bei seinen Versuchen nutzte das internationale Forscherteam sogenannte magnetische Pinzetten. Bei diesen Instrumenten werden etwa DNA-Moleküle oder auch Bakterien wie E. coli mit einer Seite an einer Glasoberfläche und mit der anderen Seite an den magnetischen Kugeln befestigt. Über externe Magnetfelder können die Forscher so gezielt Kräfte direkt auf die Kugeln und auf die eingespannten Moleküle ausüben, also wie mit einer echten Pinzette an den Molekülen oder Bakterien ziehen. Lässt man darüber hinaus das Magnetfeld rotieren, drehen sich die Kugeln und alles, was mit ihnen verbunden ist, gleich mit. „Das funktionierte in der Praxis gut“, sagt Lipfert. „Aber es war unklar, warum eigentlich das Magnetfeld die Kugeln dreht. Das hat mich selbst erstaunt.“

Messinstrumente auf der Nanoskala

Es gibt verschiedene Modelle, um den Effekt zu erklären. „Wir waren ursprünglich davon ausgegangen, dass diese Kugeln eine kleine ferromagnetische Komponente haben, dass sie sich also wie Kompassnadeln verhalten“, erklärt Lipfert. Eine Publikation eines Kollegen hatte ein solches Verhalten als Modell vorgeschlagen. „Unsere Messungen zeigen ganz eindeutig, dass ein solches ferromagnetisches Modell ausgeschlossen werden kann“, weiß Lipfert nun. Die Idee der Forscher war, dass es eine Anisotropie oder Asymmetrie in der Magnetisierung geben muss, dass also die winzigen paramagnetischen Nanoteilchen ungleich in den Kugeln verteilt sein müssen. Das könnte die beobachtete Magnetisierung und die Drehung der Kugeln erklären.

Mithilfe zweier Experimente untersuchten die Forscher die magnetische Anisotropie sehr exakt. Im ersten Experiment klebten sie Zellen des Bakteriums E. coli auf die Glasoberfläche und befestigten die magnetischen Kugeln an den sogenannten flagellaren Motoren. Diese verwendet das Bakterium normalerweise, um seine Flagellen rotieren zu lassen. Flagellen sind die fadenförmigen Gebilde an der Oberfläche der Bakterien. Sie nutzen diese Flagellen als Antrieb und steuern damit durch den Körper. Das sei ein bisschen wie Schwimmen in klebrigem Honig, sagt Lipfert.

In seinem Experimenten verwendete das Team um Jan Lipfert und Nynke Dekker die flagellaren Motoren, um ein konstantes Drehmoment an die mikrometergroßen Kugeln anzulegen. Das ist sozusagen eine Umkehrung ihres normalen Einsatzes. Damit werden die biologischen Motoren zu physikalischen Messinstrumenten auf der Nanoskala. „In unserer Arbeit haben wir uns aus dem Werkzeugkasten der Biologie bedient, um ein physikalisches Problem zu verstehen, nämlich wie sich superparamagnetische Kugeln unter Rotation in einem Magnetfeld verhalten“, sagt Lipfert.

Die Forscher untersuchten, wie sich die Kugeln abbremsen lassen, wenn man externe Magnetfelder anlegt, und wie die molekularen Motoren letztlich zum Stillstand kommen. Lipfert und sein Team konnten dadurch verschiedene Modelle für die magnetische Anisotropie quantitativ testen und einige von ihnen ausschließen. Mit Hilfe dieses Versuchsaufbaus sei man in der Lage, so Lipfert, sogar Größen wie die Leistung oder das Drehmoment der Motoren zu messen – und das bei Dimensionen von etwa 10-20 PS.

Ansatz mit großem Potenzial

In einer zweiten Art von Experiment ließen die Forscher die Kugeln nicht aktiv rotieren, sondern befestigten sie stattdessen mit Hilfe einer doppelsträngigen DNA an der Oberfläche. Thermische Fluktuationen ließen hier die Kugeln rotieren. Diese Rotationsfluktuationen maßen die Forscher wieder als Funktion des angelegten externen Magnetfeldes. Mit Hilfe der Ergebnisse konnten sie die verschiedenen Modelle quantitativ vergleichen. Insgesamt widerlegen die Messungen Modelle, die von einem ferromagnetischen Verhalten der Kugeln ähnlich einer Kompassnadel ausgehen. Stattdessen sprechen sie für eine Anisotropie der induzierten Magnetisierung. Sie kommt entweder zustande, weil die Kugeln von der perfekten Kugelform abweichen oder weil die paramagnetischen Teilchen in den Kugeln nicht gleichmäßig verteilt sind.

Mithilfe der Methode lassen sich auch andere molekulare Motoren exakt untersuchen. „Unser Ansatz hat hier enormes Potenzial“, sagt Lipfert. Die Ergebnisse zeigten zudem, dass schon kleine Kugeln und relativ moderate Magnetfelder, die sich einfach im Labor erzeugen lassen, ausreichen, um selbst kräftige molekulare Motoren, die Bakterien bis zu hundert Mal pro Sekunde rotieren lassen, komplett anzuhalten und zu kontrollieren.

(Physical Review Letters 2015)

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