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Das Starterkit des Lebens

10.07.2015

Dieter Braun versucht herauszufinden, wie aus einfachen Molekülen die ersten Einzeller entstehen konnten. In seinem Labor simuliert er dazu die Zustände, die vor etwa vier Milliarden Jahren auf der noch jungen Erde geherrscht haben könnten.

Dieter Braun hat die Gebrauchsanleitung für die Kaffeemaschine seiner Arbeitsgruppe ins Internet gestellt. Jeder darf sie benutzen. Forscher aus verschiedenen Abteilungen treffen sich an dem goldfarbenen Gerät, das auch nicht viel einfacher zu bedienen ist als einer der Apparate im Labor nebenan. Chemiker und Physiker stehen hier oftmals und diskutieren neue Ideen – bisweilen lautstark, um den Lärm der Kaffeemühle zu übertönen.

Wenn Braun das sieht, freut er sich. Er hat die Maschine auch als Lockmittel angeschafft. Der Physiker selbst hat sich bis dahin nicht viel aus Kaffee gemacht, aber er wollte eine Begegnungsstätte schaffen für Leute mit verschiedenen Ausbildungen und Interessen. Das ist wichtig für seine Arbeit. Denn was er macht, liegt irgendwo zwischen Physik, Chemie und Biologie. So genau lässt sich das nicht sagen. Braun, Physik-Professor an der LMU, nennt sein Forschungsfeld „Systems Biophysics“, was er so übersetzt: „Wir beschäftigen uns mit der Physik von biologischen Systemen.“ Dazu zählt auch die Frage, wie das Leben auf der Erde entstehen konnte.

Die Entwicklung vom Einzeller zu mehrzelligen Pflanzen, zum Fisch, zur Möwe, zur Kuh, zum Löwen und zum Menschen lässt sich durch die Mechanismen der Evolution sehr gut erklären. Doch wie die Evolution selbst erfunden wurde, was also vor dem ersten Einzeller auf der Erde geschehen ist, liegt bislang im Verborgenen.

Wie alles begann Es gibt verschiedene Hypothesen: Die meisten Wissenschaftler sind heute davon überzeugt, dass sich auf der frühen Erde vielleicht vor etwa vier Milliarden Jahren aus einfachen Molekülen, wie sie überall im Weltall zu finden sind, die ersten größeren Moleküle gebildet haben, die in der Lage waren, sich selbst zu vervielfältigen. Der biologischen muss eine chemische Evolution vorausgegangen sein, die zu immer größeren, komplexeren Molekülen geführt hat.

Wahrscheinlich begann alles mit dem Molekül RNA, das chemisch eng verwandt ist mit der bekannteren Desoxyribonukleinsäure, kurz: DNA, einer langen Kette von chemischen Einzelbausteinen. Die DNA speichert unter anderem die Baupläne für Proteine – molekulare Maschinen und Bauelemente, die sich ebenfalls aus einfachen chemischen Grundelementen, den sogenannten Aminosäuren zusammensetzen. DNA ist chemisch stabiler als RNA und eignet sich deshalb besser, um Erbinformationen über lange Zeit zu speichern. RNA reagiert hingegen sehr bereitwillig mit anderen Molekülen und auch mit sich selbst – ideale Voraussetzungen für eine chemische Evolution.

Man weiß zwar noch nicht genau, wie die Grundbausteine für die ersten Erbmoleküle und Proteine entstanden sind. Trotzdem ergibt sich die Frage, wie aus den kleinen Einzelbausteinen größere Moleküle entstehen konnten, die Informationen speichern oder als molekulare Maschinen Arbeit verrichten. In allen bisherigen Erklärungsmodellen setzen sich immer die kleineren gegen die großen Moleküle durch, weil sie sich schneller vermehren können. Nach heutigem Wissen, könnte so kein Leben entstehen. Dieter Braun hat jedoch einen Mechanismus entdeckt, bei dem sich die großen Moleküle durchsetzen. Und nicht nur das: Mittlerweile hat sein Team zeigen können, wie sie sich vervielfältigen konnten.

„Weg vom wahrscheinlichsten Zustand“ Ein Zufall hat ihn vor etwas mehr als zehn Jahren auf die Spur gebracht. Er war damals Mitarbeiter im Labor des Physikers Albert Libchaber an der Rockefeller University in New York und wollte die Dynamik untersuchen, die entsteht, wenn Wasser erwärmt wird. Dazu füllte er winzige Kügelchen in eine kleine Wasserkammer und zielte mit einem Laserstrahl darauf. Die Kügelchen sollten ihm die Strömungen sichtbar machen, die im durch den Laser erhitzten Wasser entstehen. „Wenn man durch ein Mikroskop in diese Kammer blickt, dann sieht es irre aus, wie einem die Kügelchen entgegenfliegen“, erinnert sich Braun. Und irgendwann fiel ihm auf, dass sich die Kügelchen in einer Ecke der Kammer allmählich ansammelten.

Zu seiner Überraschung funktionierte diese Temperaturfalle umso besser, je größer die Partikel waren. Da kam Braun die Idee. Dieses physikalische Phänomen könnte das Paradoxon auflösen, an dem andere Hypothesen zur Entstehung des Lebens bislang immer zerbrachen. Durch diesen Effekt könnten sich Moleküle in einem Bereich sammeln, statt gleichmäßig verteilt durch eine Lösung zu diffundieren. Denn dazu tendieren Moleküle normalerweise. Die Sauerstoffkonzentration ist in einem geschlossenen Raum zum Beispiel überall gleich. Und so haben sich auch die ersten biologischen Grundbausteine wie Aminosäuren, RNA oder DNA gleichmäßig in Ur-Ozean verteilt. „Damit das Leben aber entstehen kann, muss man es von diesem wahrscheinlichsten Zustand permanent weghalten“, erklärt Braun. „Temperaturunterschiede könnten dieses Problem lösen, das gelöst werden muss, damit Evolution ablaufen kann.“

Festgesetzt in einer Thermofalle könnten sich die Vorläufermoleküle erst zu kurzen und dann immer längeren Molekülen zusammengesetzt haben, die irgendwann in der Lage waren, sich selbst zu kopieren – eine entscheidende Voraussetzung für die Entstehung von Leben. Auf diese Weise hätten sich auf der jungen Erde, zum Beispiel geschützt in einer Gesteinsspore, die ersten Erbgutmoleküle aus einfachen chemischen Grundzutaten bilden können.

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