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Der Dolmetscher: Markus Vogt über „Nachhaltigkeit"

08.02.2021

LMU-Forscherinnen und Forscher erklären wissenschaftliche Begriffe allgemeinverständlich

Es gibt wissenschaftliche Begriffe, die es in die Alltagswelt geschafft haben. LMU-Wissenschaftler erklären an dieser Stelle solche Ausdrücke – nicht nur mit einer reinen Definition, sondern auch mit einer kurzen Geschichte ihrer Popularität.

Markus Vogt: Der Begriff Nachhaltigkeit beinhaltet eine moralische Verantwortung, die sich in die Zukunft richtet: Wir sollen nicht mehr natürliche Ressourcen verbrauchen, als nachwachsen. Im Prinzip vertrat schon der Erfinder der Nachhaltigkeit diesen Gedanken, damals noch auf den Bereich Waldwirtschaft gemünzt. Carl von Carlowitz, ein Forstwirt aus Dresden, verwendete in seiner „Sylvicultura“, eigentlich einem verloren gegangenem Tagebuch seiner Europareise, im Jahr 1713 erstmals und nur einmal den Begriff „nachhaltend“: Man solle nicht mehr Holz schlagen als nachwachse. Carlowitz dachte über den Niedergang des Waldes nach, damals wurde in seiner sächsischen Heimat für die Verhüttung von Erzen sehr viel Wald gerodet. Er erkannte, dass das auf Dauer den nationalen Wohlstand bedrohte – und warb für eine kluge Planung. Der richtige Wald sollte auf dem richtigen Boden nachgepflanzt werden. In der Romantik wurde Carlowitz‘ eher ökonomische Idee dann als Naturideal begriffen. Danach verschwand der Begriff für fast zweieinhalb Jahrhunderte, wurde erst in den 1960er-Jahren im Rahmen ökonomischer Theorien wiederentdeckt, unter der englischen Bezeichnung „Sustainability“. Die Leitfrage war: Wie viel Wachstum kann auf Dauer stabil sein? Ich weiß noch, wie wir uns im Sachverständigenrat für Umweltfragen nicht trauten, den Begriff mit „Nachhaltigkeit“ zu übersetzen.

Fahrrad- und Fußgängerbrücke in Kopenhagen

Die dänische Hauptstadt gilt als die fahrradfreundlichste Stadt der Welt.

© IMAGO / Jochen Tack

Der Umweltbezug kam erst mit dem UNO-Weltgipfel in Rio im Jahr 1992. Dort diskutierten Experten über globale Umwelt- und Entwicklungsfragen und verknüpften erstmals die Bereiche Armutsbekämpfung und Umweltschutz. Das war wichtig, denn dabei wurden ideologische Barrieren überwunden. Noch in den 1980er-Jahren verstanden viele Ökologie als Gegenentwurf zu Moderne und Ökonomie. Diese Grenze fiel 1992: Nachhaltiger Umweltschutz, insbesondere Zugang zu fruchtbarem Boden und sauberem Wasser, gilt seitdem gerade für die ärmsten Länder als entscheidend, um die Lebensbedingungen zu verbessern. Damals entstand auch die Agenda 21: Nachhaltigkeit wurde als Jahrhundertprogramm für den Planeten definiert, als Leitbild für eine neue Form globaler Partnerschaft. Das ist ein sehr enthusiastisches Dokument, ein neuer Gesellschaftsvertrag mit Naturschonung als Verpflichtung. Nachhaltigkeit brachte Ökologie und Ökonomie zusammen und verband sie mit „globaler sozialer Gerechtigkeit“ als dritter Säule. Allerdings begannen hier auch die Probleme: Unter der neuen Definition ließ sich alles subsummieren, was gut klang. Die Beliebtheit des Begriffs nahm mit seiner inhaltlichen Unschärfe zu. Doch ohne gesellschaftlichen Transformationswillen bleiben die Ziele nur leere Worte. Nachhaltigkeit wird heute zu breit verstanden, suggeriert oft nur noch eine scheinbare Einigkeit. Viele Forscher sagen, der Begriff sei verbraucht, reiner Etikettenschwindel. Ich denke, dass er noch Substanz hat: Es geht im Kern um vernetztes Denken als Schlüssel für eine naturverträgliche Ökonomie und einen gerechtigkeitsfähigen Umweltschutz. Wir sollten den Begriff an konkrete Ziele knüpfen, zum Beispiel an die maximale Erderwärmung von zwei Grad. Dem entsprechen maximal zwei Tonnen CO2, die jeder Mensch pro Jahr ausstoßen darf.“

Protokoll: huf

Prof. Dr. Markus Vogt ist Inhaber des Lehrstuhls für Christliche Sozialethik an der LMU und Autor mehrerer Bücher zum Thema Nachhaltigkeit.

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