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Der Erfolg entscheidet sich im Klassenzimmer

08.01.2018

„Die Schulen brauchen keine Unterrichtsbeamten, sie brauchen Lehrerpersönlichkeiten“, sagt Professor Joachim Kahlert. Im Interview spricht er über Schwerpunkte und Erfolge der Qualitätsoffensive Lehrerbildung und die Lehrerausbildung in der Zukunft.

6,9 Millionen Euro zusätzlich für die Lehrerausbildung an der LMU – in welche Schwerpunkte wurde investiert? In Angebote, die entweder eine exzellente Fachlichkeit oder die Entwicklung der Lehrerpersönlichkeit fördern. Schwerpunkte, in denen wir ein gezieltes Zusatzangebot schaffen konnten, liegen in Themenfeldern wie Digitalisierung, Inklusion, fächerübergreifender Unterricht und Eignungsberatung sowie der Vernetzung von Fachwissenschaft und Fachdidaktik. Vor allem letzteres ist ein seit Jahrzehnten diskutiertes Strukturproblem in der Lehrerbildung, ebenso wie die Vernetzung der Inhalte der einzelnen Bereiche in der Lehrerausbildung.

Konnte die Qualitätsoffensive dieses Strukturproblem teilweise aufbrechen? Ja, auf jeden Fall. Vor allem durch das große Commitment der Fakultäten und auch die Einbeziehung der Studentenschaft. Und zwar nicht nur mit den zusätzlichen Veranstaltungsformaten und Angeboten, sondern auch strukturell. Bisher gab es zum Beispiel keine Didaktik-Professuren in Chemie, Sozialkunde und Romanistik. Durch die Qualitätsoffensive konnten wir diese einrichten und dadurch – für die Zukunft nachhaltig – große Effekte erzielen.

Diese fachwissenschaftlichen Zusatzangebote – wie sehen die aus? Wir haben die Fachwissenschaften gezielt ins Boot geholt und viele verschiedene Veranstaltungsformate entwickelt, in denen der Schulbezug nicht erst durch den Didaktiker, sondern durch die Fachwissenschaftlerinnen und Fachwissenschaftler schuladäquat vermittelt wird. Zum Beispiel Veranstaltungen mit Überblickscharakter – also in der Literaturwissenschaft über die Literaturepochen insgesamt. So können sich Lehramtsstudierende zusammenhängendes Fachwissen aneignen, das schuladäquater ist. Oder in der Biologie, wo nun in fachwissenschaftlichen Laboren gezielt didaktische Konzepte erarbeitet werden und am Ende Unterrichtsklassen aus der Schule eingeladen werden, um die Anwendung dieser Konzepte zu üben.

Viele dieser Veranstaltungsformate beinhalten digitale Lernkonzepte speziell für Lehramtsstudierende. Ein Beispiel, das mir spontan einfällt, ist aus der Physik: Der Aufbau von Experimenten erfolgt in der Regel vor den Fachvorlesungen, das Lerntempo ist hoch. Nun ist Verstehen das eine, Erklären wiederum etwas anderes. Der Experimentaufbau wird vorher stumm gefilmt. Warum stumm? Weil die Studierenden anschließend die Aufgabe haben, das Experiment mit dem Smartphone zu vertonen und der Dozent gibt anschließend sein Feedback dazu. So wird die Ausdrucksfähigkeit geschult, der Studierende lernt zu erklären – und das in seinem eigenen individuellen Rhythmus.

Neben den fachwissenschaftlichen Veranstaltungsformaten haben wir ein zusätzliches Angebot zur Förderung und Unterstützung der Lehrerpersönlichkeit geschaffen – Stichwort Präsenz vor der Klasse.

Förderung der Lehrerpersönlichkeit – wie sehen diese Angebote aus? Der Lehrer ist mehr als ein Fachmensch. Im Unterricht soll er jeden mitnehmen, aber gleichzeitig auch rasch vorankommen; Ruhe bei schwierigen Elterngesprächen bewahren, gleichzeitig gut beraten. Es ist wichtig, dass die vielfältigen Aspekte des Lehrerseins im Studium Beachtung finden. Hierfür gibt es an der LMU Coaching im Lehramt. 30 Coaches unterstützen in verschiedenen Angeboten unsere Studierenden in der Entwicklung der Lehrerpersönlichkeit und leiten dazu an, die eigene Persönlichkeit anforderungsorientiert zu reflektieren. Beispiel: Ich habe zwar hervorragendes Fachwissen, aber habe ich vor der Klasse eine überzeugende Ausstrahlung? Außerdem haben wir die sogenannten Lehrtandems, in denen eine erfahrene Lehrerin oder ein Lehrer den Studierenden unterstützt. Und zwar bewusst gemischt, statt nach Fächern separiert, zum Beispiel bilden ein Historiker und eine Musikpädagogin ein Lehrtandem.

Was für Themen rücken zukünftig noch stärker in den Fokus? Digitalisierung wird sicher noch stärker in den Fokus rücken. Die bloße Verfügbarkeit digitaler Medien ist noch lange nicht pädagogisch wertvoll. Tablets und Apps allein machen noch keinen guten Unterricht. Es geht um den reflektierten Umgang mit digitalen Medien. Den bloßen Umgang mit diesen Medien muss man den jungen Leuten bestimmt nicht beibringen. Vielmehr kommt es darauf an, die Möglichkeiten medienpädagogisch klug zu nutzen, gerade auch in Verbindung mit traditionellen Medien. Im Fachjargon nennen wir das dann Profilqualifikation in Medienbildung und Digitalisierung in der Lehrerbildung. Und nicht vergessen: Das wichtigste Medium für Lernen in der Schule ist immer noch die Lehrerin und der Lehrer.

Auch Inklusion ist so ein Themenfeld, das immer wichtiger wird: Lehramtsstudenten sollen schon im Studium lernen, mit dem Spannungsverhältnis aus Förderung und Ressourcen umzugehen – denn auch der kompetenteste Lehrer verfügt nur über begrenzte Ressourcen: Zeit, pädagogische und didaktische Kreativität… Kein Lehrer kann sich 24 Stunden am Tag überlegen, was er morgen macht. Wir helfen Lehramtsstudenten, zu reflektieren, Spannungsverhältnisse zu lösen und mit der Vielfalt von Lernvoraussetzungen umgehen. Der Erfolg von Inklusion entscheidet sich im Klassenzimmer und da müssen sich Lehrer und Lehrerinnen auch situativ auf eine dynamische Vielfalt an Lernvoraussetzungen einstellen. Es gibt bereits viele Angebote der LMU wie zum Beispiel das Projekt Psych.e, das bereits im Erkennen von Symptomen von besonderem Lernbedarf ansetzt.

Das klingt nach vielen Kompetenzen und Fähigkeiten, die sich ein Lehramtsstudent aneignen muss – kann die Lehrerbildung das überhaupt leisten? Auch eine gute Lehrerbildung kann nicht garantieren, nur gute Lehrer hervorbringen. Aber wir können an den Stellschrauben drehen und Zusatzangebote schaffen. Wir wollen keine „Unterrichtsbeamten“ ausbilden, die den Unterricht lehrplanmäßig abspulen, sondern Lehrer mit pädagogischem Drive, die Verstehen fördern und Begeisterung wecken. Dafür müssen sie sehr fachkompetent sein und das geht nur, wenn in der Lehrerbildung kontinuierlich tieferes sowie breiteres Verstehen ermöglicht wird. Nur, wer fachlich exzellent ist, kann zum Beispiel Aktuelles in der 6. und in der 12. Klasse adäquat einbetten. Da reicht es nicht, sich nur am Schulbuch zu orientieren und Gedanken zu reproduzieren. Pädagogische Kreativität ist gefragt, und die muss in der Lehrerbildung exemplarisch immer wieder herausgefordert werden.

Die Lehramts-Absolventinnen und –Absolventen der LMU sollen also… …dauerhaft eine starke Lehrerpersönlichkeit ausstrahlen und exzellente Fachlichkeit und Didaktik kombinieren können; dynamisch und lernfähig sein und bleiben. Die Anforderungen an Schulen ändern sich, denn die Gesellschaft ist dynamisch. Und die Lehrer müssen es also auch sein – genauso wie die Lehrerbildung.

Professor Joachim Kahlert ist Ordinarius für Grundschulpädagogik und Didaktik an der LMU. Seit 2009 leitet er zudem das Münchener Zentrum für Lehrerbildung.

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