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Der Sprache in die Seele geschaut

14.12.2023

Slavistin Barbara Sonnenhauser, neuberufen an der LMU, ist Expertin für Sprachwandel und Mehrsprachigkeit.

Prof. Barbara Sonnenhauser sitzt an einem Tisch in einer Bibliothek vor einer Bücherwand

Slavistin Prof. Barbara Sonnenhauser

untersucht, wie sich sprachliche Merkmale verbreitet haben, und was dazu geführt hat. | © Stephan Höck/LMU

Sprache ist verräterisch. Tagtäglich genutzt, transportiert sie mehr, als ihre Sprecherinnen und Sprecher ahnen. Deren Wortwahl oder die Struktur ihrer Sätze sind für Sprachforschende Spuren in die Vergangenheit. „Sprache wird von Generation zu Generation weitergegeben“, sagt Barbara Sonnenhauser. „Mich interessiert, wie sie mit der Geschichte der Sprecherinnen und Sprecher verankert ist. Wie haben sich sprachliche Merkmale verbreitet? Wer sprach wann mit wem, warum und wie? Welche externen Einflüsse gab es?“ Diese Fragen führen die Slavistin von der Analyse sprachlicher Merkmale hin zu sozioökonomischen und geschichtlichen Begebenheiten, die ihr Erklärungen liefern können. „Bestimmte politische Konstellationen können es zum Beispiel überhaupt erst möglich gemacht haben, dass Sprecher miteinander in Kontakt kamen, weil sie Handel betrieben haben oder in bestimmte Verwaltungsstrukturen integriert waren.“

Barbara Sonnenhauser ist seit April 2023 Lehrstuhlinhaberin für Slavische Philologie an der Fakultät für Sprach- und Literaturwissenschaften. Ihr Ruf an die LMU hat die Altöttingerin an den Ort ihres Studiums zurückgebracht. Sie hat an der LMU Ende der 1990er-Jahre Slavistik, ost- und südosteuropäische Geschichte und Turkologie studiert. „So ist mein Interesse an Südosteuropa entstanden und an allem, was dort sprachlich und kulturell passiert.“

Barbara Sonnenhauser ist diesem Interesse gefolgt. „Dann haben sich Türen aufgetan“, wie sie rückblickend sagt: die Promotion an der Universität Leipzig und, wieder zurück in München, die Habilitation. Anschließend hat sie an der Universität Wien gelehrt und geforscht, bis sie an die Universität Zürich wechselte.

Migration als Treiber für Sprachwandel

In mehreren Forschungsprojekten widmete sich Barbara Sonnenhauser den slavischen Varietäten auf dem Balkan. „Hier gibt es viele Sprachen, die relativ unslavisch sind. Das lässt sich mit Blick auf die Geschichte erklären: Es gab vielfältige Kontakte zum Griechischen und Albanischen sowie zu romanischen Sprachen. Die Sprachen haben sich dadurch ein bisschen angenähert, sodass es über diese Sprachfamilien hinweg heute ähnliche Strukturen gibt.“

Auch Mehrsprachigkeit ist einer ihrer Forschungsschwerpunkte. So untersuchte sie in einem Projektteam der Universität Zürich und der LMU zum Beispiel, wie das Albanische, das keine slavische Sprache ist, als Herkunftssprache heute von Menschen verwendet wird, die nach Deutschland und in die Schweiz migriert sind, und wie sich dies über die Generationen ändert. „Migration ist ein Treiber für Sprachwandel. Menschen nehmen ihre Sprache mit und verwenden sie in neuen Kontexten.“ Studien wie diese erlauben den Forschenden zum einen grundsätzliche Einblicke, was passiert, wenn Sprechergruppen wandern. Zum anderen erlangen sie Erkenntnisse über die historischen Dynamiken beim Wandel von Sprachen, für die es keine Sprecherinnen und Sprecher mehr gibt.

Um ihre Forschungsfragen zu beantworten, die sie bis ins 16. Jahrhundert zurückführen, arbeitet Barbara Sonnenhauser mit historischen Manuskripten sowie authentischen Sprecheraufnahmen. Dabei nutzt sie auch die Möglichkeit digitaler Textkorpora, um Merkmale über mehrere Texte hinweg analysieren zu können. Feldforschung zu betreiben, ist aufgrund aktueller politischer Konflikte und unterschiedlicher nationaler Interessen mitunter nicht einfach. Umso wichtiger findet es Barbara Sonnenhauser, sich mit den slavischen Sprachen und ihren Dynamiken zu beschäftigen. So lassen sich reinen Behauptungen wissenschaftliche Erkenntnisse gegenüberstellen.

Vielfalt der Slavistik und der Philologien

Auf die Frage, was sie dazu bewogen hat, zurück an die LMU zu kommen, sagt Barbara Sonnenhauser sofort: „die Slavistik“. „München hat eine der größten und spannendsten Slavistiken, die es gibt, wo auch die Sprachwissenschaft ihren Platz hat. Hier sind fast alle slavischen Sprachen zumindest als Lehrauftrag vertreten, sodass man sie auch im Unterricht einsetzen kann, weil Studierende die Möglichkeit haben, einen Kurs zu belegen und hineinzuschnuppern.“ Bei Barbara Sonnenhauser war das während des Studiums das Slovenische, „eine ganz spannende slavische Sprache, weil sie relativ untypisch ist“. „Die LMU ist eine der wenigen Unis, wo das möglich ist.“

Begeistert ist Barbara Sonnenhauser auch von der „Vielfalt an Philologien an der LMU“, die ihr viele Anknüpfungspunkte eröffnen. „Die slavischen Sprachen sind nicht in einem Vakuum. Sie haben eine lange Geschichte, die mit Westeurasien verbunden ist und auch mit Nordeuropa. Wenn einen das interessiert, braucht es eine breitere Einbettung und die kann man an der LMU finden. Bei uns an der Fakultät gibt es zum Beispiel Albanologie und Finnougristik. Wo gibt es das sonst?“

Publikation

Barbara Sonnenhauser u.a.: Pairing peers and pears. In: Language Dynamics and Change 2023

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