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Die entscheidenden Fragen stellen

03.09.2019

Alexander Bartelt forscht über die Stoffwechselvorgänge im braunen Fettgewebe. Nun wurde der LMU-Forscher mit einem ERC-Grant ausgezeichnet.

Portrait von Professor Dr. Alexander Bartelt

© privat

Auf dem Fenstersims über dem Schreibtisch steht eine stahlblaue Alu-Bierflasche, Bud Light ist darauf in großen weißen Buchstaben zu lesen. Daneben liegen fünf noch originalverpackte Hot-Wheels Autos, Spielzeugnachbildungen amerikanischer Fahrzeuge. Wer Alexander Bartelt besucht, spürt schnell, dass er prägende Jahre in den USA verbracht hat. Im Gespräch am Institut für Prophylaxe und Epidemiologie der Kreislaufkrankheiten (IPEK) der LMU erzählt der Biochemiker von einem Meeting Jahre zuvor an der renommierten Universität Harvard, als er als junger deutscher Doktorand aus Hamburg den Forschern dort seine Arbeit über braunes Fettgewebe vorstellte. Es ging um den Fettstoffwechsel in Verbindung mit einem gängigen Atherosklerose-Modell. Die Begeisterung für seine Ergebnisse sei mäßig gewesen, so Bartelt. Die Wissenschaftler hätten ihm kritische Fragen gestellt und sehr viele Vorschläge gemacht. Dennoch sagt er rückblickend: „Es war ein Schlüsselmoment in meiner Laufbahn. Die amerikanischen Kollegen sagten: Stell die großen Fragen!“

Für Alexander Bartelt hat sich dieser Denkanstoß ausgezahlt. Er wurde seither für seine Forschung vielfach ausgezeichnet. Gerade erhielt er einen ERC Starting Grant für sein Forschungsprojekt „Proteofit“ des Europäischen Forschungsrats. Mit den renommierten Grants zeichnet der Europäische Forschungsrat (ERC) junge Nachwuchsforscherinnen und -forscher aus. Die Projektförderung zählt zu den renommiertesten Forschungsförderungen in Europa.

Suche nach Schlüsselmechanismen

Bartelt begann an dem für ihn so wichtigen Nachmittag in Harvard, die Art zu überdenken, wie man an ein wissenschaftliches Thema herangeht. „Ich musste meine Komfortzone verlassen.“ Bartelt begann, nach Schlüsselmechanismen im menschlichen Stoffwechsel zu suchen, „es ist neben Krebs eines der großen Felder in der Medizin, in dem man etwas bewirken kann. Wissenschaftliche Erkenntnisse kommen hier sehr vielen Menschen zugute.“ Er blieb zwar der Forschung über das braune Fettgewebe treu, stellt aber nun die grundsätzliche Frage: Wie kommen Lipide eigentlich ins Fettgewebe? „Das war damals unbekannt“, sagt Bartelt ­ bis es ihm gelang, die molekularen Vorgänge zu rekonstruieren, er wurde zum Experten für braunes Fett. Jahre später, Bartelt war zwischenzeitlich fünf Jahre an der Harvard School of Public Health in Boston, kam der Biochemiker an den LMU-Lehrstuhl von Christian Weber nach München und gründete eine eigene Nachwuchsgruppe. „Selber eine Gruppe zu leiten, ist für einen jungen Forscher ein wichtiger Schritt“, sagt Bartelt. Am Münchner IPEK erforscht er seit vergangenem Jahr die molekularen Grundlagen von Krankheiten wie Atherosklerose, Diabetes und Fettleibigkeit.

Zwei große Projekte betreut Bartelt dabei, eine Nachwuchsgruppe zur Stressbewältigung im Herz und das ambitionierte ERC-Projekt „Proteofit“, hier untersucht er die Rolle der Muskeln bei Stoffwechselprozessen auf molekularer Ebene. Beide Projekte, so unterschiedlich sie auf den ersten Blick scheinen mögen, haben mit der Rolle eines wichtigen Transkriptionsfaktors zu tun. Nfe2l1, so nennen ihn die Forscher, ist zentral für die Anpassung von Stoffwechselprozessen im Körper – und zwar an ganz verschiedenen Orten im Körper: in Muskelzellen, in Zellen des braunen Fettgewebes und im Herzen. Er ist offenbar ein Schlüsselfaktor, wenn es darum geht, Zellen vor Stoffwechselstress zu schützen.

Noch in Harvard hatte Bartelt einen bis dahin unbekannten Mechanismus im braunen Fettgewebe entdeckt, der vor allem für den Abbau von Proteinmüll zuständig ist und bei dem Nfe2l1 eine zentrale Rolle spielte. „Evolutionär betrachtet ist es ein sehr altes Molekül, das es in einfacher Form schon in Würmern gibt, wo es das Altern beeinflusst“, erklärt Bartelt. Bei Menschen hat es sich im Lauf der Evolution in drei Varianten aufgespalten, die sich unterschiedliche Aufgaben teilen.

Die Variante Nfe2l1 könnte für Bartelt zu einem zentralen Thema seines Forscherlebens werden und ihm bei der Beantwortung wirklich großer Fragen helfen, von denen die Harvard-Kollegen einst gesprochen hatten. Denn Nfe2l1 findet sich im Körper an für den Stoffwechsel wichtigen Stellen gehäuft, im braunen Fettgewebe, in Skelettmuskeln und im Herzen. „Diese Bereiche im Körper sind interessanterweise entwicklungsbiologisch sehr eng miteinander verwandt“, sagt Bartelt. „Braunes Fettgewebe und Skelettmuskeln haben ähnliche Vorläuferzellen.“

Möglicherweise könnte das erklären, warum sportliche Aktivitäten, also Bewegung von Muskeln, einen positiven Einfluss auf den Stoffwechsel haben. Es ist eine erste Spur, die genauen Abläufe auf molekularer Ebene, wenn man regelmäßig joggen geht oder nur mal kurz hinter einem Bus her sprintet, seien noch nicht verstanden, so Bartelt. „Wir wollen jetzt nach molekularen Schaltern in Skelettmuskeln suchen, immerhin bestehen daraus gut 60 Prozent unseres Körpers.“

Die molekularen Abläufe verstehen lernen

Dafür muss der 36-Jährige nun auf die molekulare Ebene gehen und sich experimentelle Szenarien für das jeweilige Gewebe mit seinen spezifischen Aufgaben überlegen. Um die Vorgänge in Skelettmuskeln besser zu verstehen, lässt Bartelt etwa Mäuse auf Laufbändern laufen, misst ihren Sauerstoffverbrauch und zieht so Rückschlüsse auf den Fitness-Zustand. Diese Tests kombiniert er mit genetischen Modellen. Ziel ist es immer, am Ende auf der Proteinebene zu schauen, was Nfe2l1 bei all diesen Aktivitäten bewirkt.

Im Fokus der molekularen Vorgänge steht dabei ein höchst sensibler Bereich der jeweiligen Zelle, das sogenannte Endoplasmatische Retikulum (ER). In diesem Membrannetzwerk ist der Transkriptionsfaktor Nfe2l1 angesiedelt. Es ist eine Art zentrale Plattform und Schaltstelle der Zelle und reguliert den Stoffwechsel. Dort findet der wichtige Stoffaustausch statt, dort wird gemessen, wie es den Proteinen geht, ob genügend Fette und Kohlenhydrate vorhanden sind und ob von der Zelle dagegen gesteuert werden muss. Anders gesagt: Das Endoplasmatische Retikulum ist wie ein Dirigent des überaus komplex organisierten Stoffwechsels.

Gleichzeitig schützt es – und hier kommt Nfe2l1 ins Spiel – im Normalfall auch die jeweiligen Zellen. Proteine in Zellen müssen entsorgt werden, wenn sie beschädigt sind oder das Ende ihrer Lebensdauer erreicht haben. Dafür hat die Evolution Mechanismen entwickelt. Die beschädigten Proteine werden markiert und einer Art Mülleimer zugeführt, dem sogenannten Proteasom, einem großen Eiweißkomplex, der Proteine kleinhäckseln kann, also abbaut und entsorgt. „Nfe2l1 steuert die Aktivität des Proteasoms“, sagt Bartelt. „Es ist also für Proteinqualitätskontrolle zuständig.“

Sein Ziel ist es nun herauszufinden, wie genau diese Steuerung unter bestimmten Umwelteinflüssen funktioniert. „Die Forschung über die Funktionsweise des Transkriptionsfaktors sowohl im Muskel wie im Herzen ist komplettes Neuland“, sagt Bartelt.

Der Biochemiker muss sich dafür bestimmte Szenarien überlegen, die er testet. Im Herz geht es beispielsweise darum, wie der Faktor das Organ bei Stress schützt, etwa bei einem Herzinfarkt. „Nfe2l1 spielt vermutlich für den Schutz vor Herzerkrankungen eine wichtige Rolle“, sagt Bartelt. Er will daher auf molekularer Ebene zunächst im Tiermodell untersuchen, wie Nfe2l1 im Endoplasmatischen Retikulum Herzmuskelzellen vor toxischen Effekten schützt.

Auch in anderen Umgebungen im Körper gibt es solche Stressreaktionen. So untersuchen Forscher, was passiert, wenn wie bei Fettleibigkeit dauerhaft zu viel Nährstoffe wie eben Fett, Zucker oder Kohlenhydrate zur Verfügung stehen, wie dadurch das homöostatische Gleichgewicht gestört wird. Das grundsätzliche Problem bei Übergewicht ist, dass das Fettgewebe sozusagen überläuft und plötzlich alle anderen Organe mit sehr viel mehr Fett zu tun haben, als es bei Normalgewicht der Fall wäre. „Auch das erzeugt Stress“, sagt Bartelt. Er sucht nach Molekülen, die in solchen Fällen eine gewisse Stressresistenz erzeugen. „Daraus können sich mögliche Strategien für die Arzneimittelforschung ergeben“, sagt Bartelt. Auch als Grundlagenforscher verliert er mögliche Anwendungen nicht aus den Augen.

Wie überhaupt sein Blick auf die Menschen, die später einmal von seiner Forschung profitieren könnten, für Bartelt wichtig ist. „Ich finde es auch als Forscher wichtig, wissenschaftliche Erkenntnisse allgemeinverständlich erklären zu können“, sagt Bartelt. Er sitze gerade an einem populärwissenschaftlichen Buch, in dem er seine Erkenntnisse zum Fettstoffwechsel aufschreibe. „Der Fettversteher“ soll es heißen. „Das Fettgewebe ist die größte Drüse des Menschen, es produziert eine ganze Batterie an Hormonen, die unser Verhalten, die Fortpflanzung und unseren Energieumsatz steuern“, sagt Bartelt. Letztlich werden sich darin auch Geschichten über die „großen Fragen“ finden, die Kollegen vor ihm gestellt haben und die der Antrieb für seine Forschung sind. (Hubert Filser)

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