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"Die ganze Welt befindet sich in der gleichen Situation"

08.06.2020

Zu Ausbruch der Covid-19 Krise befanden sich zahlreiche LMU-Studierende im Auslandssemester. Drei Studentinnen erzählen von ihren Erfahrungen.

Raffaella Rettinger war bereits im Auslandssemester in Osaka, als Covid-19 ausbrach.

Derzeit spürt Nicola Hillmer vom International Office der LMU eine große Verunsicherung unter den Studierenden, die im kommenden Wintersemester einen Auslandsaufenthalt geplant hatten. Gehen sie ins Ausland oder bleiben sie lieber in München? Keine einfache Entscheidung.

„Noch ist bei vielen Universitäten nicht klar, ob das Wintersemester mit Präsenzunterricht, mit Blended Learning, komplett online oder überhaupt stattfindet. Viele Studierende versuchen, den Auslandsaufenthalt auf das Sommersemester 2021 zu verschieben“, berichtet Hillmer. Auch die meisten Partnerhochschulen in Hong Kong, Kanada und USA hätten das kommende Wintersemester wegen Corona für Austauschstudierende bereits abgesagt; viele Universitäten in anderen Ländern seien gerade in der Entscheidungsphase, so Hillmer.

Die 627 Studierenden, die sich zu Ausbruch der Covid-19 Pandemie im Ausland befanden, hatten im Gegensatz zu ihren Kommilitonen in München nicht die Wahl. Viele entschieden sich, ihren Auslandsaufenthalt abzubrechen oder von Deutschland aus weiter am E-Learning ihrer Hochschule im Ausland teilzunehmen. Mittlerweile sind manche an ihre Gastuniversität zurückgekehrt.

Einige allerdings beschlossen, die gesamte Zeit im Ausland auszuharren. Drei Studentinnen berichten, warum sie beschlossen haben zu bleiben, wie es ihnen in den letzten Wochen ergangen ist und welche Erfahrungen sie in dieser Zeit gesammelt haben.

„Besonders gefreut habe ich mich über den Zusammenhalt“

Lisa ist 23 und studiert im Master Film- und Medienkultur-Forschung. Der Plan für ihr Erasmus-Semester in Bologna: Internationale Kontakte knüpfen, ihr Italienisch verbessern und Italien erkunden.

“So hast du dir dein Auslandssemester bestimmt nicht vorgestellt!” ist ein Satz, den ich schon mehrmals gehört habe. Tatsächlich hatte ich eine relativ präzise Idee, wie ich mein Sommersemester in Bologna verbringen möchte: Italienischkenntnisse auffrischen, meinen italienischen Wurzeln wieder etwas näherkommen und das Land erkunden. Das alles fiel flach - bis vor ein paar Tagen war es uns sogar verboten, spazieren zu gehen, das Haus durfte nur mit triftigem Grund verlassen werden. Und obwohl ich im Master Film- und Medienkultur-Forschung studiere und so zwangsläufig viel Zeit hatte, mir Filme anzusehen, ist mir doch recht schnell die Decke auf den Kopf gefallen und mein Laptop leid geworden.

Zwei Wochen nachdem das Semester begonnen hatte, brach die Corona-Pandemie aus. Mehrere Wochen wusste ich nicht, wie es mit meinem Erasmus-Semester weitergehen soll – aber seit dem 9. März besuche ich wieder Vorlesungen - online. Besonders gefreut habe ich mich über den Zusammenhalt, nicht nur unter den Studierenden, sondern auch von Seiten der Dozierenden, die ihre Deadlines und Anforderungen mit uns abgesprochen und die psychische Belastung der Gesamtsituation auch mit einbezogen haben.

In Italien zu bleiben war keine leichtfertige Entscheidung, doch da ich meine eigene Wohnung derzeit untervermiete und nicht über mehrere Monate couchsurfen wollte oder das Risiko für meine Mutter - durch Chemotherapie stärker gefährdet - erhöhen wollte, habe ich mich nach langem und gründlichem Überlegen dazu entschlossen, fürs Erste in Italien auszuharren.

Ich habe großes Glück, dass ich bei einer italienischen Gastfamilie untergekommen bin, denn obwohl ich Italienisch spreche, sind die Nachrichten teilweise zu schnell oder voll von Fachvokabular und die ministeriellen Dekrete nicht leicht zu verstehen. Vor kurzem haben Geschäfte und Restaurants unter strengen Auflagen wieder ihren Türen geöffnet und das (derzeit) neueste Dekret vom 15. Mai erlaubt das Reisen in ganz Italien sowie Aus- und Einreisen ab dem 03. Juni. Bis dahin werde ich mir nun überlegen, ob ich Italien erkunden möchte oder wieder heimkomme – was natürlich auch von den Entscheidungen im Bundestag abhängt.

„Ich habe mich meinen „fremden“ Nachbarn sehr nah gefühlt“

Konstantina Loulli, 24 Jahre alt, kommt aus Zypern und studiert „Interkulturelle Kommunikation“ im Master an der LMU. Seit Mitte Februar ist sie für ihr Erasmus-Semester in Madrid.

„Am 14. März hat hier die komplette Ausgangssperre angefangen - genau einen Monat, nachdem ich angekommen war. Jeden Abend um 20 Uhr waren wir am Fenster, um einen Applaus für Pflegekräfte zu geben. So habe ich mich meinen “fremden” Nachbarn sehr nah gefühlt. Ich weiß nicht wie sie heißen, aber wir begrüßen uns jeden Abend und fragen uns gegenseitig, ob alles noch in Ordnung sind. Wir haben Geburtstage verschiedener Altersgruppen gefeiert, Musik gespielt, Lieder sehr laut gesungen, Essen getauscht und vieles andere. Ich habe eine starke Solidarität gespürt und das hat mir jeden Abend sehr viel Freude gemacht.

Die Tatsache, dass ich nicht alleine sondern in einer WG wohne, hat dazu beigetragen, dass ich immer noch in Madrid bin. Anfangs waren wir sechs StudentInnen aus vier Ländern, sind aber jetzt nur noch zu zweit. Die Anderen sind schon am Anfang der Situation nach Hause geflogen. Aber mir war das zu riskant wegen der Gefahr, das Virus zu bekommen oder noch schlimmer, es mit nach Hause zu bringen. Ich und meine italienische Mitbewohnerin haben uns zum Glück schon vor der Ausgangssperre gut verstanden und jetzt, nach zwei Monaten, sind wir sehr gute Freundinnen geworden.

Am Anfang dachte ich, dass ich aus Langeweile sterben werde und ich Zeit “verliere”. Da aber meine Universität ganz normal weitergelaufen ist, hatte ich eine Beschäftigung. Seit letzter Woche darf man Spaziergänge oder Sport draußen machen – davor durfte man nur zum Supermarkt und zur Apotheke zu gehen. Ich habe das Glück, neben einem sehr großen Park zu wohnen, das macht meine Spaziergänge schöner. Wir dürfen nur von 6:00 bis 10:00 Uhr und von 20:00 bis 23:00 Uhr rausgehen, aber das ist natürlich besser als früher. Ich glaube, dass man Madrid auch zu Fuß entdecken kann und möchte bald verschiedene Sehenswürdigkeiten, die nicht in geschlossenen Gebäuden sind, besuchen.

Im Großen und Ganzen geht es mir ganz gut und ich glaube, ich verbringe meine Zeit sehr produktiv und kreativ. Natürlich hatte ich auch schwierige Momente und Stimmungsschwankungen, aber das ist meiner Meinung nach normal. Dies wäre auch der Fall gewesen, wäre ich jetzt nicht in Madrid. Denn die ganze Welt befindet sich in der gleichen Situation.

„Der Gedanke, zurückzukehren, ist mir nie gekommen“

Raffaela studiert Sinologie im Master und ist nun das zweite Semester in Japan an der Universität von Osaka.

„Ich habe mich bewusst entschieden zu bleiben, weil ich die Chance, im Ausland zu leben und zu studieren voll auskosten wollte, unabhängig von den Bedingungen. Um ehrlich zu sein, halte ich die Situation in Japan für besser als in Deutschland. Zudem wartet in Deutschland „nur“ meine Masterarbeit auf mich, wofür ich eine funktionierende Uni-Infrastruktur, vor allem die Bibliotheken, brauche. Deswegen halte ich es für sinnvoller, weiter an meinen Japanisch Kenntnissen zu arbeiten und hier ein paar Kurse zu belegen.

Japan hat erst relativ spät den Notstand ausgerufen. Allerdings waren die Leute schon vorher vorsichtiger und rücksichtsvoller, haben Masken getragen und sind zuhause geblieben. Natürlich waren trotzdem noch viele Menschen unterwegs, vor allem um im März Sakura, die Kirschblüte, zu bestaunen. Nachdem der Notstand ausgerufen wurde, ist es gespenstisch leer geworden in Osaka und auch auf unserem Campus, der normalerweise immer voller Studierender ist, die entweder lernen, einen Kaffee trinken oder ihren Club-Aktivitäten nachgehen.

Überraschenderweise kann ich mein Studium gut verfolgen. Manche Kurse funktionieren gut online, andere leiden unter dem neuen Format, aber ich lerne trotzdem viel. Wenn ich nicht lerne, oder Arbeiten schreibe, lese ich, schaue Filme, mache Sport in meinem Zimmer oder gehe spazieren und bergsteigen - das ist alleine und mit angebrachtem Abstand noch erlaubt.

Da ich in einem Wohnheim wohne, habe ich guten Anschluss zu internationalen- und auch lokalen Studierenden und Freunden. Ich muss sagen, mir geht es verhältnismäßig gut. Einige Freunde vor Ort haben überlegt zurück zu kehren, aber der Gedanke ist mir nie gekommen. Ich bin inzwischen gut darin, mich selbst zu beschäftigen und da ich noch Freunde um mich habe und regelmäßig rauskomme, ist die Situation zwar merkwürdig und ich vermisse vor allem den vollen Campus und die Ausflüge in die Innenstadt von Osaka, aber man kann es gut aushalten. Außerdem ist jetzt, da der Notstand am 21.05. aufgehoben wurde, wieder Zeit zum Durchatmen. Und wenn alles gut läuft, komme ich am Ende meines Semesters auch doch noch dazu, ein wenig zu reisen.

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