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„Die Kirche ist ja keine Insel“

31.05.2017

Welchen Ort haben Nichtchristen im Kirchenrecht? Der LMU-Wissenschaftler Burkhard Berkmann hat eine Bestandsaufnahme gemacht – einer Ordnung zwischen religiöser Vielfalt und dem Schutz des Religionsfriedens.

Welche Aufgaben hat das Recht der katholischen Kirche?Berkmann: Als eine weltweite Organisation braucht die katholische Kirche ihre eigene interne Ordnung. Das Kanonische Recht ist eine Rechtsordnung, ähnlich wie es auch staatliche Rechtsordnungen gibt. Sie hat aber ihre Besonderheiten, die nicht zuletzt im theologischen Wesen der Kirche begründet sind. Die Verkündigung des Evangeliums, der christlichen Botschaft und damit auch die Grundvollzüge der Kirche, etwa Gottesdienst, Liturgie, Sakramentenspendung sind darin geregelt. Sie betrifft also in erster Linie die Katholiken, aber eben nicht nur. Die Kirche ist ja keine Insel, sondern lebt inmitten der Welt. Und so regelt das Kanonische Recht auch diese Außenbezüge der Kirche, es gibt vor, wie die Kirche ihre Beziehungen zu den Menschen anderen Glaubens gestaltet. Genau das habe ich untersucht. Die Frage der religiösen weltanschaulichen Diversität stellt sich ja in unserer Gesellschaft immer schärfer – eine große Herausforderung für den Staat und das staatliche, aber eben auch für das kirchliche Recht. Und so sehe ich meine Forschung als einen Beitrag aus binnenkatholischer Sicht zu der Frage, wie sich das interreligiöse Zusammenleben rechtlich sinnvoll und friedlich gestalten lässt.

Sie deklinieren in Ihrer Arbeit alle Rechtsgebiete durch, in denen der Umgang mit Nichtchristen eine Rolle spielt. Berkmann: Ja, ich versuche in der Tat alle Gebiete des Kirchenrechts durchzuforsten und abzuklopfen. Als ich zu Beginn mit Bekannten und Freunden mein Thema besprochen habe, meinten sie, dazu gäbe es nicht viel zu sagen. Aber wenn man genau hinschaut, gibt es eben in allen Rechtsgebieten etwas zu sagen. Deswegen ist die Arbeit auch fast 1000 Seiten stark geworden. Nichtchristen können in fast allen Rechtsgebieten Rechte und Pflichten haben. Das lässt sich empirisch nachweisen. Und die Schlussfolgerung daraus ist, dass sie tatsächlich Rechtssubjekte im Kirchenrecht sind, dass das Kirchenrecht sie als Rechtssubjekte wahrnimmt und sie deswegen auch als solche behandelt werden müssen.

Wie kann das bei Normen, die immerhin Rechtscharakter beanspruchen, überhaupt in Frage stehen. Berkmann: In der Tat wird das Kirchenrecht oft ausschließlich als interne Ordnung der Kirche gesehen, die eben ausschließlich Katholiken betrifft und darüber hinaus keine Bedeutung hat. Aber um es klar zu sagen: Das ist nicht der Fall. Die Rechtssubjektivität aller Menschen ist theologisch begründbar. Dies hat die Kirche getan und es auch in ihrer Verkündigung immer betont. Ein Teil des Kirchenrechts regelt die kirchliche Struktur, die Gestalt und Aufgaben ihrer Einrichtungen und Leitungsämter. So haben die Leitungsämter ganz klar auch Aufgaben gegenüber Nichtchristen wahrzunehmen. Der interreligiöse Dialog wird zur Pflicht gemacht. Er ist nicht einfach ein Luxus, den man nach Belieben verweigern kann, sondern ein kirchlicher Auftrag.

Es gibt aber Fälle, in denen es nicht so klar ist? Berkmann: Die Eheschließung ist kirchenrechtlich geregelt. Wenn Katholiken Ehen mit Nichtchristen schließen, stellen sich besondere Fragen, die auch mit Schwierigkeiten behaftet sein können oder zumindest zunächst einmal geklärt werden müssen. Deswegen bindet das Kirchenrecht solche interreligiösen Eheschließungen an bestimmte Voraussetzungen, die in den letzten Jahrzehnten schrittweise auch gelockert wurden. Das Zweite Vatikanische Konzil zwischen 1962 und 1965, das eine neue Sicht auf die Nichtchristen und die nichtchristlichen Religionen gebracht hat, war die theologische Grundlage dafür, dass auch die Rechtsnormen nach und nach verändert werden konnten. Für eine bahnbrechende Entwicklung halte ich, dass die kirchliche Eheprozessordnung von 2005 vorsieht, dass bei interreligiösen Ehen auch das Recht angewandt wird, das für den nichtchristlichen Partner gilt. Der kirchliche Richter wendet also nicht allein katholisches Eherecht an, sondern unter Umständen staatliches Eherecht oder das Eherecht der entsprechenden Religionsgemeinschaft.

Ein weiteres Rechtsbeispiel, das Sie in Ihrem Buch nennen: Eine Grundschule in kirchlicher Trägerschaft hat einen nicht unerheblichen Anteil muslimischer Schüler. Was sagt das Kirchenrecht da? Berkmann: Erst einmal ist interessant festzuhalten, dass katholische Schulen auch nichtkatholische Schüler aufnehmen können und es auch tatsächlich tun. Katholische Schulen bieten also kein elitäres Umfeld, in dem Katholiken unter sich sind. Sondern gerade hier wird auch religiöses Miteinander gelernt. Und es gibt viele Teile der Welt, wo sie sogar hauptsächlich andere Schüler aufnehmen, je nach Bevölkerungszusammensetzung. Dann stellt sich natürlich in der Praxis die Frage, wie geht man damit konkret um? Was ist, wenn es eine Schulküche gibt und da Speisevorschriften zu berücksichtigen sind? Oder wie ist das mit dem Religionsunterricht? Es ist ein klarer Grundsatz des Kirchenrechts, dass niemand zur Annahme des Glaubens gezwungen werden darf. Das gilt natürlich besonders in Schulen, wo junge Menschen eben ja doch in diese Anstalt eingebunden sind. Es darf also niemandem eine religiöse Lehre aufgezwungen werden. Aber es kann natürlich die Möglichkeit bestehen, am katholischen Religionsunterricht teilzunehmen. Und es ist auch nicht ausgeschlossen, dass Religionsunterricht auch in anderen Religionen angeboten wird. Andererseits sollten Eltern und Schüler, wenn sie sich für eine konfessionelle Schule entscheiden, der katholischen Ausrichtung auch eine gewisse Loyalität entgegenbringen.

Kann eine katholische Schule gezwungen werden, auch anderen als katholischen Religionsunterricht anzubieten? Berkmann: Vom Kirchenrecht her nicht, vom staatlichen Recht her in Deutschland auch nicht.

Sehen Sie Rechtsfälle, in denen sich Gretchen-Fragen für das Kirchenrecht im praktischen Vollzug offenbaren? Berkmann: Eine dieser Fragen ist, ob Kirchen und Gotteshäuser auch für Nichtchristen zur Verfügung gestellt werden können, ob zum Beispiel ein multireligiöses Gebet stattfinden kann. Da gibt es keine dezidierten Normen, aber die bestehenden Normen sagen: Es dürfen Kirchen und Gotteshäuser nicht für unwürdigen Gebrauch zur Verfügung stehen. Seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil allerdings lässt sich nicht mehr von vornherein behaupten, dass das ein unwürdiger Gebrauch wäre. Nach der Vorschrift im kirchlichen Kodex liegt es im Einzelfall im Ermessen des Bischofs beziehungsweise des Generalvikars zu entscheiden, was zugelassen wird und was nicht.

Prof. Dr. Dr. Burkhard Berkmann ist Inhaber des Lehrstuhls für Kirchenrecht, insbesondere für Theologische Grundlegung des Kirchenrechts, allgemeine Normen und Verfassungsrecht sowie für orientalisches Kirchenrecht am Klaus-Mörsdorf-Studium für Kanonistik der LMU. Seine Arbeit Nichtchristen im Recht der katholischen Kirche ist jetzt im LIT-Verlag erschienen.

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