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Die Sekunde Null

05.01.2015

Viatcheslav Mukhanov berechnet, was unmittelbar nach dem Urknall geschah. Der LMU-Physiker ist sicher, dass die Messungen des Weltraumteleskops Planck, die in Kürze veröffentlicht werden, seine Theorie zur Entstehung des Universums bestätigen.

Manchmal kann die Welt ganz einfach sein, dann nämlich, wenn sich komplizierte Rechnungen plötzlich auflösen und nur eine einzige Zahl übrig bleibt. Bei Viatcheslav Mukhanov heißt diese Zahl 0,96 und sie bezeichnet den in der Kosmologie wichtigen Spektralindex. Mukhanov ist Experte für Theoretische Quantenkosmologie, also jemand, der mit komplexen Gleichungen und Berechnungen erklären will, wie das Weltall entstanden ist und warum es sich anfangs so schnell ausgedehnt hat. Immer wieder kreist Mukhanov die Zahl ein, unterstreicht sie, während er bei einem Treffen in seinem Büro seine Theorie skizziert. „Das ist ein experimentell überprüfbarer Wert“, sagt der Lehrstuhlinhaber am Arnold Sommerfeld Center für Theoretische Physik der LMU, „die Zahl ist nicht eben trivial.“

Um zu verstehen, was sie bedeutet, muss man tief in die Materie eintauchen. Dann erfährt man zum einen etwas über die Anfänge des Universums und eine Theorie von Viatcheslav Mukhanov, die er bereits im Jahr 1981 als Bestandteil des Urknallmodells aufgestellt hat. Es geht darin um sogenannte Quantenfluktuationen und eine Phase extremer Ausdehnung unmittelbar nach der Geburt des Universums, die Inflationsphase. Zum anderen landet man auch direkt im Januar 2015, in Kürze nämlich sollen die Messdaten des Weltraumteleskops Planck zur kosmischen Hintergrundstrahlung veröffentlicht werden; erste Auswertungen kamen bereits im Jahr 2013 heraus. Das ESA-Projekt Planck, an dem mehr als 300 Institute weltweit beteiligt sind, hat dieses Überbleibsel des Urknalls mit bislang unerreichter Genauigkeit vermessen, das so entstehende Bild ist eine Art direkte Fotografie des frühen, zu der Zeit etwa 300.000 Jahre alten Universums. Der Spektralindex, der zu diesem Bild am besten passt, liegt laut Planck bei 0,9585 +/- 0,007. „Das ist genau mein Wert“, sagt Mukhanov. „Besser könnte meine Theorie nicht bestätigt werden.“

Blitzartig ausgedehnt Mukhanov hat bereits 1981 vorausgesagt, warum die Struktur des Universums einerseits auf großen Skalen so gleichförmig ist und wie es andererseits zu den Abweichungen von dieser Gleichförmigkeit kommen konnte, die zur Entstehung von Galaxien, Sternen und Planeten führten. Man kann Mukhanov also einen der Väter der Inflationstheorie nennen. Mit ihr sind im Übrigen auch die Namen anderer international renommierter Physiker verbunden: der Amerikaner Alan Guth etwa, der in Stanford arbeitende Russe Andrei Linde oder der russische Astrophysiker Alexei Starobinski. Die Theorie behauptet, dass sich das Universum unmittelbar nach seiner Geburt extrem schnell ausgedehnt hat. Innerhalb von Sekundenbruchteilen ist es blitzartig um den Faktor 10 hoch 25, was einer Eins mit 25 Nullen entspricht, auseinandergeschnellt. In den letzten 13 Milliarden ist es dann in weit geringerem Tempo auf die heutige gigantische Größe angewachsen.

Mukhanov selbst will den Fokus aber gar nicht so sehr auf die Inflationstheorie legen, er verweist auf seine Idee der Quantenfluktuationen, ohne die sie nicht funktioniere. Nur die Quantenfluktuation kann beobachtbare Details wie die Struktur des Universums mit seinen Sternen, Galaxien und Schwarzen Löchern wirklich erklären. Die Idee sei ihm gekommen, als er über Heisenbergs Unschärferelation nachdachte. Sie sagt, dass sich Ort und Impuls eines Teilchens nicht exakt angeben lassen. Aufgrund der Unschärferelation müssen auch Quanten im frühen Universum einer gewissen Fluktuation unterlegen haben.

„Im Embryo-Universum ist alles angelegt“ Normalerweise würde man diese nicht bemerken, so Mukhanov, doch aufgrund der extrem schnellen Inflation, die den Berechnungen zufolge nach 10 hoch minus 35 Sekunden einsetzte, habe sich die Struktur ins Weltall eingeprägt. Das Strahlungsmuster ist im Prinzip ein direktes Abbild des frühen Universums. Die mikroskopischen Fluktuationen wurden quasi zu makroskopischen Dichteschwankungen. Ohne diesen Mechanismus, dessen genaue Ausprägung und Größenordnung Mukhanov genau berechnet, könnte die Inflationstheorie die Verteilung von Materie im heutigen Universum nicht vorhersagen. Mukhanov hat auch die statistische Form der Fluktuationen beschrieben, sie gehorchen der Gauß-Statistik, für Physiker keine triviale Erkenntnis. Die Theorie stellt auch eine der spektakulärsten Belege der Gesetze der Quantenmechanik auf großen kosmologischen Skalen dar. „Nur aufgrund dieser Quantenfluktuationen sind in der Inflationsphase Dichteunterschiede im großen Maßstab entstanden“, sagt Mukhanov. „300.000 Jahre waren diese Embryonen der Galaxien eingefroren, erst danach begannen sich langsam die ersten Galaxien zu bilden. Die ersten Sekundenbruchteile sind wichtig, um alles Weitere zu verstehen. Im Embryo-Universum ist bereits alles angelegt.“

Mit Ausnahme von Starobinskis Vorhersagen zu Gravitationswellen als Folge der Inflation im frühen Universum verzeichnen viele theoretische Arbeiten der 1980er Jahre, die noch heute als grundlegend gelten, entweder keine physikalisch überprüfbaren Ergebnisse oder haben sich aufgrund der aktuellen Messungen von Planck als falsch erwiesen. Gravitationswellen entstehen immer dann, wenn große Massen und Energien in Bewegung sind, also auch während der Aufblähung im allerfrühesten Zustand des Universums. Mit genaueren Messgeräten könnten sie möglicherweise nachweisbar sein. Für Mukhanov haben experimentell überprüfbare Vorhersagen in Theorien eine große Bedeutung. Der Kosmologe sagt, er sei in seinem Denken stark von großen russischen Physikern wie Andrei Sakharov, dem Erfinder der Wasserstoffbombe, Yakov Zel'dovich, dem Vater der russischen Atombombe, oder dem Nobelpreisträger Vitaly Ginzburg geprägt worden. Von ihnen habe er auch eigenständiges Denken gelernt, als er bei ihnen studierte oder später arbeitete, aber eben auch, worum es in der Physik wirklich gehe. „Alles, was sich nicht in Experimenten überprüfen lässt, ist letztlich keine Physik“, sagt Mukhanov. „Das ist Naturphilosophie oder Theologie. Mich interessiert das nicht.“

Lange gab es in der Kosmologie keine genauen Messdaten, mit denen sich die Physiker auseinandersetzen konnten. „Deswegen war Kosmologie auch lange so spekulativ“, sagt Mukhanov. Einen ersten großen Fortschritt brachte 1993 der Satellit Cobe, ab 1997 dann das Ballonteleskop Boomerang und später die Raumsonden WMAP und eben Planck. Vor allem die Hintergrundstrahlung oder die Polarisation von Wellen konnten die Experimente immer genauer erfassen. Mittlerweile zeichnen sich in der Hintergrundstrahlung zahlreiche Feinstrukturen ab, sie verraten immer detaillierter, was wirklich am Anfang der Welt passierte. Nur so lässt sich rekonstruieren, wie der Embryo unseres Universums wirklich aussah und welche möglicherweise längst verschwundenen Teilchen und Kräfte eine Rolle spielten. Je genauer die Apparate werden, umso besser verstehen Kosmologen, wie sich Teilchen und Strukturen im frühen Universum gebildet haben. Weitere Projekte etwa mit bodengestützten Radioteleskopen sind bereits in Planung, zum Beispiel in der chilenischen Atacama-Wüste.

Staubkörnchen in der Milchstraße Interessant sind dabei die Feinstrukturen, die sich aufgrund der hohen Winkel- und Temperatur-Auflösung zeigen. Einerseits ist nämlich die gemessene Mikrowellenstrahlung in allen Richtungen des Alls unglaublich homogen, sie weicht nur um wenige Bruchteile eines Grad Kelvin von ihrem Wert von 2,7 Kelvin ab. Andererseits gibt es in bestimmten Winkelbereichen des beobachtbaren Universums winzige Temperaturschwankungen, Planck hat hier eine Messgenauigkeit von zwei Mikro-Kelvin. Planck kann auch Phänomene registrieren, beispielsweise Staub in unserer Galaxie. Das mag im ersten Moment nicht spektakulär erscheinen, ist aber doch zur Korrektur bestimmter Experimente sehr wichtig. So hatte im März 2014 die BICEP2-Gruppe unter großer Presseresonanz eine vermeintliche Sensation gemeldet. Das BICEP2-Teleskop auf dem Dach der Amundsen-Scott-Station in der Antarktis misst mit Hilfe von Mikrowellenantennen die Polarisation der kosmischen Hintergrundstrahlung. Die Physiker um den Amerikaner John Kovac meinten, in den Daten der Hintergrundstrahlung nun Gravitationswellen entdeckt zu haben, vermeintliche Urknallsignale, die in der Strahlung eine Art Drehung in der Polarisierung bewirkt hätten. Dieses Polarisierungsmuster wollen die BICEP2-Forscher gemessen haben. Später, bei ihrer Veröffentlichung in Physical Review Letters, ruderten die Physiker zurück und schrieben, dass möglicherweise auch Staubkörnchen in der Milchstraße ein ganz ähnliches Muster hervorrufen könnten. Genau das hat das Planck-Konsortium aufgrund seiner Messungen in einer Zwischenveröffentlichung im Herbst bestätigt. Möglicherweise ist damit das gesamte Signal in den BICEP2-Messungen auf galaktischen Staub zurückzuführen.

Mukhanov hatte schon auf einer Tagung in Moskau im vergangenen Juni erklärt, dass die Ergebnisse von BICEP2 und Planck nicht gleichzeitig stimmen könnten. Diese Frage scheint sich zumindest jetzt geklärt zu haben. „Gravitationswellen kann es trotzdem geben“, sagt der LMU-Wissenschaftler. „Aber unsere Messgeräte sind offenbar doch noch nicht genau genug.“ Doch unabhängig davon, ob ein tatsächlicher Nachweis der Gravitationswellen die Inflationstheorie bestätigt: Die Quantenfluktuation als Teil der Entstehungsgeschichte des Universums hält Mukhanov dank der Ergebnisse von Planck und anderen Experimenten für erwiesen. Im Übrigen, so Mukhanov, greifen auch alle alternativen Modelle, die zu erklären versuchen, was nach dem Urknall geschah, im Wesentlichen auf den Mechanismus der Quantenfluktuation zurück. Hubert Filser

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