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Die Stimme der Flüchtlinge

20.04.2017

Auf der Straße halten ihn viele für einen Flüchtling. Doch Sinksar Ghebremedhin ist gebürtiger Schwabe – und LMU-Student. Aufgeklärt wird das Missverständnis meistens nicht: „Ich fürchte eher, mich in München als Schwabe zu outen, als als Eritreer“, s...

„Nur durch Sprache und Sprachfähigkeit erhalten die meisten Flüchtlinge Zugang zu Bildung und können sich schnell in Deutschland integrieren“, erklärt er. Durch den Verein sollen Flüchtlinge die Möglichkeit bekommen, mit dem Studium zu beginnen oder es fortzusetzen. Auf die Idee zu Students4Refugees kam Sinksar, als er vor zwei Jahren für drei Monate nach Eritrea gereist ist. „Mein Name und ein Teil meiner Kultur stammt von dort“, erklärt der LMU-Medieninformatiker. Ein 30-jähriger Krieg zwischen Äthiopien und Eritrea vertrieb in der Vergangenheit Millionen Menschen aus dem Land – auch seine Eltern. Sein ältester Bruder wurde Anfang der Achtzigerjahre auf der Flucht im Sudan geboren. „Ich kenne zwar die dunklen Seiten des Kriegs und der Flucht nicht“, erzählt der Esslinger. „Doch ich fühle mich durch meine Eltern immer meiner anderen Heimat verbunden.“

Eigentlich wollte Sinksar in Eritrea die Geschichte seiner Familie besser verstehen lernen. Doch vor allem lernte er während eines Praktikums beim Informationsministerium in Asmara gleichaltrige Studierende kennen. „Diese Erfahrung öffnete mir die Augen“, erzählt er. Ohne von der bevorstehenden Flüchtlingskrise zu ahnen, beschloss Sinksar: „Sobald ich wieder in Deutschland bin, will ich etwas verändern.“ Wieder unter weiß-blauem Himmel half er in der Münchner Bayernkaserne als Dolmetscher für Englisch beziehungsweise Tigrinja und begleitete Menschen zu Ämtern, Ärzten und in der Freizeit.

Die Erlebnisse mit der immer größer werdenden Zahl von Flüchtlingen prägten ihn: Unter den Asylbewerbern waren viele Studierende. „Das sind doch verschenkte Talente“, dachte er sich damals. Wenn sie weiterstudieren könnten, könnten sie als Multiplikatoren auch anderen den Einstieg erleichtern. Also entwarf er zusammen mit seinem Freund Phi Tran ein Konzept und schickte dies an Münchner Hochschulen, um sie von der Notwendigkeit von Deutschkursen zu überzeugen – mit Erfolg.

Urlaubssemester fürs Engagement Im Winter 2015 erstellten 25 ehrenamtliche Lehrkräfte unterschiedlicher Fachrichtungen des Vereins gemeinsam mit dem Institut für Deutsch als Fremdsprache der LMU einen Lehrplan – die Hochschule München stellte die Räume. LMU-Mitarbeiterin Julia Blanco coacht seitdem die vier Lehrteams. Diese wiederum unterrichten und betreuen jeweils rund zehn Flüchtlinge. Neben der Vermittlung der Sprache sollen auch die deutsche Kultur und Lebensweise vermittelt werden. „Beides sind zentrale Bestandteile für eine Eingliederung in die Gesellschaft“, erklärt Sinksar. Unterstützung erhält das Projekt neben dem DaF-Institut aus den Sozialwissenschaften, der Interkulturellen Kommunikation und karitativen Einrichtungen.

Mit einem hatte Sinksar allerdings nicht gerechnet: wie aufwendig das Projekt ist. Denn die Suche nach Flüchtlingen, die in München bleiben durften und auch eine Hochschulreife nachweisen konnten, stellte sich als schwierig heraus. Hinzu kamen bürokratische Hürden. Und natürlich seine Arbeit als Tourguide im Olympiapark, um sich sein Studium zu finanzieren. „Meine Eltern schicken ihre ganzen Ersparnisse nach Eritrea, da will ich ihnen nicht auch noch auf der Tasche liegen“, erläutert er. Damit das Projekt nicht starb, opferte Sinksar ein Semester und ließ sich beurlauben.

Nach dem ersten Semester wurde das Konzept weiterentwickelt. Aktuell finden dreimal pro Woche Deutschkurse statt. Außerdem gibt es gemeinsame Unternehmungen wie Stadtrundgänge, Museumsbesuche oder Büchereiführungen, bei denen die jungen Erwachsenen ihr Wissen anwenden und gleichzeitig München kennenlernen können. „Darüber hinaus kommen sie mit dem deutschen Hochschulsystem und Studierenden in Kontakt“, freut sich Sinksar.

Weniger erfreulich: Immer wieder werden engagierte Kursteilnehmer abgeschoben. Doch einige Flüchtlinge haben es an die Uni geschafft. Das Ergebnis: ein Bachelorabschluss, zwei Masterabschlüsse – und eine Promotion. Manche entscheiden sich auch für eine Ausbildung. Und eine große Zahl engagiert sich zusätzlich in Vereinen wie der Freiwilligen Feuerwehr. Das alles sind die Erfolgsmeldungen, für die Sinksar lebt. Er verspricht: „Ich mache weiter!“

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