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„Die Vorstellung, ins Licht zu gehen, ist populär“

28.10.2022

Ein Interview mit LMU-Religionswissenschaftlerin Anna-Katharina Höpflinger über den Umgang mit dem Tod und den Versuch, Kontrolle darüber zu gewinnen.

Bosch, Hieronymus um 1450 - 1516. Der Aufstieg in das himmlische Paradies. Gemälde

Eine von vier Tafeln mit Jenseitsdarstellungen des Gemäldes „Der Aufstieg in das himmlische Paradies" von Hieronymus Bosch | © picture alliance / akg-images | akg-images

PD Dr. Anna-Katharina Höpflinger ist Akademische Rätin am Lehrstuhl für Religionswissenschaft und Religionsgeschichte. Im Interview erklärt sie, welche Jenseitsvorstellungen heute vorherrschen und ob Religion Menschen die Angst vor dem Tod nehmen kann.

Oft heißt es, der Tod sei aus der Gesellschaft verschwunden. Ist das so?


Anna-Katharina Höpflinger: Ich bin nicht der Meinung, dass der Tod aus dem Alltag verschwunden ist. Für das Sterben als körperlichen Vorgang mag das stimmen: Der Umgang damit ist heute professionalisiert. Das medizinische Fachpersonal kümmert sich darum, die Spezialistinnen und Spezialisten sozusagen.

Beim Tod als einem kulturellen Konzept ist das anders. Vielleicht gab es nach dem Zweiten Weltkrieg eine kurze Phase der Diesseitsgerichtetheit, vor allem in den Städten, quasi als Reaktion auf die Schrecken und Massaker der Kriegsjahre.

Aber spätestens seit den Achtzigerjahren ist der Tod wieder vielfältiges Thema. In Ausstellungen in Museen, als Skelett auf einem Heavy-Metal-Album, in einem Kostüm an Halloween und Abend für Abend im Krimi.

Warum sind Krimis so anhaltend beliebt?

In sogenannten Industriegesellschaften gilt es als normal, dass dem körperlichen eine Art „soziales Sterben“ vorausgeht. Damit meine ich die erwartete Abfolge eines schrittweisen Rückzugs aus gesellschaftlichen Pflichten: Erst müsse die Rente kommen, Jahre später der Tod. Stirbt man früher, heißt es, ein Mensch sei mitten aus dem Leben gerissen worden. Der Krimi thematisiert diesen zu frühen Tod. Dieser geschieht im Krimi durch eine Gewalteinwirkung, also einen Tod, der die soziale Ordnung bricht. Das erzeugt Spannung und ein „Gruseln“. Erst wenn der Fall gelöst wird, ist die Ordnung wiederhergestellt und die Kontrolle zurückgewonnen.

Brauchen wir Menschen also die Vorstellung, Kontrolle über den Tod zu gewinnen, und ist das eine Funktion von Religion?

Religionen beschäftigen sich mit unkontrollierbaren Bereichen des Lebens, wie eben dem Tod. Sie erklären zum Beispiel, was nach dem Tod kommt, aber dennoch bleibt eine Unsicherheit. Als Religionswissenschaftlerin würde ich sagen: Die Frage nach dem Tod und was danach kommt, ist eine religiöse. Auch dann, wenn jemand nicht kirchlich ist. Denn der Tod überschreitet die beobachtbare Welt. Weil er nicht fassbar ist, muss er symbolisch bearbeitet werden. Wie dies geschieht, ist kultur- und zeitspezifisch.

Welche Bilder vom Jenseits herrschen heute vor?

Häufig Bilder, die von der Populärkultur geprägt sind. Zum Beispiel haben Menschen in sogenannten westlichen Kulturen etwa die Vorstellung, ins Licht zu gehen. Auch Wiedergeburtsvorstellungen sind in Deutschland zu finden. Die Tendenz der christlichen Religionen ist es, das Jenseits positiver darzustellen, als das etwa im Mittelalter der Fall war.

Naive Vorstellungen von Fegefeuer, Wolke und Rauschebart sind passé?

Ich würde diese Vorstellungen nicht naiv nennen. Es sind Symbole, die helfen, mit dem Unkontrollierbaren umzugehen. Heute sind aber eher Ideen einer Jenseitswelt verbreitet, in der man Verwandte trifft, was durchaus von Filmen und Kunst geprägt ist. Typisch ist eine positive Jenseitsvorstellung, in der man als Individuum weiterbesteht in seinen Familienstrukturen.

Inzwischen haben die traditionellen Rituale abgenommen.

Das gilt vor allem für die Städte, weniger fürs Land. Aber ganz gleich, ob ein Körper für die Anatomie gespendet oder verbrannt wird: Beim Tod sind meistens Rituale im Spiel. Schon das Einsargen selbst ist ein Ritual. Für Sterben und Trauerbewältigung haben außerdem die sozialen Medien inzwischen eine wichtige Bedeutung gewonnen. Es gibt zum Beispiel virtuelle Kerzen und Kondolenzbekundungen, die Gemeinschaft stiften. Auch das sind Rituale.

Hat Corona das Bewusstsein dafür geschärft, wie wichtig menschliche Nähe fürs Sterben ist?

Ich hoffe es. Corona hat unser Verhältnis zum Sterben und zum Tod verändert. In den Medien war der Tod ein wichtiges Thema. Das Eingeschlossensein selbst war schon eine Art „sozialer Tod“. Auf den Intensivstationen wurde zugleich sozial und körperlich gestorben. Auf einmal musste man per Tablet Abschied nehmen.

Jetzt rückt der Tod in Form des Krieges in den Blick, es sterben junge Soldaten, Zivilisten jeden Alters, auch Kinder.

Der Krieg rückt das Abnormale, Schreckliche und Düstere des Todes in den Vordergrund. Persönlich finde ich es grauenhaft, wenn ein Mensch für Machtbestrebungen oder eine Ideologie sterben muss. Etwas distanzierter betrachtet, kann man sagen, dass Krieg die Idee von Tod verändert. Ein Soldat, eine Soldatin ist etwa verpflichtet, seinen Körper für eine kollektive Idee zu geben. Das Individuum rückt dabei in den Hintergrund.

Über die Angst vor dem Tod

Wovor genau hat man eigentlich Angst, wenn man den Tod fürchtet?

Da ist zum einen das Körperliche: der Schmerz, der Kontrollverlust. Und dann das Unwissen, was passiert. Wir können das Sterben ja nur beobachten. Und Nahtoderfahrungen werden von Menschen geteilt, die nicht gestorben sind. Der Tod bleibt unverfügbar.

Anna-Katharina Höpflinger

Anna-Katharina Höpflinger

ist Akademische Rätin am Lehrstuhl für Religionswissenschaft und Religionsgeschichte.

Was kann Religion nun genau leisten?

Religion hat die wichtige soziale Rolle, Rituale und Formen anzubieten, die Menschen zusammenbringen. Die traditionellen Formen überleben, weil man in einer schwierigen emotionalen Situation Rituale nicht neu erfinden, sondern auf das zurückgreifen möchte, was man kennt. Außerdem überschreiten Religionen die Grenzen zwischen Leben und Tod, indem sie etwa Jenseitsbilder entwerfen. Sie geben dem Leben damit Sinn, gerade angesichts des Todes.

Fällt es religiösen Menschen also leichter zu sterben?

Ich wäre da skeptisch. Vielleicht ist die Vorstellung ja gar nicht so schön, vor einer Gottheit Rechenschaft abzulegen. Bei Religion geht es meines Erachtens nicht in erster Linie um Beruhigung, sondern um Orientierung. Religion gibt uns eine Guideline an die Hand, wie wir leben sollen. Wenn das Leben ein chaotischer Wald ist, bahnt Religiosität einen Pfad durch das Gestrüpp. Aber es ist natürlich auch ohne Religion möglich, einen solchen zu finden.

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