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Ein Wettlauf gegen die Zeit

26.03.2020

Virologe Gerd Sutter über die aufwendige Entwicklung eines Impfstoffs gegen das neue Coronavirus – und seinen vielversprechenden Ansatz, der gegen das MERS-Coronavirus schon getestet wird.

Die ganze Welt wartet auf einen Impfstoff gegen das neue Coronavirus. Wie weit sind Sie mit Ihren Forschungen? Sutter: Mit den gentechnischen Arbeiten sind wir praktisch fertig. Jetzt beginnen wir mit ersten Tests: Wir prüfen zum Beispiel ihre genetische Stabilität, wir untersuchen, ob das gewünschte Ziel-Antigen überhaupt in seiner natürlichen Form gebildet wird, wenn die Impfviren sich vermehren. Und wir kontrollieren die Wachstumseigenschaften der Rekombinanten.

Wie sind Sie da vorgegangen? Sutter: Wir arbeiten an einem sogenannten vektorbasierten Impfstoff: In ein gut bekanntes Impfvirus bauen wir ein ungefährliches Stück Erbmaterial des neuartigen Coronavirus ein. Dieser DNA-Abschnitt trägt die Information für ein spezifisches Eiweiß der Coronavirus-Hülle. Dagegen soll sich dann die schützende Immunantwort nach einer Impfung richten. Wir hatten das Glück, dass wir von Kollegen aus China schon sehr früh die Genomsequenz des neuen Coronavirus bekommen haben. Mehr als diesen Datensatz brauchen wir nicht, um am Rechner die spezifische Geninformation aus Sars-CoV-2 so zu redesignen, dass sie an das Impfvirus angepasst ist und verlässlich für das Ziel-Antigen codiert. Die Synthese der Gensequenz hat dann eine Spezialfirma für uns erledigt. Diese DNA-Sequenz haben wir in unser bekanntes Impfvirus eingebaut. Das Vektorsystem als solches ist exzellent etabliert.

Das ist sicher Ergebnis jahrzehntelanger Grundlagenforschung. Sutter: Ich arbeite mit genau diesem MVA-Impfvirus seit mehr als 30 Jahren. MVA steht für „Modifiziertes Vaccinia-Virus Ankara“. Es ist als Pocken-Impfstoff in Europa, in den USA und Kanada zugelassen – und in München entwickelt worden. Wir haben damit eine Plattform-Technologie und können jede fremde genetische Information unter die Kontrolle unseres Impfvirus stellen.

Welchen Bestandteil des neuen Coronavirus nutzen Sie? Sutter: Coronaviren heißen so, weil sie unter dem Elektronenmikroskop so aussehen, als hätten sie eine Art Strahlenkranz – bestehend aus vielen Proteinstacheln der Hülle. Wir nutzen genau das Eiweiß, aus dem sich diese Spikes formen. Es ist essenziell für die Viren; sie brauchen es, um an eine Wirtszelle anzudocken, die Zellmembran und ihre Virushülle verschmelzen zu lassen und so letztlich einen Weg zu finden, ihr Genom in die Wirtszelle zu bringen. Und wir wissen auch aus eigenen Arbeiten für eine ganze Reihe verschiedener Coronaviren, dass Immunantworten, die auf dieses Oberflächenprotein zielen, die Infektion effizient blockieren.

Sie haben also schon reichlich Erfahrung mit Corona-Spikes? Sutter: Ja, genau. Wir haben in den letzten Jahren die Entwicklung eines Impfstoffes gegen das MERS-Coronavirus weit vorangetrieben. Er beruht auf genau dem Verfahren, das wir jetzt auch gegen das neue Coronavirus für sehr aussichtsreich halten. Das MERS-Coronavirus löst ebenfalls schwere Infektionen der Atemwege und der Lunge aus. In den Jahren 2013 bis 2015 gab es mehrere regionale Ausbrüche. Unser Impfstoff gegen das MERS-Coronavirus sorgt dafür, dass nach einer Impfung Antikörper gebildet werden, die die Spikes neutralisieren. Das ist in präklinischen Modellen eindeutig und ausreichend belegt. Und die Tests am Menschen laufen bereits.

Was zeigen sie? Sutter: Alle Daten, die wir bislang gesammelt haben, sprechen sehr dafür, dass wir einen vergleichbaren Impfstoff auch gegen das neue Coronavirus CoV-2 entwickeln können. Die Arbeiten laufen in enger Zusammenarbeit mit den Gruppen von Marylyn Addo vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf und Stephan Becker von der Universität Marburg; unsere drei Institutionen sind auch über das Deutsche Zentrum für Infektionsforschung (DZIF) verbunden. Um es klar zu sagen: Es gibt bislang weltweit wenig Erfahrung mit Coronavirus-spezifischen Impfstoffen im Menschen. Unser MERS-Impfstoff ist einer der ersten überhaupt, der darauf getestet wurde.

Den MERS-Impfstoff kann man aber nicht gegen das neue Coronavirus einsetzen? Sutter: Nein, dazu unterscheiden sich die Spikes denn doch zu sehr.

Aber wenn Sie die DNA für den Spike des neuen Coronavirus einsetzen, wird das funktionieren? Sutter: Davon gehen wir aus. Jedenfalls verwenden meines Wissens alle Forscher, die einen Impfstoffkandidaten entwickeln, das Spike-Protein als Ziel-Antigen.

Sie haben also ein potenzielles Impfvirus designed. Wie geht es jetzt weiter? Wie lange dauert es, bis das als Impfstoff verfügbar sein könnte? Sutter: Es stehen jetzt die präklinischen Tests an. Die dauern in der Regel zwölf bis 18 Monate, weil sehr, sehr sorgfältige Prüfungen auch in Tiermodellen gewährleistet sein müssen. Aufgrund der außergewöhnlichen Situation wird es sicher schneller gehen. Ich bin zuversichtlich, dass noch in diesem Jahr erste Impfstoff-Kandidaten in die klinischen Versuche – am Menschen – gehen werden. In dieser Phase I stehen die Tests auf Verträglichkeit und Anregung von Immunantworten an.

In den Medien kursieren aber jetzt schon Bilder von ersten Freiwilligen in den USA, die testweise einen Impfstoff-Kandidaten bekommen haben. Sutter: Ja, die Tests liefen in Seattle, USA. Dabei handelt es sich um einen sogenannten Messenger-RNA-Impfstoff, den die US-Biotech-Firma Moderna zusammen mit der US-Gesundheitsbehörde National Institutes of Health (NIH) entwickelt. Der Stoff besteht nur aus einer synthetischen Erbgutsequenz, die direkt eine Immunantwort gegen das Virus triggern soll.

Angeblich ist die Substanz noch nicht einmal in Tiermodellen getestet. Sutter: Mich würde es wundern, wenn es nicht entsprechende Datensätze aus der Präklinik gäbe, bevor der Stoff einem Menschen verabreicht wird. Das würde sonst mit zentralen Grundsätzen der Arzneimittelzulassung brechen. Aber ich kenne das Procedere der Behörden nicht. Die NIH räumen jedenfalls auch ein, dass es nach den First-in-Man-Trials noch dauern wird bis zu einer Marktreife.

Laut Weltgesundheitsorganisation WHO sind weltweit derzeit mehr als 40 Projekte angelaufen, einen Impfstoff gegen das neue Coronavirus zu entwickeln. Sutter: Ja, da ist eine Menge unterwegs. Darunter sind zum Beispiel Projekte, die wie unseres aus der Prophylaxe gegen das MERS-Coronavirus kommen, aber auch andere vektorbasierte Ansätze. Und dann gibt es eine ganze Reihe von Vorhaben, die Nukleinsäuren einsetzen, wie die von Moderna oder der Tübinger Firma CureVac. Man muss jetzt alle verfügbaren Technologien vorantreiben. Hätten Sie mich vor einem Jahr gefragt, dann hätte ich gesagt, wir wären glücklich, wenn wir es von der Neuentdeckung eines Virus bis zu einer Phase-I-Prüfung schneller schafften als in zwei, drei Jahren. Jetzt sind wir mutmaßlich bei etwa einem Jahr.

Mit der Phase I sind ja dann nur die Verträglichkeit und die grundlegende Wirksamkeit geprüft. Wie geht es dann weiter? Sutter: So eine Notfallsituation, wie wir sie im Moment gerade erleben, beschleunigt die Entwicklung natürlich ganz dramatisch. Ein Beispiel dafür war die Ebola-Krise 2013/14. Da ging ein Impfstoff-Kandidat sehr schnell in eine Phase-I-Studie, und bis zum Großeinsatz des Impfstoffs und einer Phase-III-Studie, die dann eine Wirksamkeitseinschätzung ermöglicht hat, waren es dann kaum eineinhalb Jahre. Trotzdem: Die Ebola-Welle war da schon wieder am Abflauen. Vergegenwärtigt man sich die Gesamtsituation beim neuen Coronavirus, muss man ehrlicherweise sagen, dass wir die aktuelle Krise mit anderen Mitteln als mit einem Impfstoff werden bewältigen müssen. Dennoch wird es wichtig sein, möglichst rasch einen wirksamen Impfstoff breit verfügbar zu haben.

Und seine Entwicklung hilft außerdem, auf zukünftige Fälle besser vorbereitet zu sein? Sutter: Das ist das Ziel von Allianzen wie der WHO Blueprint Activity oder der Coalition for Epidemic Preparedness Innovations (CEPI), einer weltweiten Allianz von öffentlichen Institutionen wie WHO und EU-Kommission, Forschungseinrichtungen, der Impfstoff-Industrie und privaten Geldgebern. Sie wollen Blaupausen für Impfstoffe schaffen, die wir im Bedarfsfall immer schneller auf ein neues bedrohliches Virus umrüsten können. Unser MERS-Coronavirus-Impfstoff ist dafür ein gutes Beispiel. Es ist ein bisschen unglücklich, dass ausgerechnet jetzt eine Disease X auf uns zukommt, also ein bislang unbekannter Erreger um die ganze Welt geht.

Bislang haben wir noch nicht über Geld gesprochen. Die Entwicklung eines Impfstoffes ist sehr teuer. Im Zusammenhang mit dem Coronavirus ist von zwei Milliarden Dollar die Rede. Ist das eine realistische Größe? Sutter: Ja, die Größenordnung stimmt. Man muss für einen Impfstoff mit Hunderten Millionen an Entwicklungskosten rechnen.

Angeblich hat US-Präsident Donald Trump der Tübinger Firma CureVac eine Milliarde Dollar dafür geboten, ihren Impfstoff exklusiv für den amerikanischen Markt zu entwickeln. Was ist da dran? Sutter: Details kenne ich nicht. Aber ich kenne ein solches Reaktionsmuster der US-Administration, das war zu Zeiten des Bioterrorismus auch nicht anders. Auch damals ist sie weltweit auf Shoppingtour gegangen und hat bei Firmen mit interessanten Technologien angefragt, ob sie nicht im Auftrag der US-Regierung arbeiten wollen. Und natürlich gehen solche Finanzierungsangebote – ich kenne das aus dem Pockenschutz-Impfprogramm – dann mit Verträgen einher, die das „America first“ sichern sollen.

Sind das nicht letztlich unmoralische Angebote? Sutter: Lassen Sie mich so antworten: Gerade in der jetzigen Notfallsituation herrscht unter den Impfstoff-Entwicklern die Haltung vor, etwaige Produkte möglichst allen zur Verfügung zu stellen. Das haben ja auch die Geldgeber von CureVac gleich klargemacht.

Ist denn der Ansatz von CureVac so aussichtsreich? Sutter: Das kann ich nicht wirklich beurteilen, weil die Daten meines Wissens noch nicht publiziert sind. Die Idee, die Messenger RNA zu verwenden, um direkt Impf-Antigene zu produzieren, ist schon elegant. Aber es gibt bislang keinerlei Erfahrung, wie sich derartige Substanzen im Menschen verhalten. Und es gibt keine Erfahrung, wie sicher sie sich produzieren lassen. Und selbst wenn die Firma jetzt schon ein Konstrukt fertig hat, werden verlässliche Tests auch ihre Zeit brauchen. Wir dagegen können immerhin auf ein bewährtes Vektorsystem zurückgreifen, für das eine großtechnische Produktion bereits etabliert ist. Das Basiskonstrukt ist charakterisiert und zusammen mit gentechnisch veränderten Varianten an mittlerweile mehr als 12.000 Personen klinisch getestet worden. Wir kennen das Nebenwirkungsprofil und die Immunogenität des Basis-Impfstoffes schon sehr gut. Neu ist natürlich die Immunreaktion, die für das Spike-Protein des neuen Coronavirus spezifisch ist. Aber das Problem haben alle anderen Ansätze auch.

Als Laie ist man schon jetzt gefühlsmäßig geneigt zu sagen, da hat man doch einen Impfstoff. Sutter: Nein, es gibt bisher nur Laborkonstrukte. Und jetzt gilt es, die verschiedenen Phasen der Impfstoffentwicklung korrekt zu durchlaufen. Für mich ist es erst ein Impfstoff, wenn er wirklich die Phase III durchlaufen hat und grünes Licht von den Zulassungsbehörden bekommt, wenn er sozusagen in die Apotheke darf. Ich weiß, das ist angesichts der Notsituation schwer zu kommunizieren. Aber auch jetzt sollten wir alle Risiken ausschließen. Die klinischen Untersuchungen sind ganz, ganz wichtig, um einfach mit einer großen Probandenzahl sicherzustellen, dass wir nicht nur ein verträgliches, sondern auch ein verlässlich wirkendes Arzneimittel haben.

Der Druck der Öffentlichkeit, nun bald zu liefern, wird größer. Wie gehen Sie als Impfstoffforscher damit um? Sutter: Der Druck steigt, das ist klar. Ich glaube, wir müssen immer wieder informieren, dass die Entwicklung und die Testung ihre Zeit brauchen – und das aus gutem Grund. Ich war selbst sechs Jahre lang Abteilungsleiter beim Paul-Ehrlich-Institut, das für die Zulassung von Impfstoffen zuständig ist. Es gibt natürlich Möglichkeiten, Verfahren zu beschleunigen, aber eben nur in einem gewissen Rahmen. Und ich glaube wirklich, 12 oder gar 18 Monate wird es dauern, bis ein Impfstoff in größerer Breite eingesetzt werden kann, darunter wird es nicht gehen.

Manche Politiker prognostizieren, erst der Impfstoff werde uns aus der jetzigen sozialen Isolation erlösen, mit der wir Zehntausende von Toten verhindern wollen. Was entgegnen Sie da? Sutter: Sie können sicher sein, es machen alle schon so schnell, wie es geht.

Interview: Hubert Filser and Martin Thurau

Prof. Dr. Gerd Sutter ist Inhaber des Lehrstuhls für Virologie am Institut für Infektionsmedizin und Zoonosen der Tierärztlichen Fakultät der LMU.

Mehr zur Forschung von Gerd Sutter: Erreger und Eroberer. Aus dem Urwald in die urbanen Zentren: Mit der Globalisierung verbreiten sich bislang unbekannte Viren um die Welt. LMU-Forscher Gerd Sutter konstruiert Impfstoffe gegen die neuen Seuchen.

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