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„Engpässe in vielen Regionen der Welt“

28.03.2022

Die globale Spur des Krieges: LMU-Geograph Florian Zabel zeigt auf, welche Folgen der Angriff auf die Ukraine für die Welternährung hat.

Russland und die Ukraine decken bislang mehr als ein Viertel der weltweiten Weizenexporte ab. Infolge des Ukraine-Kriegs und der Sanktionen gegen Russland ist der Weizenpreis sprunghaft angestiegen. Sind große Lieferengpässe zu befürchten?

Florian Zabel: Die aktuellen Preissteigerungen haben vor allem mit den Unsicherheiten der Agrarmärkte zu tun, als Folge des Kriegs in der Ukraine. Es herrscht große Unsicherheit, wie stark die Ertragseinbußen durch den Krieg sein werden, aber auch wie stark die benötigte Infrastruktur für den Export der landwirtschaftlichen Rohstoffe beeinträchtigt sein wird. In der Folge tendieren viele Länder dazu, ihre Exporte zu reduzieren, um die Ernährung ihrer eigenen Bevölkerung zu sichern. Dieses Verhalten treibt jedoch die Preise weiter nach oben. Wichtige Exportländer, darunter auch die Ukraine und Russland, haben bereits angekündigt, Exportbeschränkungen zu erlassen.

Sonnenblumenfeld nahe der südukrainischen Stadt Odessa.

© IMAGO / agefotostock

Die Ukraine und Russland haben ja eine Schlüsselrolle in der Welternährung.

Zabel: Die beiden Länder sind sehr wichtige Produzenten von Weizen, aber auch von Mais, Gerste oder Sonnenblumenöl. Bei Letzterem hat die Ukraine sogar einen Weltmarktanteil von fast 50 Prozent. Beim Weizen ist es so, dass 91 Prozent der Fläche auf Winterweizen entfallen. Der wurde bereits im letzten Herbst ausgesät, er steht jetzt schon auf dem Feld, kann aber eventuell die nächsten Monate bis zur Reife nicht ausreichend gedüngt werden, weil Arbeitskräfte, Treibstoffe oder Düngemittel fehlen. Dadurch würde die Ernte zwar nicht komplett ausfallen, jedoch wird durch die fehlende Stickstoffdüngung neben der Quantität auch die Qualität der Erträge beeinträchtigt. Die Frage, ob die Ernte im Sommer reibungslos stattfinden kann, lässt sich heute noch nicht beantworten. Für viele andere Ackerfrüchte werden die nächsten Wochen entscheiden, wenn Saatgut vorhanden ist, ob dieses überhaupt ausgebracht werden kann. Denn was nicht ausgesät wird, kann auch nicht geerntet werden. Je länger der Krieg andauert, desto größer werden die Schäden. Die tatsächlichen Auswirkungen lassen sich insgesamt noch nicht abschätzen. Wir wissen noch nicht, wie sich der Krieg, die Zerstörung oder im Fall von Russland die Sanktionen auf den Handel auswirken.

Warum reagieren die Märkte schon jetzt so extrem?

Es sind komplexe Systeme, auch der Anstieg der Energiekosten spielt dabei eine Rolle. Daran gekoppelt sind die Preise für Düngemittel, die ebenfalls deutlich teurer geworden sind. Denn für die Produktion von Düngemitteln wird Energie benötigt. Russland und Belarus gehören zudem zu den wichtigsten Exporteuren von Düngemitteln weltweit, mit einem Anteil von zusammen 36 Prozent. Ohne Düngemittel wie Stickstoff, Phosphor oder Kalium kann die Landwirtschaft keine hohen Erträge einfahren, das ist ein zentraler Faktor für die Ernte. Wir rechnen daher dieses Jahr in vielen Regionen der Welt mit geringeren Erträgen. Während der Corona-Pandemie ist außerdem die globale Nachfrage stark gestiegen und viele Nahrungsmittel sind bereits deutlich teurer geworden, auch weil die Lieferketten teilweise unterbrochen waren. Umso heftiger ist nun für manche Regionen die weitere Preissteigerung durch den Krieg.

Weizenfeld in der Ukraine.

© IMAGO / YAY Images

Weizen ist ja sowohl als Futter- wie auch als Nahrungsmittel weltweit wichtig. Welche Regionen sind aktuell am stärksten betroffen?

Zabel: Unmittelbar betroffen sind vor allem jene Länder, die auf Importe aus Russland und der Ukraine angewiesen sind. Das sind etwa Länder in Nordafrika und Asien. Weizen ist in den Ländern Nordafrikas ein zentrales Nahrungsmittel. Er ist dort maßgeblich für die Ernährungssicherung. Zum Vergleich: In Deutschland werden 70 Prozent des Getreides als Futtermittel für Tiere verwendet. In Ländern Nordafrikas ist das anders. Für die Menschen in armen Ländern sind bereits kleinere Preissteigerungen, wie wir sie längst sehen, überaus problematisch.

Weizen als Hauptnahrungsmittel

Fladenbrotverkauf im Suk von Luxor, Ägypten.

© IMAGO / Geisser

Ägypten ist der größte Weizenimporteur der Welt, wie ist die Lage dort aktuell?

Zabel: In Ägypten hängt die alltägliche Versorgung der Menschen stark von Weizen ab, der hier Hauptnahrungsmittel ist. Die Kaufkraft der Bevölkerung ist insgesamt nicht besonders groß. Gleichzeitig ist der Anteil von Konsumausgaben privater Haushalte für Nahrungsmittel in Afrika sehr hoch, die Menschen geben rund 70 Prozent ihres Einkommens für Lebensmittel aus, in Deutschland liegt der Anteil im Vergleich nur bei zehn Prozent. Uns betreffen also höhere Lebensmittelpreise im Vergleich nicht so stark. Auch vor dem Arabischen Frühling waren in Nordafrika die Lebensmittelpreise stark gestiegen, vor allem die für Grundnahrungsmittel wie Brot. Seitdem wird über mögliche Zusammenhänge spekuliert.

Erwarten Sie künftig Unruhen in ganz anderen Regionen der Welt, die über solche Mechanismen durch den Ukraine-Krieg angetrieben werden?

Es wäre möglich, dass Nahrung auch als Waffe eingesetzt wird, um den Migrationsdruck auf Europa zu erhöhen. Wir sehen jetzt schon die Auswirkungen über die Preise. Es wird viel davon abhängen, wie sich der Krieg entwickelt und welche Maßnahmen andere Länder ergreifen und ob sie Ersatzlieferungen anbieten können. Die EU hat bereits angekündigt, ihre landwirtschaftliche Produktion zu erhöhen, zum Beispiel indem die Bewirtschaftung von Brachflächen erlaubt wird, die eigentlich als ökologische Vorrangflächen dienen sollten. Zudem bestünde die Möglichkeit, über flexiblere Biokraftstoffquoten und eine Verringerung des Fleischkonsums wie auch eine Verringerung der Lebensmittelabfälle mehr landwirtschaftliche Rohstoffe als direkte Lebensmittel zu nutzen und so diesen Ländern zur Verfügung zu stellen.

Wie stark werden die Auswirkungen hierzulande sein?

Insgesamt haben wir in Deutschland mit Ausnahme von Gemüse und Obst eine hohe Selbstversorgungsquote, sind also relativ unabhängig von Importen aus Russland und der Ukraine. Trotzdem müssen wir mit höheren Lebensmittelpreisen rechnen.

Zunehmender Druck auf die Ökosysteme in den Tropen

Amazonas-Regenwald bei Puerto Maldonado, Departamento Madre de Dios, Peru, Südamerika: Große Flächen sind bereits gerodet worden, um landwirtschaftlich nutzbares Land und Weideland zu gewinnen.

© IMAGO / imagebroker

Könnten Preissteigerungen dazu führen, dass sich mittelfristig die Anbaugebiete in andere Regionen der Erde verlagern, weil dort plötzlich der Anbau lukrativer wird?

Grundsätzlich sorgt der globale Handel dafür, dass Ertragsrückgänge oder Ausfälle in einer Region gut ausgeglichen werden können. Bisher hat es aber auch noch nie einen großen Ausfall in allen wichtigen Anbauregionen der Welt gleichzeitig gegeben. Die steigenden Preise machen es prinzipiell attraktiver, die Produktion zu erhöhen und mehr zu exportieren. Eine unserer Studien zeigte, dass dies jedoch oft mit landwirtschaftlicher Expansion einhergeht und damit der Druck auf Ökosysteme zunimmt. Hier sind vor allem die Tropen gefährdet. Dort findet landwirtschaftliche Expansion seit Jahren statt. Leider sind das aber gerade Regionen, die eine sehr hohe Biodiversität aufweisen. Der Druck auf diese Flächen könnte durch die aktuellen Entwicklungen weiter steigen.

Es könnte nicht die einzige Gefahr sein. Der russische Präsident hat auch den Einsatz von Atomwaffen nicht ausgeschlossen. Sie haben in einer Studie für die Region Indien/Pakistan berechnet, dass selbst ein begrenzter Atomschlag neben der regionalen Verwüstung auch dramatische globale Auswirkungen haben würde. Womit müsste man hier rechnen?

Unsere Pflanzenwachstumsmodelle zeigen, dass selbst begrenzte Atomschläge globale Auswirkungen auf die Ernährungssicherung hätten, weit über die Region hinaus, die unmittelbar davon betroffen wäre. Ähnlich wie bei großen Vulkanausbrüchen rechnen wir schon als Folge eines begrenzten Atomschlags damit, dass sich die globalen Temperaturen rasch abkühlen. Durch Brände in großen Städten gelangen Aerosole in hohe Atmosphärenschichten, verteilen sich global und reflektieren Sonnenstrahlen. Daraufhin sinken die Temperaturen, man spricht von einem nuklearen Winter. Dadurch würden die Erträge in den folgenden Jahren im globalen Durchschnitt um mehr als 10 Prozent niedriger ausfallen. Auch deshalb sollten wir viel intensiver über atomare Abrüstung nachdenken.

Schon ohne solche Schreckensszenarien warnt UN-Generalsekretär António Guterres vor einem drohenden „Hurrikan des Hungers“: Welche Maßnahmen könnten helfen, humanitäre Krisen weltweit zu vermeiden?

Unsere Forschung hat ergeben, dass es unabhängig vom aktuellen Krieg für die Eindämmung des Welthungers unabdingbar ist, die Landwirtschaft weiter zu intensivieren, und zwar nachhaltig. Die Landwirtschaft ist in vielen Regionen der Welt sehr ineffizient beim Umgang mit limitierten Ressourcen wie Land, Böden, Düngemitteln und Wasser. Hier müssen wir die Landwirtschaft effizienter gestalten. In Deutschland können wir durch moderne Technologie noch effizienter und gleichzeitig nachhaltiger werden, ohne die Produktion dabei zu verringern. Auch ein Ausbau von Getreidespeichern könnte dabei helfen, Preisschwankungen auszugleichen und die Vulnerabilität gegenüber solchen Schocks zu verringern.

Wie lassen sich solche Themen global umsetzen?

Die Zusammenhänge sind oft komplex. Wir erleben momentan eine Energiekrise und eine Nahrungskrise. Beides hängt auch miteinander zusammen. Neben der Energieversorgung müssen auch im Bereich der Nahrungsversorgung geostrategische Überlegungen eine Rolle spielen, um Abhängigkeiten zu verringern. Wir sollten daher den Ausbau der erneuerbaren Energien beschleunigen. Dies darf jedoch nicht auf Kosten der Nahrungsproduktion gehen, denn auch hier sind Engpässe zu befürchten. Wir empfehlen daher Lösungen, die Energieproduktion und Landwirtschaft gemeinsam denken und auf derselben Fläche ermöglichen, wie etwa durch Windkraft und Agri-Photovoltaik. Solche Systeme dienen dem Klimaschutz und können gleichzeitig die Resilienz gegenüber dem Klimawandel erhöhen. Gleichzeitig verringern sie durch die Landnutzungseffizienz den Druck auf die Ökosysteme weltweit, sodass sich Wälder und Biodiversität erholen können. Insgesamt geht es also darum, Ernährungssicherung zusammen mit Energiesicherheit, Klimaschutz und Artenvielfalt zu erreichen. Dies ist möglich.

Interview: Hubert Filser

Florian Zabel

Florian Zabel | © Bernhard Haselbeck

PD Dr. Florian Zabel ist Geograph an der Lehr- und Forschungseinheit Hydrologie und Fernerkundung der LMU. Er forscht zu globaler Landwirtschaft und Ernährungssicherung im Kontext der nachhaltigen Entwicklungsziele.

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