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ERC Grants für drei LMU-Forschende

30.03.2023

Krankenhauskunst, künstliches Leben am Computer und der Nachhall internationaler Organisationen: Der Europäische Forschungsrat vergibt drei prestigeträchtige Advanced Grants an Forschende der LMU.

Drei Professorinnen und Professoren der LMU waren in der jüngsten Vergaberunde der ERC Grants erfolgreich: Die Kunsthistorikerin Chiara Franceschini, der Biophysiker Erwin Frey und der Europahistoriker Kiran K. Patel erhalten für ihre Forschungsprojekte jeweils einen Advanced Grant.

Die Auszeichnung ist mit einer Förderung in Höhe von jeweils maximal 2,5 Millionen Euro (in Ausnahmefällen 3,5 Millionen Euro) verbunden. Die ERC Advanced Grants richten sich an etablierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aller Fachbereiche, deren hochinnovative Forschung erheblich über den bisherigen Forschungsstand hinausgeht und neue Forschungsgebiete erschließt.

Das kunstvolle Erbe der Krankheit

© Sonia Marrese

Chiara Franceschini ist Professorin für Kunstgeschichte mit Schwerpunkt Kunst der Frühen Neuzeit an der LMU.

Kunst und Krankheit sind heute zwei weit getrennte Sphären. In der Vergangenheit war das nicht der Fall. Vor allem nach der Pest-Pandemie von 1348 wurden Kranke und Bedürftige in komplexen Bauwerken versorgt und gleichzeitig eingeschlossen. Diese Einrichtungen, die mit den dazugehörigen Kapellen, Kirchen und Anbauten so geplant wurden, dass sie neuen Epidemien und sozialem Elend besser begegnen konnten, waren reich mit Kunstwerken und Objekten ausgestattet, denen mitunter „heilende Kräfte“ zugesprochen wurden. Bedeutende Architektinnen und Architekten sowie Künstlerinnen und Künstler waren an solchen Projekten beteiligt, von Filarete bis Alonso de Covarrubias, Pierre Puget oder Vanvitelli; von Memling über Grünewald bis zu El Greco und Rubens. Diese ehemaligen Krankenhäuser gehören noch heute zu den beeindruckendsten Gebäuden im Erscheinungsbild europäischer Städte. Und Kunstwerke, die für sie geschaffen oder ihnen gestiftet wurden, befinden sich heute im Besitz bedeutender Museen in Europa und den USA.

Trotz der umfangreichen Forschung zur Geschichte der Krankenhäuser als soziale Einrichtungen ist ein Aspekt erstaunlich wenig erforscht worden: Warum waren Kunst und Architektur für vormoderne Krankenhauskulturen so wichtig? Und was können wir heute noch von dieser zentralen Bedeutung der Kunst für Krankenhäuser lernen? In ihrem neuen ERC-Projekt ARCHIATER (Heritage of Disease: The Art and Architectures of Early Modern Hospitals in European Cities) untersucht Chiara Franceschini dieses umfangreiche und wenig erforschte „Erbe der Krankheit“.

Um diese Forschungslücke zu schließen, wird die Kunsthistorikerin die visuellen Kulturen der Krankenhäuser in europäischen Städten und Häfen vor 1750 untersuchen – an der Schnittstelle zwischen Kunstgeschichte, Sozialgeschichte der Medizin und kuratorischen Studien. „Die zentrale Hypothese ist“, sagt Franceschini, „dass in Krankenhäusern Strukturen, Bilder und Objekte von entscheidender Bedeutung sind, weil sie durch den Durchgang von Menschen, Dingen und Imaginationen ein unterschiedliches Maß an Osmose zwischen dem Innen und dem Außen ermöglichen.“

Chiara Franceschini studierte Kunstgeschichte und Geschichte der Frühen Neuzeit in Pisa und in Florenz und wurde an der Scuola Normale Superiore promoviert. Sie war Postdoktorandin am Warburg Institute in London und erhielt Forschungsstipendien von internationalen Institutionen wie der EHESS in Paris und der Columbia University in New York. Sie lehrte Mittelalter- und Renaissance-Studien am University College London, bevor sie 2016 an die LMU kam. Im selben Jahr sprach ihr der ERC einen seiner Starting Grants für ihr Projekt SACRIMA zu.

Die Theorie des Minimal-Systems

© LMU

Professor Erwin Frey ist Inhaber des Lehrstuhls für Statistische und Biologische Physik an der Fakultät für Physik der LMU. Seine Forschung konzentriert sich auf die universellen Mechanismen lebender Systeme, die sowohl deren Struktur als auch deren Funktion bestimmen. Wie können Systeme mit lebensähnlichen Eigenschaften aus einem minimalen Satz an Komponenten gebaut werden? Experimentell wurden bei der Entwicklung solcher Minimal-Systeme bereits Fortschritte erzielt, aber noch fehlt es an theoretischen Grundlagen, womit die mechanistischen Prinzipien dieser Systeme erklärt werden könnten. Mit seinem ERC-Projekt CellGeom (The geometrical and physical basis of cell-like functionality) will Frey solche Prinzipien identifizieren. Dazu will er mit einer Kombination aus grundlagentheoretischen Ansätzen und Computersimulationen untersuchen, inwieweit minimale Systeme lebensähnliche Funktionen aufweisen können, die nur aus zwei Kernelementen von Zellen bestehen: aus membranumschlossenen Reaktionsräumen (Lipidmembranen) und Proteinreaktionsnetzwerken.

Im Rahmen des Projekts will Frey neue theoretische Konzepte und Multiskalenansätze entwickeln, um die physikalischen Prinzipien zu verstehen, die elementaren biologischen Funktionen zugrunde liegen. „Durch diese Forschung werden wir ungeahnte Einblicke in die Funktionsweise lebender Systeme gewinnen. Wir werden verstehen, wie alleine das Zusammenspiel zwischen den elastischen Eigenschaften von Zellmembranen und der räumlich-zeitlichen Anordnung von Proteinen zu zellähnlichen Verhaltensweisen wie Zellmigration und Zellteilung führt“, sagt Frey.

„Ich möchte die Natur mit ihren ureigenen Methoden erforschen und auf der Basis von evolutionären Algorithmen Designprinzipien entdecken, die uns auf dem Weg zur künstlichen Zelle entscheidende Schritte voranbringen werden.“ Darüber hinaus kann mit den neuen Ansätzen computergestützt das Potenzial dieser minimalen Systeme für die Untersuchung von kollektiven Funktionen wie Zell-Zell-Kommunikation analysiert werden. Frey erwartet, dass dies neue theoretische Einsichten in die physikalischen Prinzipien biologischer Funktionen ermöglichen und er damit innovative Vorschläge für das rationale Design von Systemen mit lebensähnlichen Funktionalitäten liefern wird.

Erwin Frey habilitierte sich 1996 in Theoretischer Physik an der TU München, wo er auch promoviert wurde. Als Heisenberg-Stipendiat forschte er an der Harvard University, war Gastprofessor an der LMU und Professor an der FU Berlin, bevor er die Leitung der Abteilung Theorie am Hahn-Meitner-Institut in Berlin übernahm. Im Jahr 2004 wurde er an die LMU berufen.

Versteckte Verbindungen

Kiran Klaus Patel ist Professor für Europäische Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts und Direktor des Projekthauses Europa, des Zentrums für interdisziplinäre Forschung zur Geschichte des zeitgenössischen Europas der LMU.

In Zeiten von Globalisierung und internationalen Konflikten müssen Staaten miteinander kooperieren und sich organisieren. Seit Jahrzehnten drängen sich deshalb zahlreiche Gremien, Bündnisse und Organisationen auf der Weltbühne von Wirtschaft und Politik.

Allgemein gelten Internationale Organisationen (IOs) als Erfolgsgeschichte. Doch was passiert, wenn eine davon aufhört zu existieren? Bleiben zugrundeliegende ideologische Prinzipien und Praktiken erhalten? Und was passiert mit den Menschen, die involviert, und den Gebäuden, in denen sie untergebracht waren?

Über diese „Vermächtnisse“ ist erstaunlich wenig bekannt und das, obwohl mehr als ein Drittel der seit 1815 gegründeten IOs wieder aufgelöst wurden. Dabei ist es selten so, dass IOs einfach sang- und klanglos verschwinden. Die meisten haben nach ihrem Ableben noch einen Einfluss auf ihre Nachfolger, auch wenn bestehende Interpretationen und Narrative solche Verbindungen gerne ignorieren oder herunterspielen.

Kiran Klaus Patel möchte nun diese vernachlässigte Seite der internationalen Geschichte umfassend unter die Lupe nehmen. Im Zuge seines durch den ERC Advanced Grant geförderten Projekts „InechO – Hidden Legacies: How discontinued International Organizations have shaped European governance since the 1910s“ wird er künftig mit einem internationalen Team das „Nachleben" europäischer und internationaler Organisationen seit den 1910er-Jahren und die versteckten Verbindungen zwischen bisher jeweils separat untersuchten IOs erforschen.

Die gewonnenen Erkenntnisse könnten sich auch auf derzeitige Entwicklungen übertragen lassen: „Die heutige Welt ist Zeuge dramatischer Veränderungen der internationalen Ordnung“, sagt Patel. Der im Projekt untersuchte Zeitraum untersucht nicht nur eine abgeschlossene Vergangenheit, sondern er erlaubt auch wichtige Schlüsse für die Gegenwart. „Bislang wurde zwar noch keine Internationale Organisation aufgelöst, aber das könnte sich ändern, wodurch die untersuchten Fragen noch aktueller werden.“

Bevor Patel an die LMU kam, hatte er Lehrstühle an der Universität Maastricht und am Europäischen Hochschulinstitut in Florenz sowie eine Juniorprofessur an der Humboldt-Universität zu Berlin inne. Er war unter anderem Gastwissenschaftler an der École des Hautes Études en Sciences Sociales in Paris, der Freien Universität Berlin, der Universität Freiburg, der Harvard University, der London School of Economics, der Sciences Po in Paris und der University of Oxford.

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